Süddeutsche Zeitung

Erding:Entspannung in fließenden Bewegungen

Die 74-jährige Ballett-Meisterin Feli Haag bietet auch Kurse für Erwachsene an. Die sind begeistert, obwohl sie den Sprung auf die große Bühne nicht schaffen werden

Sarah Schiek

Aufmerksam verfolgt Ballettmeisterin Feli Haag die Bewegungen ihrer Schülerinnen. Der kleinen, zierlichen Dame entgeht nichts: "Der Arm bleibt neben dem Kopf, er geht nicht voraus", ruft die 74-Jährige den acht Frauen an der Ballettstange zu. Schon seit 47 Jahren gibt die ehemalige Profitänzerin aus Waldkraiburg Ballettunterricht. Seit 13 Jahren lehrt sie auch an der Volkshochschule Erding. Dort bietet Haag neben dem Unterricht für Kinder und Jugendliche auch Ballett für Erwachsene an. Ein Kurs, der sich trotz anfänglicher Skepsis seitens der Fachbereichsleitung großer Beliebtheit erfreut.

"Insgesamt sind wir etwa 15 Leute. Die acht, die heute da sind, gehören sozusagen zum harten Kern", erzählt Haag. Zwischen 30 und 65 Jahren sind ihre Schülerinnen alt. Manche tragen Trainingshose und Shirt, andere Strumpfhosen, Body und Röckchen, die Haare zum Dutt gesteckt. "Auch im Erwachsenenalter kann man Ballett lernen - wenn auch nicht als Beruf", sagt Feli Haag, die nach ihrer Ausbildung am Münchner Händel-Konservatorium unter anderem an der Wiener Volksoper getanzt hat. Denn selbst, wer von Kindesbeinen an trainiere, schaffe nur selten den Sprung auf die Bühnen der großen Opernhäuser. Schließlich gehören neben Ehrgeiz und Disziplin auch besondere körperlichen Voraussetzungen zu einer Ballettkarriere. Gerade bei den Erwachsenen, die das Tanzen als Hobby betreiben, stehe vor allem der Spaß im Vordergrund.

Ballett war mein Kindheitstraum und ich wollte damit anfangen, bevor ich zu alt bin", erzählt Bettina. Vor zwei Jahren habe sie angefangen, sei "auch ein Alteinsteiger", meint die 33-Jährige lachend. Andere, wie die 31-jährige Martha, haben bereits als Kinder getanzt und nach längerer Pause wieder mit dem Ballett begonnen. "Ich habe zwar mit 16 Jahren aufgehört, aber es hat mich nie richtig losgelassen", erzählt sie. "Mit 28 habe ich dann wieder angefangen und abgesehen von der Baby-Pause bin ich seitdem dabei."

Auch Christa, 43, die vor vier Jahren zum ersten mal Ballett ausprobiert hat, möchte den Unterricht nicht mehr missen. "Das ist mein Sport", sagt die 43-Jährige begeistert. Im Vergleich mit ihrer Tochter, die ebenfalls Ballett tanzt, sehe sie zwar, dass es als Erwachsener mehr Anstrengung erfordere, die Bewegungsabläufe zu verinnerlichen. Trotzdem freue sie sich jede Woche auf die eineinhalb Stunden bei Feli Haag. "Die klassische Musik, die fließenden Bewegungen, das ist Entspannung für mich."

Was nach dem Aufwärmen kommt, sieht allerdings weniger entspannend als vielmehr nach einer koordinativen Herausforderung aus. "Changement aus der fünften Position, rond de chamb und grand battement", gibt Ballettmeisterin Haag die französischen Anweisungen. Im Takt der Musik versuchen ihre Schülerinnen, Sprünge und Drehungen möglichst elegant umzusetzen, werfen die Beine nach hinten und wirbeln in Pirouetten durch den Raum. Haag hat sie stets im Blick. "Vielleicht können wir alle mit dem selben Bein anfangen", mahnt sie schmunzelnd. "Bei zwei Stück ist die Auswahl ja nicht so groß."

Trotz unterschiedlicher Vorkenntnisse und Leistungsstände versteht sich die Gruppe bestens. "Wir sind hier ganz offen und nett aufgenommen worden, auch als absolute Ballett-Neulinge", schwärmt Bettina. Beim nächsten Kurs im September will sie wieder dabei sein. Bis es soweit ist, treffen sich die Frauen außerhalb der Volkshochschule, wenn auch nicht zum Trainieren. "Wir dürfen hier ja eigentlich nicht so viel reden", erzählt Martha kichernd. "Deshalb machen wir während der Ferien einen Stammtisch."

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Quelle:
SZ vom 27.07.2012
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