Süddeutsche Zeitung

Erding:Gemischte Gefühle

Im großen Sitzungssaal des Landratsamts kommen am Wahlabend Kandidaten und Vertreter fast aller Parteien zusammen. Die einen nehmen die Ergebnisse mit Fassung zur Kenntnis, so richtig freut sich nur eine

Von F. Tempel und G. Wilhelm

Als Punkt 18 Uhr die Prognose für die Landtagswahl 2018 über den großen Bildschirm im Sitzungssaal des Landratsamtes flimmert, ist die Zahl der Politiker noch arg klein: unter den ersten sind der Direktkandidat der Freien Wähler Rainer Mehringer und Andreas Zimmer von der Bayernpartei, der allerdings ein bisserl isoliert an einem Stehtisch steht. Dann kommt Gertrud Eichinger von der SPD. Sie wollte zuerst gar nicht hierher. Doch dann hat sie doch ihren ganzen Mut zusammengenommen. Sie will sich nicht verstecken, auch wenn eine üble Niederlage für die SPD sich abzeichnet. Von der CSU lässt sich zunächst nur OB Max Gotz blicken.

Die Zahlen der ersten Prognose lösen dann nur bei einer Partei richtige Freude aus: bei den Grünen. Helga Stieglmeier und Christoph Sticha fallen sich in die Arme. Bei allen anderen ist die Stimmung etwas gedämpft. Auch angesichts des zu erwartenden zweistelligen Ergebnisses der AfD. Rainer Mehringer entnimmt zumindest etwas Gutes der Prognose: "Wir sind vor der AfD". Dass es für eine Mehrheit von CSU und Freien Wählen im neuen Landtag reichen soll, will er nicht kommentieren. Ganz einsam steht derweil Gertrud Eichinger da, die fassungslos Verluste von 10,5 Prozent für ihre SPD zur Kenntnis nehmen muss.

Acht Minuten nach der Schließung der Wahllokale trifft die CSU-Direktkandidatin und Landtagsabgeordnete Ulrike Scharf ein. Ganz in schwarz. Ob dies ein Ausdruck ihrer Stimmungslage ist, bleibt offen. Die Verluste der CSU sind jedenfalls dramatisch. Doch nach außen hin nimmt Scharf das miserable Ergebnis gefasst auf. 2008 hatte sie schon einmal eine großen Einbruch ihrer Partei bei der Landtagswahl erlebt - und zog deshalb damals nicht über die Liste in den Landtag. Diesmal ist die ehemalige Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz als Direktkandidatin angetreten - und die ersten Ergebnisse aus dem Landkreis gegen 18.57 Uhr zeigen, dass sie den Einzug problemlos schaffen wird.

Ulli Frank-Mayer, die Direktkandidatin der Grünen, ist in der ersten Stunde die Stimmungskanone in der Runde. Immer wieder entfährt ihr angesichts der Ergebnisse, die im Laufe des Abends rein trudeln ein Juchzer: "Ein wunderbares Ergebnis. Wir haben uns auch richtig reingehängt." Wenn die Hochrechnungen eingeblendet werden, ballt sie voller Freude beide Fäuste. Akustisch ist sie das Gegenteil von allen anderen Kandidaten, die bemüht sind, mit möglichst großer Ruhe die Ergebnisse zu ertragen.

Eichinger hat mittlerweile personelle Unterstützung von Rudi Ways bekommen, jetzt sind die Sozialdemokraten im Landratsamt wenigstens zu zweit. Dass die SPD im Landkreis nur noch ein einstelliges Prozentergebnis erreicht, wird klar, als die ersten Zahlen aus den 195 Stimmbezirken im Landkreis über einen kleineren Monitor in der Ecke des Sitzungssaals gezeigt werden. Gertrud Eichinger hält das alles nicht mehr lange aus. In nicht wenigen Wahllokalen ist die SPD von den Wählen zu einer Splitterpartei degradiert worden. Eichinger geht. Eine Wahlparty hatten die Genossen eh nicht geplant, einen Grund zum Feiern gibt es nicht, nicht mal aus Trotz.

Optisch fallen an diesem Wahlabend im Landratsamt die Vertreter einer Minipartei auf. Sie sind wahrer Farbtupfer unter den vielen Anzugträgern: vier Leute von der Satirepartei "Die Partei". Samt Parteifahne rücken sie in den Sitzungssaal ein. Die Fahne müssen sie dann aber wieder einziehen und weglegen. "Ich hab alle eingeladen, also sind sie willkommen", sagt Landrat Martin Bayerstorfer (CSU), "auch, wenn sie mir im Wahlkampf nicht aufgefallen sind - nur das mit der Fahne ging nicht." Dass sie ihre Fahne ablegen müssen, nehmen die vier gelassen auf, holen sich vom Buffet Leberkäse, Kartoffelsalat und Brezn und Weißbier. Einer macht die Bierflaschen mit einer Feuerzeug auf, was Landrat Bayerstorfer Respekt abringt. Kurze Zeit später kommt auch der Direktkandidat von "Die Partei", Markus Kuliberda. Im grauen Anzug und mit orangen Turnschuhen.

Während sich die Vertreter aller Partei in der Regel untereinander über die ersten landesweiten Hochrechnungen unterhalten, ist ein mittlerweile unverzichtbarer Begleiter ständig im Einsatz: das Smartphone. Mit wem sich Ulrike Scharf sich Nachrichten schreibt? Es wird bestimmt nicht Ministerpräsident Markus Söder sein. Der sie mit einer seiner ersten Amtshandlungen von ihrem Ministerposten entfernt hat.

In die gedämpfte Stimmung und das leise Stimmengemurmel kommt erst wieder Bewegung, als die ersten konkreten Ergebnisse aus dem Landkreis eintreffen. Die Ergebnisse aus dem Wahllokal Gebensbach in der Gemeinde Taufkirchen sind ein vermeintlicher Hammer: Martin Huber, Direktkandidat der AfD, hat hier 25 Prozent der Stimmen erhalten. Doch als weitere Meldungen reinkommen, wird schnell klar, dass das kein repräsentatives Ergebnis war. Die AfD schneidet zur Erleichterung vieler insgesamt gar nicht so gut ab.

Dennoch stellte sich die Frage: Wird Huber womöglich Abgeordneter, schafft er den Sprung ins Maximilianeum? Ulrike Scharf weiß aus eigener Erfahrung, dass man erst mal viel Geduld haben muss. Sie will nicht darüber nachdenken, ob es was für Huber werden kann oder nicht. Bis alles Stimmen aller Kandidaten ausgezählt sind wird es dauern. Vor Dienstag wird nicht feststehen, ob der Landkreis Erding einen AfD-Abgeordneten stellen wird, oder nicht.

Vielleicht reicht es ja auch für Ulli Frank-Mayer. Die Dorfener Grünen-Kandidatin ist aber so oder so an diesem Abend bester Lauen. Ob sie Abgeordnete wird oder nicht, ist ihr vorerst völlig egal. Sie strahlt und verabschiedet sich voller Freude. Für ihre Partei gibt es in der Tat etwas zu feiern. "Endlich", sagt auch Helga Stieglmeier, die vor fünf Jahren nach einem mauen Ergebnis Tränen in den Augen hatte.

Das meiste Sitzfleisch haben im Landratsamt die CSUler, nur OB Gotz ist früher weg. Aber nicht, um auf die Wahlparty zugehen, sondern im Rathaus vorbei zuschauen. Die CSU-Zusammenkunft ist später im Weißbräu. Von einer Wahlparty will angesichts des zweitschlechtesten Ergebnisses, das die CSU bei Landtagswahlen jemals erzielt hat, niemand sprechen. Und die Alleinregierung ist genauso futsch wie 2008. Danach war der Koalitionspartner die FDP.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2018
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