Erding:Das Ende einer Leidenschaft

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"Frei nach Pestalozzi. Mit Herz, Hand und Hirn" - 27 Jahre lang war das das Motto von Christina Nuspl. Jetzt übernimmt Angelika Stolzenberger die Leitung des Städtischen Kindergartens Sankt Antonius

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

Nach 27 Jahren als Erzieherin tritt am 1. September die Leiterin des Städtischen Kindergartens Sankt Antonius, Christina Nuspl, in den Ruhestand. "Die Zusammenarbeit mit meinem Team und der Stadt Erding war ein ständiges Geben und Nehmen in einer Wohlfühl-Atmosphäre. Ich bin jeden Tag mit Leidenschaft in die Arbeit gegangen", sagte Nuspl am Montag. In einem Pressegespräch stellte Oberbürgermeister Maximilian Gotz die Nachfolgerin vor: Angelika Stolzenberger aus Langengeisling.

Geboren 1952 in München, will Christina Nuspl zunächst Lehrerin werden. Der Besuch des Gymnasiums ist aber aus familiären Gründen nicht möglich, sodass sich Nuspl für den Beruf der Erzieherin entscheidet. "Es ist phantastisch, die drei- bis sechsjährigen Kinder in diesem Lebensabschnitt zu begleiten und zu fördern. Man kann sehr viel bewegen", sagt sie. Nach Realschule und Vorpraktikum zieht sie mit ihrem Mann Anfang der 1970er-Jahre nach Bockhorn, es folgt die Geburt der beiden Kinder. Erst 1979 setzt sie ihre Ausbildung über das Telekolleg fort und leitet als Berufspraktikantin den Kindergarten in Isen: "Das wäre heutzutage unmöglich." Da nach dem Abschluss 1982 im Landkreis Erding jedoch keine Halbtagsstelle frei ist, arbeitet sie die kommenden sechs Jahre als Pfarrsekretärin. 1988 übernimmt sie eine Mutterschutzvertretung in St. Antonius - und "bleibt hängen". 1993 wird sie Stellvertreterin von Schwester Simone, im Herbst 2000 tritt sie an die Spitze des Kindergartens.

Über eine Generation hinweg fühlt sich Nuspl für die "ganzheitliche Erziehung" der Kleinen verantwortlich. Ihr Motto: "Frei nach Pestalozzi. Mit Herz, Hand und Hirn." Ein Zeitraum, in dem sich die Gesellschaft verändert hat, die Ansprüche an die Erzieherinnen gestiegen sind und mehr gesetzliche Vorgaben eingehalten werden müssen. Während ihrer Anfänge, sagt Nuspl, habe es vor- und nachmittags noch Wechselgruppen gegeben. Mittlerweile würden die Kinder, deren "Bewegungsdrang" deutlich ausgeprägter sei, bis zum frühen Abend betreut. Gleichzeitig seien die Gespräche mit den Eltern intensiver geworden. Nuspl ist überzeugt: "Das Wohl der Kinder ist nur möglich, wenn wir auch die Mütter und Väter erreichen und sie unterstützen." Infolge der zunehmenden Reizüberflutung durch Medien müssten die Erzieherinnen verstärkt Fähigkeiten wie die Konzentration auf eine bestimmte Sache, Aufmerksamkeit und gegenseitiges Zuhören fördern. Die Anzahl an Mädchen und Jungen, die heilpädagogische Unterstützung benötigten, weil ihnen zum Beispiel die Integration in die neue Gruppe schwerfalle, sei größer geworden. Nicht immer könne man jedoch diesen Bedürfnissen gerecht werden. Nuspl: "Manche gesetzlichen Vorgaben wie die übermächtige Dokumentationspflicht sind übertrieben und kosten zu viel Zeit, die ich lieber für die Kinder verwenden würde."

Gotz lobte Nuspls "Aufgeschlossenheit für Neuerungen, gepaart mit gesunder Skepsis". Scharfe Kritik übt die Leiterin am 30. September als Stichtag für die Einschulung. Es entstehe zusätzlicher Leistungsdruck, um die, die im Juli, August oder September geboren sind, "noch rechtzeitig fit für die Schule zu machen". Die Folge: Mehr Schützlinge würden in das Vorschulprogramm aufgenommen, obwohl sie dafür "emotional noch nicht reif" seien. "Man nimmt ihnen ein Jahr, in dem sie sich spielerisch weiterentwickelten. Das halte ich für eine schwierige Situation." Versäumnisse sieht Nuspl beim geschaffenen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz: "Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man sich über die Personalfrage Gedanken machen müssen." Dass sich immer weniger Menschen für den Beruf entscheiden, hält sie für eine "brisante Entwicklung" und plädiert: "Für die lebensnahe Ausbildung zur Erzieherin ist kein Abitur notwendig."

Von Mecklenburg-Vorpommern nach Bayern: Angelika Stolzenberger, 43, ist Erzieherin mit "Leib und Seele". (Foto: Schmidt)

Im Rückblick ist Nuspl stolz auf die nach und nach gewachsene Kooperation zwischen den Einrichtungen im Landkreis Erding. "Die Leiterinnen der Kindergärten befinden sich nicht in einer Konkurrenzsituation, sondern treffen sich drei Mal im Jahr und ziehen, wo es möglich ist, an einem Strang." Auch die Zusammenarbeit mit den Grundschulen habe sich verbessert. Christina Nuspl verlässt Sankt Antonius mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits werde sie die Zeit mit ihrer Familie genießen, andererseits ihre Kollegen vermissen: "Mein Herzblut steckt in diesem Kindergarten." OB Max Gotz sagte: "Sie dürfen die hohe Wertschätzung der Kinder und Eltern genießen, die Sie noch nach Jahren auf der Straße wiedererkennen."

Mit Beginn des neuen Kindergartenjahres übernimmt Angelika Stolzenberger die Leitung. Die gebürtige Rostockerin lebt seit 1994 im Landkreis Erding und freut sich auf die Herausforderung, "alle Fäden in der Hand zu halten". Die Erzieherinnen von Sankt Antonius hat sie bereits kennengelernt. Als Leiterin möchte sie noch stärker mit den Eltern zusammenarbeiten. Stolzenberger ist überzeugt: "Nur wenn wir gemeinsam in einem Boot sitzen, können die richtigen Entscheidungen getroffen werden."

© SZ vom 30.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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