Erding:Einsam unter Müll

Menschen mit einem Messie-Syndrom leiden häufig an schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Durch zwanghaftes Sammeln und Horten kompensieren sie fehlende soziale Kontakte. Solche Fälle gibt es auch in Erding

Ines Alwardt

Messie

Bei zwangsweisen Wohnungsöffnungen wissen die Mitarbeiter des Gesundheitsamts und von Rettungsdiensten nie, was sie drinnen erwartet

(Foto: oh)

Die Bilder wirken abstoßend und erschreckend: Unter den Möbeln liegen stinkende Tierkadaver, angefaulte Essensreste gammeln vor sich hin. Der einzige Weg führt durch Stapel alter Zeitungen und Verpackungsmüll, aufgetürmt zu meterhohen Wänden. "Messies" nennt der Volksmund Menschen, die in derart verwahrlosten Wohnungen leben, abgeleitet vom englischen Wort "Mess" für Unordnung. Dabei stecken in etwa fünfzig Prozent der Fälle schwerwiegende psychische Erkrankungen hinter dem sogenannten "Vermüllungs-Syndrom". Die Betroffenen horten Dinge, können nichts wegschmeißen und sich am Ende nicht aus eigener Kraft aus ihrem Chaos und Leid befreien. Oft leben sie völlig zurückgezogen - auch im Landkreis Erding.

In 20 Fällen mussten die Hygieneaufseher des Gesundheitsamtes im vergangenen Jahr einschreiten, fünf davon waren "grenzwertig", sagt Christina Centner vom Landratsamt Erding. Die Kontrolleure werden immer dann aktiv, wenn möglicherweise Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz vorliegen: Wenn zum Beispiel ansteckende Krankheiten drohen oder eine mögliche Rattenplage, die sich durch den Müll im Haus entwickeln kann. Grundsätzlich müsse sich auch der Vermieter um die Zustände in der Wohnung kümmern - in vielen Fällen komme es bis zur Androhung einer Räumungsklage.

Aufmerksam gemacht werden die Behördenmitarbeiter durch Berichte der Polizei, Nachbarn, Verwandte und Freunde, aber auch durch Pflegedienste und Krankenkassen. "Vermüllung, vor allem wenn Tiere im Haushalt leben, fällt durch extreme Geruchsbelästigung schon vor der Haustür auf", sagt Centner. Mit den Betroffenen in Kontakt zu kommen, sei jedoch meist schwierig. Dafür brauche es sehr viel Geduld.

Menschen, die unter dem Messie-Syndrom leiden, scheuen soziale Kontakte und vermeiden es, andere in ihre Wohnung zu lassen. In solchen Fällen kann die Behörde nichts machen. Nur wenn zu befürchten ist, dass ein Messie sich selbst etwas antut oder ihm bereits etwas zugestoßen ist, darf die Wohnung ohne sein Einverständnis geöffnet werden. "Wenn keine Gefahr in Verzug ist, muss man oft längere Zeit zuschauen und abwarten, ob der Zustand schlimmer wird", sagt Centner.

Christian Caspari, Leiter des Rettungsdienstes beim Bayerischen Roten Kreuz Erding hat schon viele Messie-Wohnungen gesehen. Wenn er und seine Kollegen zu einem Haus gerufen werden, ist meist ein internistischer Notfall oder eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie der Grund. Manchmal ist Caspari auch bei Wohnungsöffnungen dabei. Dann weiß er nicht, was ihn drinnen erwartet - ob der Mensch noch lebt oder bereits verstorben ist. "Das sind schon heftige Eindrücke." Besonders in Erinnerung bleibt ihm ein Bild, er nennt es den "Zeitungsfall". Als er die Wohnung betrat, wunderte er sich über die niedrigen Decken. Bis er auf den Boden schaute: Da lagen Zeitungen, einen Meter dick aufgestapelt. "Wir dachten zuerst, das wäre der Fußboden", sagt Caspari. "Ich weiß nicht, über wie viele Jahre dieser Mensch die Zeitungen gesammelt hat."

Marianne Bönigk-Schulz vom Bundesverband deutscher Messies war früher selbst betroffen. Sie erklärt das Messie-Syndrom als "Störung des automatischen Handelns in der eigenen Wohnung". Für Betroffene sei das Sammeln und Horten eine Art Beziehungspflege, die die sozialen Kontakte ersetze und ihnen Sicherheit gebe. "Das ist natürlich fatal."

Eine eindeutige Ursache können Mediziner für das Messie-Syndrom nicht ausmachen. Matthias Dose, Ärztlicher Direktor am Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sagt: "Grund für die Verwahrlosung ist meist eine andere Erkrankung." Manchmal schicken Angehörige oder die Gesundheitsämter Betroffen in seine Klinik. Per Gerichtsbeschluss wird in einigen Fällen auch eine vorübergehende Unterbringung angeordnet.

Ein chronisches, fortgeschrittenes Alkoholproblem, eine Demenzerkrankung oder eine schizophrene Störung seien oftmals Gründe, warum die Patienten ihre Wohnungen derart vernachlässigten. In fachärztlichen Diagnose-Handbüchern findet sich der Begriff Messie-Syndrom nicht. "Die Menschen, die zu uns kommen, bei denen liegt eine Erkrankung vor, die mit dem Messie-Syndrom in Verbindung steht," sagt Dose. Zudem müsse man unterscheiden, ob jemand psychisch krank oder "nur" ein Messie sei und diese Lebensart frei gewählt habe: "In solchen Fällen würde ich fragen: Wollen Sie ihre Wohnverhältnisse ändern? Und brauchen Sie dabei Hilfe?"

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