Vom 1. Juni an werden die staatlichen Sozialleistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber nicht mehr auf ein Girokonto überwiesen, sondern auf einer Geldkarte gutgeschrieben. Bei der Bezahlkarte wird die Möglichkeit von Bargeldabhebungen auf maximal 50 Euro pro Monat beschränkt sein.
Von 2016 bis 2020 hat man im Landkreis Erding bereits Erfahrungen mit einer Geldkarte für Geflüchtete gesammelt. Doch gerade deshalb herrscht gedämpfte Stimmung bei allen Flüchtlingshilfeorganisationen in Erding. Ähnlich wie bei der neuen Bezahlkarte sollten Asylbewerber mit der Kommunalpass-Karte ihren Bedarf an Lebensmitteln und Kleidung in Geschäften bargeldlos decken. "Die Erfahrungen waren eher negativ", sagt Dakhaz Hussein von der Caritas in Erding: "Asylbewerber konnten in vielen Geschäften nicht einkaufen und die Karte funktionierte oft nicht wie erwartet".
Anfang dieser Woche und somit nur zwei Wochen vor der Einführung der neuen Bezahlkarte hatte das bayerische Innenministerium zu einem "Digitalen Dialog" eingeladen. Innenstaatssekretär Sandro Kirchner (CSU) und die für Asylfragen zuständige Ministerialdirigentin Heike Jung hörten sich an, was insgesamt 218 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus ganz Bayern zum Thema zu sagen hatten.
Den Vertretern der Regierung ging es um einen Austausch mit den Ehrenamtlichen, "um Praxiserfahrungen bei der Ausgestaltung des Bezahlkartensystems zu berücksichtigen, Unsicherheiten zu beheben und etwaige Missverständnisse aufzuklären." Zu hören bekamen sie aber vor allem harsche Kritik; auch aus dem Landkreis Erding, wo die Einführung der neuen Bezahlkarte die Aktionsgruppe Asyl, die Caritas und die Flüchtlingshilfe Dorfen schon seit Monaten intensiv beschäftigt.
"Wer wird denn die Flüchtlinge über die einzelnen bürokratischen Schritte der Nutzung der Bezahlkarte informieren?", fragt sich etwa Stephan Glaubitz, der Vorsitzende der Aktionsgruppe Asyl in Erding. Das Landratsamt Erding habe nur erwähnt, dass bei der Aushändigung der Bezahlkarten den Flüchtlingen Umschläge, in denen alle notwendige Informationen in verschiedenen Sprachen enthalten seien werden, zur Verfügung gestellt werden sollen. Glaubitz ist sich nicht sicher, ob das ausreichen wird.
Ein gewaltiges Problem könnte die Bargeldlimitierung darstellen. 50 Euro Bargeld im Monat erscheint vielen als zu wenig. Joseph Kronseder von der Flüchtlingshilfe Dorfen, weist darauf hin, dass unter anderem minderjährige Asylsuchende benachteiligt sein werden, da Schulen oft Bargeld für Ausflüge oder kleinere Ausgaben verlangen. Außerdem würden nach wie vor nicht wenige Händler nur Bargeld akzeptieren. Bis zum 1. Juni soll eine Liste veröffentlicht werden, die alle Geschäfte verzeichnet, die die Karte akzeptieren. Ob das rechtzeitig klappt und wer darin enthalten ist, bleibt vorerst unsicher.
Behörden könnten überwachen, was und wo Asylbewerber einkaufen
Aber wie sieht es aus mit Rechtsanwälten? Asylsuchenden bezahlen sie bislang im Regelfall per Überweisung. Wie soll das künftig möglich sein? Und werden bestimmte Leistungen wie das Deutschland Ticket, das es nur als digitales Abo gibt, auch für Geflüchtete noch verfügbar sein?
Anna Frölich, Rechtsanwältin und Expertin für Migrationsrecht, die schon oft mit der Aktionsgruppe Asyl in Erding und der Flüchtlingshilfe in Dorfen zusammengearbeitet hat, hat ganz grundsätzliche Bedenken: "Wie kann eine Person ihr Leben frei gestalten, wenn ihr durch das Bargeldlimit viele potenzielle Dienstleistungen versperrt werden?" Auch aus Datenschutzgründen äußert sie Sorgen, da die Möglichkeit bestehe, dass Behörden überwachen könnten, was und wo Asylbewerber einkaufen.
In den ersten drei Monaten wird die Verwendung der Bezahlkarte für Asylsuchenden auf den jeweiligen Landkreis beschränkt sein. Personen, die kein Asyl erhalten, werden die Karte dauerhaft nur in dem Landkreis verwenden können, in dem sie untergebracht sind. "Wie kann man das den Asylsuchenden zumuten, wenn sie aufgrund dieser Maßnahme nicht einmal mehr ihren Zahlverpflichtungen nachkommen können?", fragte Franz Leutner, einer der Sprecher der Flüchtlingshilfe Dorfen, während des digitalen Dialogs. Asylsuchenden könnten letztlich unabsichtlich in Inkassoverfahren verwickelt werden, was zu weiteren Belastungen oder sogar Gerichtsverfahren führen könnte.
"Man versucht die Landkreise zu entlasten und schafft gleichzeitig mehr Bürokratie."
Die im digitalen Dialog gestellten Fragen und die vorgebrachten Bedenken waren zahlreich. Die Antworten von Staatssekretär Sandro Kirchner und Ministerialdirigentin Heile Jung blieben meist vage und begrenzten sich oft auf ein lakonisches "wir arbeiten daran". Die vielen Unklarheiten und unzureichenden Detail-Informationen waren die Hauptgründe der meisten Beschwerden seitens der Flüchtlingshelfer und Verbandsvertreter.
Staatssekretär Kirchner hatte zu Beginn des Treffens erklärt, dass die Bezahlkarte auch dazu beitragen soll den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Letzteres bezweifelt Stephan Dünnwald, Mitglied des bayerischen Flüchtlingsrats. Er sieht vielmehr einen gegenteiligen Effekt: "Man versucht die Landkreise zu entlasten und schafft gleichzeitig mehr Bürokratie."
Zum Schluss des Austausches dankte Staatssekretär Kirchner mit sanften Worten den ehrenamtlichen Arbeiterinnen und Arbeiter, die "für die Integration Geflüchteter ein wichtiger Eckpfeiler" seien und für "ihre Leistung allerhöchsten Respekt" verdienen. Doch die zahlreichen Herausforderungen werfen bei den Ehrenamtlichen massive Zweifel auf, ob das ernst gemeint sein kann. Franz Leutner sagte, dass die Bezahlkarte nicht nur Geflüchtete Menschen ausgrenze, sondern auch eine "mangelnde Rücksichtnahme gegenüber der ehrenamtlichen Arbeit" erkennen lasse.