Erding:Das Hindernis in den Köpfen

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Der Erdinger Inklusionsbeauftragte Walter Rauscher referiert beim CSU-Stammtisch über ein schwieriges Thema

Von Wolfgang Schmidt, Erding

18,1 Millionen Menschen mit Behinderung gibt es in Deutschland - wobei als behindert gilt, wer länger als ein halbes Jahr mit seiner Einschränkung leben muss. 87 Prozent der behinderten Kinder besuchen einen normalen Kindergarten, an den Schulen beträgt die entsprechende Quote 22 Prozent. 58 Prozent finden eine Arbeitsstelle. Und noch eine Zahl nannte Walter Rauscher. Nur jede fünfte Arztpraxis ist so eingerichtet, dass sie von Rollstuhlfahrern ohne Probleme aufgesucht werden kann. Erdinger Zahlen hatte Rauscher, Erdinger Stadtrat und auch dessen Inklusionsbeauftragter, zwar nicht parat, aber dass in der Großen Kreisstadt Inklusion ein echtes Anliegen sei, sah er beim traditionellen CSU-Stammtisch im Kreuzeder am Sonntagmorgen schon in seiner Person bewiesen. Sonst hätte man seine Position ja nicht schaffen müssen.

Erding hat auf dem Gebiet der Inklusion nach Rauschers Meinung schon einiges geleistet oder ist gerade dabei, das zu tun. Das fängt beim Internetauftritt an, den auch Blinde nutzen könnten, setzt sich fort über die 16 Behindertenparkplätze, über die die Stadt mittlerweile verfügt, und beweise sich auch bei den öffentlichen Behindertentoiletten. Beim Umbau des Kronthaler Weihers stehe der Gedanke ebenso im Vordergrund wie bei der Modernisierung des Rathauses. Selbst von denkmalgeschützten Gebäuden lasse sich die Stadt im Sinne der Barrierefreiheit nicht aufhalten. Rauscher nannte das Anwesen Rätschenbach 12. Ein Aufzug könne dort zwar nicht gebaut werden. Aber über einen Durchbruch zur benachbarten Bücherei habe man das Hindernis überwinden können.

Ideen sind also gefragt. Ganz wichtig: Inklusion müsse im Kopf anfangen, mehr noch, Inklusion müsse etwas ganz Selbstverständliches werden. Rauscher zog als Beispiel die Mülltrennung heran. Bei deren Einführung hätten die meisten damals auch gefragt, was das denn solle, ob man denn verrückt sei. Und heute? Weiter gedacht bedeute das, Politik, Bauträger und Architekten müssten die Barrierefreiheit bei allen Projekten automatisch als Maßstab anlegen.

Das sagt sich so leicht - und ist doch so schwer nachzuvollziehen. Die Runde entdeckte die Grenzen der Selbstverständlichkeit der Inklusion schon bei sich selbst. Ist es tatsächlich besser, ein behindertes Kind in die Regelschule zu schicken? Ist dieses denn nicht in einer sozialpädagogischen Einrichtung besser aufgehoben, wo es von ausgebildeten Fachleuten betreut wird? Rauscher sah dort Grenzen gesetzt, wo eine zweite Lehrkraft eingesetzt werden müsse, um den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten. Zumal es diese Kräfte, so ein Beitrag aus dem Publikum, auf dem Markt ja gar nicht gebe. Und die Zeiten, wo es den Begriff "Hilfsschule" gab, seien ja gottlob auch vorbei. Also sei es notwendig, dass auch bei den Eltern ein Umdenken einsetze. Und es klang schon ziemlich bedauernd, als Rauscher das Fazit zog, dass man das Kind dann in die Regelschule schicken müsse, wenn die Eltern es unbedingt wollten. Die Inklusion ist ein ganz schwieriges Feld - da hat der Erdinger Inklusionsbeauftragte durchaus recht mit seiner Feststellung.

© SZ vom 21.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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