Unangemeldete Demos: "Wir sehen uns auf der Straße"

Die Protestmärsche von Impfpflichtgegnern, Leugnern der Pandemie und Verschwörungsgläubigen haben angeblich keine Veranstalter. Im einschlägigen Telegram-Chat liest sich das ganz anders. Der AfD-Ableger "Erdinger Patrioten" mischt kräftig mit.

Was heißt da schon unangemeldete Demonstration. Das trifft es nicht. Es ist ja schon seit Wochen jeden Montag das Gleiche in Erding. Jeden Montagabend führt die Polizei, nach Absprache mit dem Landratsamt, Hunderte von Impfpflichtgegnern, Pandemieleugnern und Verschwörungsgläubigen, die sich auf dem Schrannenplatz versammeln, über gesperrte Straßen durch die Stadt. Bei den letzten zwei Versammlungen und Protestmärschen wurden etwa 1500 Teilnehmer gezählt. Es waren die größten Demos dieser Art im Großraum München. Und wie sieht es mit einer Maskenpflicht aus? Fehlanzeige.

Im einschlägigen Telegram-Chat mit dem Titel "Erdinger Freiheitsforum", der fast 1000 Mitglieder hat, wird die Rolle der Polizei gewürdigt. Kurz nach Weihnachten schreibt ein Nutzer: "Wir sollten auch mal das tolle Management der Polizei in Erding hervorheben. Das ist einfach perfekt! Herzlichen Dank dafür!" Es finden sich reichlich weitere Dankesbekundungen. Doch nicht alle sind so zufrieden. Eine Nutzerin, die sich die Kinderbuchfigur Lillifee als Erkennungsbild ausgesucht hat, murrt: "Ich frage mich warum wir bis 19.17 Uhr wie Schäfchen (sogar mit Zeitansageservice) stehen und warten, bis es losgeht." Man sollte selbst entscheiden, wann es losgeht und das nicht der Polizei überlassen.

Die Mehrheit im Telegram-Chat ist aber der Ansicht, es sei gut wie es ist. In einem sind sich die Nutzer eh einig: dass die Montagsmärsche, die in Erding vom Landratsamt geduldet und von der Polizei geführt werden, ihre eigenen Aktionen sind. Daran gibt's nichts zu rütteln. In der Chatgruppe wird ein Wir-Gefühl stark betont. Nicht nur für eine harmonische Gruppendynamik, sondern auch aus einem zweiten Grund: Die führenden Köpfe können sich hinter dem "Wir" zurückziehen und die Behörden foppen, die hilflos nach den Organisatoren der Demos fragen.

Der Telegram-Chat "Erdinger Freiheitsforum" ist nichts Geheimes. Jeder kann dabei sein. Der Inhaber, so heißt bei Telegram der Administrator, macht das zur Eröffnung des Chats im Oktober 2020 deutlich: "Es ist eine offene Gruppe." Es ist verblüffend, wie sehr hier alle Erwartungen an eine Impfgegner- und Pandemieleugner-Gruppe erfüllt werden. Der Chat läuft über mit weitergeleiteten antiwissenschaftlichen und antidemokratischen Beiträgen. Mit nur einem Klick landet man bei den abstrusesten Verschwörungserzählungen. Da ist von der Pandemie als "vorgeplantem Verbrechen" die Rede, oder, dass mit Impfungen "Menschen in einem gigantischen, organisierten Feldversuch vorsätzlich getötet" werden. Es finden sich antisemitische Narrative, Reichsbürger-Gewäsch und haarsträubende Verdrehungen aller Art.

Im Chat-Verlauf findet sich auch ein 15 Minuten langes, Ende November vergangenen Jahres aufgenommenes Video, in dem der Chat-Inhaber und der Moosinninger Frank Beughold, Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbands und des AfD-Ablegers Erdinger Patrioten, sich unter anderem "einfach mal vorstellen und zeigen will, wer wir sind". Die beiden sitzen, die Ellenbogen aufgestützt in einer Wohnung an einem Tisch, im Hintergrund steht ein hellbrauner Schrank mit Grünzeug oben drauf. Der Chat-Inhaber beginnt und erzählt, dass er seit April 2020 "auf der Straße" sei, "als es noch gar keine organisierten Demos gab". Seine Gruppe "mit über 300 Mitgliedern" sei die "Erdinger Freiheit". Die Erdinger Patrioten "sind unsere Freunde", denn sie "organisieren und schützen auch unsere Demos, Aktionen und Spaziergänge". Und weiter: "Wir haben sehr enge und freundschaftliche Bande miteinander und streiten Hand in Hand für unsere Freiheit und gegen die faschistische Diktatur."

Frank Beughold nickt und berichtet, dass er vor zweieinhalb Jahren in die AfD eingetreten sei, "weil das für mich die einzige Partei ist, (...) die überhaupt noch an Rechtsstaatlichkeit glaubt". Dann erklärt er, warum er und "ein Dutzend von AfDlern aus Erding" im Frühjahr 2020 die Erdinger Patrioten gegründet haben: "Weil wir innerhalb der AfD keine Möglichkeit mehr gesehen haben, unser Land wirkungsvoll zu vertreten, an Infoständen und so weiter - man redet nicht mit der AfD. Da sind wir auf die Idee gekommen (...), dass wir selbst Demos, unpolitisch, ohne Parteikennzeichen, in Erding machen wollen." Und so entstand schon bald die Zusammenarbeit, sagt Beughold im Video und blickt zu seinem Freund rüber: "Ich manage mit ihm zusammen die Erdinger Freiheit und er hat viel Anteil und Mitarbeit bei den Erdinger Patrioten."

Das Gruppen-Symbol der Erdinger Patrioten war früher ein Flügel auf blauem Hintergrund. "Flügel" nennt sich bekanntermaßen auch der offiziell aufgelöste völkisch-nationale Parteiflügel der AfD um Björn Höcke. Die Erdinger Patrioten haben ihr Gruppensymbol irgendwann um einen zweiten Flügel erweitert. Auch das Logo über dem Telegram-Chat Erdinger Freiheitsforum zeigt zwei Flügel. Das ist wirklich ein gelungener Einfall, wie man die Kooperation symbolisch darstellen kann.

Am Ende des Videos bekräftigen die Zwei ihre Freundschaft und ihre Intentionen. AfD-Mann Beughold sagt, sie seien "freiheitlich-christlich orientierte Kämpfer für unser Vaterland und unsere Heimat". Das Schlusswort hat der andere: "Und jetzt widmen wir uns wieder den richtigen und wichtigen Sachen - wir sehen uns auf der Straße."

Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) sieht bislang keinen Grund, die Montags-Protestzüge zu unterbinden. In einer Presseerklärung heißt es: Wegen der "bisher friedlichen Verläufe (...) wurde in Abstimmung zwischen den Sicherheitsbehörden des Landkreises und der Stadt Erding sowie der Polizeiinspektion Erding entschieden, vorerst auf eine Allgemeinverfügung mit weitergehenden Regelungen zu verzichten."