Erding:Charakteristische Dynamik

Das Museum Erding verfolgt ein ganzheitliches und interaktives Konzept mit Themenschwerpunkten zur Stadtentwicklung. Als Schlüssel für den Aufbruch der Stadt gilt der Anschluss an die Eisenbahnlinie im Jahr 1872

Von Alexandra Maier

Tonpfeifen

In Raum drei befinden sich Fragmente von gebrannten Tonpfeifen, die nahe Erding auf einem Feld gefunden wurden und direkt an der Erdoberfläche zum Vorschein kamen. 

(Foto: Florian Peljak)

Die Archäologie kann einen Haken setzen. Ihre Abteilung im Museum Erding ist vor wenigen Tagen eröffnet worden und findet großen Zuspruch. Die Beine hoch legen kann dort aber noch niemand. Denn die Planungen für ein neues, ganzheitliches und interaktives Museumskonzept gehen in die entscheidende Phase. Albrecht Gribl ist von der Stadt beauftragt, das Konzept für die weiteren Räume zu entwickeln und die Arbeiten fachlich zu begleiten. Schon im Oktober soll die nächste der noch ausstehenden drei Abteilungen eröffnet werden.

"Stadt-Entwicklung" - so nennt Gribl, der viele Jahre bei der Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern gearbeitet hat und in dieser Zeit eine Vielzahl von Museumsprojekten betreute, die zweite Abteilung im Erdgeschoss. Auf den etwa 220 Quadratmetern sollen von Oktober an Exponate und Texte das erklären und darstellen, was früher vielfach einfach unter "Stadtgeschichte" gefasst wurde. Gribl hat diesen Begriff nicht so gern. Er ist ihm zu sehr rückgewandt. Sein Konzept soll "mehr nach vorne blicken" und vor allem auch die jüngsten Ereignisse einschließen. "Man will das zeigen, was charakteristisch für eine Stadt ist", sagt er, "und bei Erding ist das die Dynamik. Das soll am Ende jedem Besucher klar sein."

Wenn die Abteilung fertig ist, wird sie fünf Räume umfassen, davon vier kleinere, die dem "Alten Erding" gewidmet sein sollen und einem großen Raum, der allein fast so groß ist, wie die anderen zusammen und in dem "die neue Zeit" behandelt werden soll. Gribl war in den vergangenen Wochen damit beschäftigt, die im Fundus vorhandenen Objekte rundherum um spezielle Themen aus der Erdinger Geschichte zu gruppieren. "Früher hat man oft zu sehr auf die Sammlung geschaut", sagt er, "die ist auch wichtig, keine Frage. Aber am wichtigsten sind die Themen, über die es etwas zu berichten gibt." Und davon hat der Wissenschaftler weit mehr als genug gefunden. Aber auch an Objekten mangelt es ihm nicht. Im Depot unter dem Museum lagern rund 44 000 Exponate. Viele von ihnen sind kostbare Einzelstücke. So wie der Eichenkasten aus dem 14. Jahrhundert, der bei der alten Aufstellung im Museum gar nicht bedacht war. Das wird sich nun ändern. Gribl hat für den schweren, eisenbeschlagenen Tresorschrank aus Reichenkirchen einen Platz gleich im ersten Raum auserkoren. "Das Besondere an diesem Stück ist, dass er aus einem Stück gefertigt wurde. Ein richtiges Einbaum-Möbel."

Der zweite Raum soll den Titel "Werden der Stadt" tragen. Dort geht es um Wappen- und Namensgeschichte und das Bild der Stadt. Bildquellen vom späten 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart werden zu sehen sein. Auf einer großen Wand sollen rund 150 Postkarten die Entwicklung und auch die Veränderung des Erdinger Stadtbildes illustrieren.

Der nächste Raum steht ganz im Zeichen von Handel und Gewerbe. "Meine Idee war es, alles um die Schranne herum zu positionieren", erklärt Gribl. Das Erdinger Weißbräu ist zwar heute weltweit bekannt, aber auch schon in der Vergangenheit war Erding eine Bierstadt. "Vilshofen und Schärding, Traunstein und Erding, sind der Städte vier, wo man trinkt das beste Bier", zitiert Gribl aus einer Volksüberlieferung des 17. Jahrhunderts. Da verwundert es nicht, dass der Bierkultur eine große Fläche in der neuen Ausstellung gewidmet sein wird. Und noch eine weitere Besonderheit erwartet die Besucher in Raum drei: etwa 5000 Fragmente von gebrannten Tonpfeifen, die nahe Erding auf einem Feld gefunden wurden. "Alles Oberflächenfunde, das heißt, sie waren nicht tief in der Erde, sondern konnten vom Boden weggeklaubt werden", erklärt Gribl.

Durch gute Beziehungen zu anderen Museen ist es Gribl gelungen, einige bedeutende Objekte als Leihgaben nach Erding zu holen. So hofft er, dass auch ein sogenannter Schandkragen aus dem 17. Jahrhundert, der dem Nationalmuseum gehört, aber ursprünglich aus Erding stammt, "für ein paar Jahre dableiben kann".

In Raum vier geht es um das Zunftwesen, das aufgrund der guten Sammlung in diesem Bereich mit zahlreichen Zunftzeichen und anderen Requisiten dargestellt werden kann. An der Schwelle zu Raum fünf kommt ein klarer Schnitt. Licht und Farbe sollen den Besucher später erkennen lassen, dass "jetzt etwas Neues kommt" sagt Gribl. Hier beginnt die jüngere Geschichte Erdings, die Gribl um die drei Schwerpunkte Eisenbahn, Fliegerhorst und Flughafen gruppieren will. "Es ist einfach wichtig zu erkennen, dass diese drei Dinge zusammengehören. Ohne Eisenbahn hätte es keinen Fliegerhorst gegeben, ohne Fliegerhorst keinen Flughafen und Erding hätte eine ganz andere Entwicklung genommen", sagt er. Die Eröffnung der Eisenbahnlinie Markt Schwaben - Erding im Jahr 1872 hält er für ein "entscheidendes Ereignis, das die Dinge gewendet hat". Damit kamen Aufbruch und Mobilität. Die Eisenbahn sieht er als Erdings "Anschluss zur Welt."

Der letzte Raum lässt jedoch auch die schweren Zeiten für die Erdinger Bevölkerung nicht aus. Eine komplette Bombe aus dem zweiten Weltkrieg wird ausgestellt sein, ebenso eine Granate, die zur Kaffeekanne umfunktioniert wurde, und sinnbildlich dafür steht, mit wie wenig die Menschen sich nach den Kriegen arrangieren mussten. Die erste Geothermiebohrung 1983, die Eröffnung von Flughafen und Therme in den Jahren 1992 und 1999 sowie die Erhebung zur Großen Kreisstadt sind die letzten Ereignisse, die das Museumskonzept beleuchtet. "Da schließt sich der Kreis wieder", sagt Gribl.

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