Erding:Gastronomie leidet unter ihrem Ruf

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Während der Tourismus im Landkreis boomt, wird es für die Gaststätten immer schwieriger, Personal zu finden: Lange Arbeitszeiten schrecken Jugendliche bei der Berufswahl ab

Von Regina Bluhme, Erding

Der Tourismus boomt in Bayern, auch im Landkreis Erding machen immer mehr Menschen Urlaub, übernachten und gehen essen. Doch so recht können sich die Gastronomen nicht freuen. Sie haben große Probleme, geeignetes Personal finden. Die Misere ist zum Teil hausgemacht, sagt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Sie verweist auf die niedrigen Löhne und die oft langen Arbeitszeiten und fordert ein Lohnplus von 100 Euro. Mehr Geld allein wird es aber auch nicht richten, sind die Wirte überzeugt. In der Region herrscht nahezu Vollbeschäftigung, der Markt ist leergefegt.

Über 1,1 Millionen Übernachtungen gab es im vergangenen Jahr im Landkreis, 7,3 Prozent mehr als im Jahr zuvor, schreibt die NGG Region-Oberbayern in einer Pressemitteilung und beruft sich auf das Statistische Landesamt. Jetzt sollten auch Mitarbeiter in der Gastronomie etwas vom Kuchen abbekommen, fordert die Gewerkschaft. In der bevorstehenden Tarifrunde im bayerischen Gastgewerbe verlangt sie ein Lohnplus für alle Beschäftigten von 100 Euro. Im Kreis Erding würden davon rund 4310 Menschen profitieren, so die NGG. Außerdem sollen die Azubi-Vergütungen um 75 Euro steigen.

"Vom großem Boom profitieren wir hier auf dem Land nicht so stark", sagt Sebastian Strasser, der Wirt vom gleichnamigen Gasthaus aus Oberbierbach. Er ist aber auch so genug ausgelastet mit Stammtischen, Hochzeiten und Familienfeiern. Beim Personal "passt es momentan", erklärt er, wobei er ausschließlich mit Aushilfen arbeite und ansonsten eben die ganze Familie mithelfe. Ohne Familie ginge es nicht, sagt auch Josef Stulberger vom Gasthaus Stulberger in Fraunberg. Auch er arbeitet in seinem Gasthof fast ausschließlich mit Aushilfen - doch auch die seien immer schwerer zu kriegen, fügt er hinzu. "Es ist eigentlich fast unmöglich, Personal zu finden." Studenten beispielsweise seien zwar immer wieder auf Jobsuche, aber die meisten seien nur kurzzeitig interessiert.

Jedes Jahr beweisen an der Berufsschule die Prüflinge im Gastrobereich ihre Fähigkeiten. Doch es gibt viel zu wenige Absolventen für den Bedarf. (Foto: Peter Bauersachs)

"Extrem schwierig" empfindet die Situation auch Horst Busch, Geschäftsführer der "Ratsstube im Schönen Turm" in Erding. "Ohne sehr viel Eigeninitiative geht nichts", betont er. Das heißt in seinem Fall: "Meine Frau und ich sind 14 Stunden am Tag auf den Füßen." Für ihn bestehe die Selbstständigkeit exakt aus zwei Worten: "Selbst und ständig", fügt er hinzu.

Ihm täten 100 oder 200 Euro mehr Lohn "nicht weh", sagt Bernhard Rötzer, Wirt vom Erdinger Gasthof "Zur Post" und zugleich stellvertretender Vorsitzender der Kreisgruppe des Hotel- und Gaststättenverbands. Die Region boome, "und wer ein bisserl auf Qualität achtet, der hat auch sein Geschäft", ist er überzeugt. Weh tut ihm allerdings, dass das Handwerk für die Jugendlichen nichts mehr wert sei, "und die Gastronomie ist noch viel weniger wert", so Rötzer. "Alle wollen studieren." Qualifiziertes Personal sei deshalb kaum zu bekommen. Selbst wenn die Wirte über Tarif zahlten.

Georg Schneider, der Geschäftsführer der NGG Region Rosenheim-Oberbayern, sieht die Sache so: "Mit einem Tarifvertrag bricht nicht automatisch Gerechtigkeit aus" , sagt er. "Wir reden hier von einer 39 Stunden Woche mit einem Bruttoverdienst von 2043 Euro für einen ausgebildeten Koch". Davon müsse man im Münchner Speckgürtel auch erst mal leben können. Geld sei wohl aber auch nicht nur der ausschlaggebende Grund, dass sich so wenige für eine Ausbildung oder einen Job in der Gastronomie interessierten. Seiner Ansicht nach schreckten die meisten die Arbeitszeiten ab. An Sonn- und Feiertagen, zu Uhrzeiten, an denen andere Feierabend haben und teilweise mit Chefs, die von den Mitarbeitern einen Rund-um-die-Uhr-Einsatz erwarteten. Er kenne Fälle, gerade in hochkarätigen Häusern mit bekannten Köchen, da müssten die Lehrlinge bis zu 16 Stunden schuften. Oft wohnten die Auszubildenden in der Gastronomie, dadurch würden Abhängigkeiten geschaffen und eine ständige Verfügbarkeit, wenn gerade irgendwo Not am Mann ist.

Viele Überstunden und diese zum Teil noch unbezahlt - die Gastronomie habe bei den jungen Leuten keinen so tollen Ruf, weiß Georg Schneider. Inzwischen kontrolliere immerhin der Zoll als Bundesbehörde stichprobenartig und aufgrund von Hinweisen, ob in Betrieben die vorgeschriebene Arbeitszeit eingehalten werde. So ganz verallgemeinern will Schneider die Situation in der Gastronomie aber doch nicht. Es gäbe neben den schwarzen Schafen auch viele weiße, räumt er ein. "Es ist ein Schachbrettmuster."

Nach Ansicht von Josef Stulberger ist das große Problem in der Erdinger Region, dass hier nahezu Vollbeschäftigung herrsche. "Der Markt ist leergefegt." Woher also Personal nehmen? Bernhard Rötzer probiert es immer wieder mit Flüchtlingen. Unter 120 Bewerbern habe er im vergangenen Jahr zwei gefunden, die jetzt in seiner Küche arbeiten. Mit Asylbewerbern habe er eher schlechte Erfahrungen gemacht. "Da haben Sie zum einen das Kommunikationsproblem", sagt Rötzer. Viele sprächen einfach noch zu schlecht Deutsch, "und wenn er meine Anweisungen in der Küche nicht versteht, wird es halt schwierig." Zum anderen hätten offensichtlich die meisten der Bewerber wohl noch nicht in der Gastronomie gearbeitet. "Einer hat sich innerhalb von zehn Minuten in drei Finger geschnitten", erinnert er sich. Jetzt will er abwarten, wie es mit den zwei Neuen in der Küche klappt, dort arbeiten sie mit zwei ausgebildeten Köchen zusammen, "wir könnten zwei weitere Köche dringend brauchen", erklärt Bernhard Rötzer.

Vielleicht ist ihm die Erfahrung von Josef Stulberger ein kleiner Trost. In seinem Gasthof arbeitet seit einem Jahr eine junge Frau. "Als sie bei uns begonnen hat, dachten wir, das ist vollkommen aussichtslos", erzählt der Gastwirt. "Ich glaube, sie hatte noch nie in einen Besen in der Hand gehabt." Doch die junge Frau habe Ehrgeiz gezeigt, wollte den Job - "und heute ist sie eine vollwertige Kraft für uns".

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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