Süddeutsche Zeitung

Erding:Ein Jahrhundertbau

In den gläsernen Anbau des Gewandhauses Gruber kehrt Leben ein: Am Wochenende wurden die ersten Etagen bezogen. Die meisten Kritiker sind mittlerweile überzeugt

Mathias Weber

Heimlich, still und leise: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Gewandhaus Gruber seinen gläsernen Erweiterungsbau am Wochenende eröffnet. Obwohl - leise ist es rund um das gläserne Gebäude noch nicht. Vor dem Anbau brummt der Bagger, innen wuseln die Bauarbeiter noch zwischen den Kleiderständern umher, streichen die letzten Stellen, kümmern sich um die Elektronik. Das Innere des Anbaus ist im Industrie-Look gehalten, schmiedeeiserne Treppen und Geländer, die Leitungen an der Decke liegen offen. Würde nicht schon die Kleidung auf den Ständern hängen und in den Regalen liegen - man wüsste gar nicht, wo die Baustelle aufhört und der Gruber anfängt.

Doch die letzten Bauarbeiten sollen in zwei Wochen beendet sein, wenn der Neubau offiziell eröffnet wird, sagt Hugo Gruber, Chef des Gewandhauses Gruber. Das Untergeschoss ist noch nicht ganz fertig, er hofft, den Betrieb dort nächstes Wochenende aufnehmen zu können. Gruber lädt ein zum Rundgang durch den Neubau. Wie sich zeigt, hat das Unternehmen geklotzt, nicht gekleckert: Der Anbau mit der markanten Fassade hat nicht nur eine aufregende Architektur, sondern bietet auf fünf Stockwerken Platz für 2500 Quadratmeter Verkaufsfläche.

Zum Vergleich: Der Altbau hat 5000 Quadratmeter, eine Vergrößerung auf einem Schlag um 50 Prozent. Auf dem Holzfußboden, der im Kontrast zum Industrie-Look steht, finden sich alle Abteilungen wieder: Männer-, Frauen-, und Kindermode. Auch die Sportabteilung ist jetzt hier untergebracht, zuletzt war sie gegenüber im kleinen Sporthaus. Dort wiederum ist nun die Unterwäsche-Abteilung, auch deren Fläche hat sich durch den Umzug verdoppelt.

Wer die Treppe bis in den obersten Stock des Anbaus nimmt, der muss schwindelfrei sein: Die Aussicht auf die Gasse draußen und die vier Stockwerke darunter ist schwindelerregend. Überhaupt, die Architektur: Sie ist außergewöhnlich für die Erdinger Innenstadt, mit ihrer Glasfassade und den schiefen Wänden. Der Dekonstruktivismus, ein Baustil, der durch den Architekten Daniel Libeskind im Berliner Jüdischen Museum erstmals in Deutschland realisiert wurde, hat nun auch in Erding Einzug gehalten. Lange habe man darüber nachgedacht, was man aus der Ecke Am Rätschenbach/Maurermeistergasse machen solle, wo früher abrissreife Häuser standen. Historisierende Giebelhäuser waren im Gespräch: "Wir haben hundert Varianten durchgespielt", sagt Gruber, "aber am Ende haben wir uns für eine moderne Variante entschieden." Zusammen mit einem Architekturbüro hat Gruber dann die jetzige, kantige Form entwickelt.

Die Bauexperten von Stadt und Landkreis waren dieser Architektur gegenüber offen, die Stadtpolitik war darüber geteilter Ansicht, und die Bevölkerung "erwartungsgemäß" auch. "Passt denn so etwas in die Altstadt?", hätten die Menschen gefragt. Gruber hat geantwortet: "Es geht darum, dass eine Altstadt funktioniert, wir wollen eine lebendige Altstadt und kein Museum mit historisierenden Gebäuden." Es gehöre eben zu einer lebendigen Stadt dazu, dass einmal im Jahrhundert ein neues Gebäude gebaut werde.

Heute seien die meisten Kritiker von damals überzeugt, und die Erdinger äußerten sich zu 80 Prozent positiv über den Bau, sagt Gruber. Er freut sich über seinen gelungenen Anbau, aber über die Kosten schweigt er sich aus. Nur so viel lässt sich Gruber entlocken: "Es ist klar, dass so ein Gebäude mehr kostet als eine Kiste in der Peripherie."

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Quelle:
SZ vom 13.11.2012
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