Erding/Dorfen:Trinken und Trauma

Ein 46-Jähriger Dorfener legt sich im Rausch immer wieder mit der Polizei an. Ursache seines Verhaltens sind fürchterliche Erlebnisse in seiner Kindheit

Von Thomas Daller, Erding/Dorfen

Die Kombination aus Alkohol und dem Anblick uniformierter Polizeibeamten führt bei einem 46-jährigen Dorfener zu einem totalen Kontrollverlust: Er beleidigt und bedroht sie und leistet bei seiner Festnahme Widerstand. Deswegen hat er bereits drei Freiheitsstrafen absitzen müssen, weitere 18 Verurteilungen stehen in seinen Akten. Der bislang letzte Vorfall dieser Art ereignete sich im November vergangenen Jahres und dafür musste er sich nun vor dem Amtsgericht Erding verantworten. Von einer Haftstrafe sah der Richter ab: Der Mann hat ein schweres Kindheitstrauma, bei dem auch die Polizei eine unrühmliche Rolle gespielt hat.

Als Kind litt er nicht nur unter einem gewalttätigem Stiefvater, sondern wurde sowohl von einem Bekannten der Familie missbraucht als auch von Mitgliedern einer Sekte vergewaltigt, denen er gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt wurde. Er wandte sich an die Polizei, die ihm aber kein Wort glaubte und ihn einfach wegschickte. Im Alter von 13 Jahren begann er zu saufen und im Rausch bricht dieses Trauma immer wieder durch. Nach etlichen Entziehungskuren lebt er mittlerweile monatelang trocken. Aber ein einziger Rückfall reicht, um ihn wieder in Schwierigkeiten zu bringen.

So war es auch am 28. November, als ihm seine Freundin den Laufpass gegeben hatte. Er soff sich mit Bekannten durch zwei Dorfener Kneipen, bis er schließlich im Johanniscafé landete, wo er mit einem anderen Gast in Streit geriet. Deswegen rief er selbst die Polizei an, die eine Streife schickte. Als die Beamten ihn als Zeugen vernehmen wollten, gab er bei den Personalien nur seinen Nachnamen an, spuckte auf den Streifenwagen, bezeichnete sie als Masturbierende und versuchte dann zu flüchten. Daraufhin brachte man ihn gefesselt zur Inspektion und stecke ihn in eine Ausnüchterungszelle. Dann sollte er sich aus Sicherheitsgründen bis auf die Unterhose ausziehen, damit er sich nicht beispielsweise mit dem Gürtel erhängen könnte. Polizeibeamte, die ihm "helfen" wollten, sich zu entkleiden - da brannten auch die letzten Sicherungen bei ihm durch: "Er hat fast zu weinen begonnen, gefleht, das nicht zu tun", schilderte ein Polizeibeamter, der als Zeuge geladen war. Als er dann auch noch anfing, seinen Kopf gegen die Zellenmauern zu schlagen, entschieden die Polizisten, ihn ins Bezirkskrankenhaus nach Taufkirchen verlegen zu lassen. Bis die Rettungssanitäter zur Stelle waren, uriniert der 46-Jährige noch in den Zellengang, versuchte einen Polizisten zu treten und gab wirre Drohungen von sich. Erst im Isar-Amper-Klinikum, das ihm vertraut ist, beruhigte er sich wieder. Drei Polizeibeamte zeigten ihn nach diesem Vorfall wegen Widerstand, Beleidigung und versuchter Körperverletzung an.

Siegfried Wiesböck, der Verteidiger des Angeklagten, erklärte in der Verhandlung, dass er das Verhalten des Angeklagten nicht entschuldigen wolle und sich die Polizeibeamten sich das auch nicht bieten lassen müssten. Allerdings hätte es auch nicht so weit kommen müssen, sagte Wiesböck. Denn die Ausgangssituation sei lediglich eine Zeugenbefragung gewesen. Und vor allem dürfte den Dorfener Polizisten bekannt gewesen sein, unter welchem Trauma sein Mandant leide. Schließlich habe es bereits zig Vorfälle dieser Art gegeben. Und anstatt auf Deeskalation zu setzen, hätten die Beamten offenbar nach dem Motto verfahren: "Dem zeigen wir es mal."

Richter Andreas Wassermann verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe, obwohl die Staatsanwaltschaft acht Monate ohne Bewährung gefordert hatte. Er schärfte dem Angeklagten jedoch ein, dass ein weiterer Vorfall dieser Art unweigerlich eine Haftstrafe nach sich ziehen werde. An dem Verhalten der Polizeibeamten fand Wassermann nichts auszusetzen: "Ihr Handeln war aus meiner Sicht rechtmäßig und noch innerhalb der Grenzen dessen, was verhältnismäßig ist", sagte er in der Urteilsbegründung.

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