Erding:Gut gemeinte Ratschläge

Professor Heinritz hat das Einzelhandelsgutachten fortgeschrieben. Ob sich die Politik am Ergebnis orientiert, ist ungewiss - und offenbar unerheblich. Die Geschäftswelten in der Innenstadt und in der Peripherie beleben sich gegenseitig.

Florian Tempel

Alle paar Jahre leistet sich die Stadt Erding ein wissenschaftlich fundiertes Einzelhandelsgutachten. Da steht jedesmal ganz klar drin, welche Art von Geschäften ins Zentrum oder an den Stadtrand gehören, damit die Innenstadt auf lange Sicht belebt bleibt und nicht wie andernorts verödet. Der Stadtrat ignoriert die Experten-Empfehlungen zwar regelmäßig - und scheint doch nichts falsch zu machen. Denn in der Erdinger Altstadt ist weiterhin etwas los. Die Gutachten erscheinen dem Stadtrat dennoch nicht überflüssig.

Erding: Der Einzelhandel in der Erdinger Altstadt hatte Sorge ob der wachsenden Gewerbegebiete im Westen (Foto) und im Süden. Offenbar unbegründet.

Der Einzelhandel in der Erdinger Altstadt hatte Sorge ob der wachsenden Gewerbegebiete im Westen (Foto) und im Süden. Offenbar unbegründet.

(Foto: Renate Schmidt)

Zum dritten Mal nach 1998 und 2004 hat die Stadt bei den Geografen Professor Günter Heinritz und Ralf Popien ein Einzelhandelsgutachten in Auftrag gegeben. Der zentrale Aspekt liegt wieder darauf, die Wechselwirkung zwischen den Einkaufsgebieten an der Peripherie und der Innenstadt zu analysieren und Empfehlungen zu geben. Zur Erinnerung: Im ersten Gutachten rieten die Experten, zum Schutz der Innenstadt, keine Lebensmittelmärkte am Stadtrand zuzulassen. Der Rat wurde übergangen.

Heute kommt man gar nicht mehr auf die Idee, dass Supermärkte nicht am Stadtrat liegen sollten. Im zweiten Gutachten empfahlen Heinritz und Popien, im Gewerbegebiet Erding-West keine Bekleidungs- und Schuhgeschäfte, keine Gastronomie und keine Apotheke anzusiedlen. Das alles sei "zentrumsrelevant" und gehöre in die Innenstadt. Der Stadtrat entschied jedoch, es gehöre doch auch all dieses ins Gewerbegebiet Erding-West, weil es dort einen attraktiven Branchenmix brauche. Nun ist die Zulassung von weiteren drei großen Klamottenläden in Erding-West bei der Stadt beantragt.

Für manche ist der Ausbau von Gewerbegebieten zu immer vielfältigeren Einkaufsarealen - entgegen der Expertenmeinung - ein Muss. Denn: Die bei den Konsumenten beliebten Autofahrer-Einkaufsgebiete entfalteten auch für das Zentrum eine belebende Wirkung. Für die Gutachter ist das allerdings erst einmal nicht mehr als eine unbewiesene These.

"Das ist ein entscheidender Punkt", sagt Heinritz, "zu klären, inwieweit es Synergien oder negative Auswirkungen gibt". Popien sieht es genauso nüchtern: "Wir wissen nicht, ob es so ist." Um herauszubekommen, ob und wie die Gewerbegebiete der Innenstadt nutzen oder wenigstens nicht schaden, werden in den kommenden Wochen 400 Haushalte telefonisch zu ihrem Einkaufverhalten befragt. Weiteren Aufschluss erwarten sich die Gutachter von einer Passantenbefragung in den Gewerbegebieten.

Eines gestehen die Forscher der Stadt Erding aber bereits jetzt zu. "Mein grundsätzlicher Eindruck ist, Erding kann sich glücklich schätzen, dass seine Innenstadt funktioniert", sagt Heinritz. Eines sei in Erding unübersehbar, findet auch Popien, "die Gastronomie brummt". Allerdings müsse man sich das Phänomen der "schnuckeligen Altstadt" genau anschauen. Wenn viele Menschen durch die Innenstadt schlendern, Kaffee und Eis genießen, bedeute das nicht automatisch, dass von ihnen der Einzelhandel im Zentrum profitiere. Heinritz drückt es so aus: "Eine gelungene Torte besteht nicht nur aus Zuckerguss."

Voraussichtlich im Mai werden Heinritz und Popien die ersten Ergebnisse ihres Gutachtens im Stadtrat vorstellen. Man darf gespannt sein, welche Empfehlungen für die Zukunft sie geben werden - und ob sich der Stadtrat daran orientiert. Dass die Entscheidungsträger die Ratschläge bisher immer wieder nicht ernst genommen haben, stört Heinritz und Popien nicht, sagen sie.

"Ich bin kein Missionar", sagt Heinritz. "Ich respektiere die kommunale Planungshoheit." Mit seiner Expertenmeinung sei es wie mit dem Ratschlag eines Arztes, das Rauchen einzustellen. Nicht mehr zu rauchen wäre prinzipiell für jeden gesünder. Aber raucht einer weiter und es geht ihm weiterhin gut, habe der Arzt deshalb ja keinen falschen Rat erteilt.

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