Süddeutsche Zeitung

Erding:Cannabis freigeben? Das ist jetzt die Frage

Lesezeit: 2 min

Die Diskussion um die Legalisierung nimmt gerade wieder Fahrt auf. Die Polizeigewerkschaft warnt vor einem "großen Fehler". Der Suchtberater verweist auf "Droge Nummer Eins", den Alkohol

Von Regina Bluhme, Erding

"Legalize Erbeereis" heißt ein Lied der Band Gnadenkapelle aus dem Landkreis Erding. Worauf der Text anspielt, ist klar: Die Legalisierung von Cannabis. In die Debatte ist gerade wieder Bewegung gekommen. Nach SPD, FDP und Grünen hat vor kurzem auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, CSU-Politikerin Daniela Ludwig, die Bereitschaft zu Veränderung anklingen lassen. Während sich Thomas Pölsterl von der Suchtberatungsstelle Prop Erding eine Freigabe ab einem Alter von 25 Jahren vorstellen kann, ist Florian Leitner, stellvertretender Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft aus Erding, strikt dagegen.

Für Daniela Ludwigs Parteikollegen, Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, geht die Forderung zur Legalisierung "nicht in die richtige Richtung", wie die Pressestelle des Justizministeriums auf Nachfrage der SZ schreibt. Auch eine teilweise Entkriminalisierung wäre "das falsche Signal". Grundsätzlich sei "jeder unerlaubte Umgang mit Cannabis verboten". Die Staatsanwaltschaft könne aber von einer Strafverfolgung absehen, wenn es nur um den Eigenverbrauch einer "geringe Menge" geht, die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. "Geringe Menge" heißt in Bayern wie auch in den meisten anderen Bundesländern: bis zu sechs Gramm beziehungsweise drei "Konsumeinheiten". Strafverfolgungsbehörden könnten dabei "stets Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigen", so das Ministerium.

Das Amtsgericht Erding hat mit Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gut zu tun. Tendenz steigend. Wie Pressesprecher Martin Lindinger informiert, gab es von 1. Januar bis 15. Oktober 2020 allgemein "wegen Vergehen oder Verbrechen nach dem BtMG" 145 Verfahren, im gleichen Zeitraum 2021 wurden 199 Verfahren gezählt.

Florian Leitner von der Polizeiinspektion Erding, Vorsitzender der Kreisgruppe Erding der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Bayern und stellvertretender GdP-Landesvorsitzender, sieht die Legalisierung von Cannabis "sehr kritisch", wie er in einer Pressemitteilung schreibt. "Unserer Ansicht nach ist es ein großer Fehler, Cannabis nach dem Motto ,ein Joint, was ist schon dabei' zu verharmlosen und damit einer gefährlichen Droge Tür und Tor zu öffnen." Als stellvertretender Landesvorsitzender der GdP Bayern warne er davor, Cannabis "weich" zu reden, so Leitner, da die gesundheitlichen Gefahren und durch den Drogenkonsum entstehenden sozialen Konflikte explizit im Bereich der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein unkontrollierbares Risiko darstellten. "Cannabis macht abhängig und ist eine Einstiegsdroge zu härteren Drogen, zudem sinkt mit einer Freigabe auch die Hemmschwelle, Cannabis zu konsumieren", so Leitner.

Die Annahme, dadurch den Schwarzmarkt zu bekämpfen, sei "schlichtweg falsch", denn auch weiterhin würden Drogen wie Cannabis an zum Beispiel Minderjährige verkauft. "Genauso kommt es auch nicht zu einer Entlastung der Polizei, da durch die Freigabe eine vermehrte Einnahme von Cannabis und damit auch vermehrte Straftaten und Verkehrsunfälle unter Drogeneinfluss zu erwarten sind." Die Zahl der Übergriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte steige stetig an und stehe oft in Zusammenhang mit Alkohol- und vor allem aber auch Drogenmissbrauch.

Thomas Pölsterl von der Suchtberatungsstelle Prop Erding wäre für die Legalisierung von Cannabis, "aber erst für Konsumenten ab einem Alter von 25 Jahren". Es sei wissenschaftlich bewiesen, dass erst dann die Hirnentwicklung abgeschlossen sei. Vor allem für ganz junge Konsumenten, ab 13 oder 14 Jahren, könne Cannabis Veränderungen im Gehirn bewirken, zuweilen irreversibel, mit "wirklich bösen Folgen". Dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, könne die Suchtberatungsstelle nicht bestätigen, sagt Thomas Pölsterl.

Freilich sehe er aber auch die Befürchtung der Polizei, dass sich dann Jugendliche bei Straffreiheit erst recht zum Konsum eingeladen fühlen könnten. Wenn die Legalisierung tatsächlich kommen sollte, müssten deshalb zum einen die Präventionsmaßnahmen neu aufgestellt und verstärkt werden und zugleich die Jugendschutzbestimmungen hochgefahren werden, ähnlich den Vergabekriterien bei hartem Alkohol. Apropos: "Wenn Sie mich vor 20 Jahren zum Thema Legalisierung von Cannabis befragt hätten, hätte ich als erstes gesagt: ,Ich bin für die Illegalisierung von Alkohol", so Pölsterl. "Alkohol ist immer noch Droge Nummer Eins."

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Quelle:
SZ vom 18.10.2021
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