Erding:Breit aufgestellt

Die Johanniter haben im Rot-Kreuz-Landkreis Erding mit ganz unterschiedlichen Projekten inzwischen mehr als nur einen Fuß in der Tür

Von Wolfgang Schmidt

Christian Haberkorn rollt mit seinem schweren Motorrad auf den Hof. Er entschuldigt sich für die Verspätung. Auf der Autobahn war ein Unfall und da "ist es blöd, wenn man einfach vorbei fährt". Der Rettungsdienstleiter der Johanniter für Bayern schaut bei der Wache in Langenpreising einmal im Monat vorbei. Einen neuen Standort aufzubauen, ist nie leicht. Noch schwerer ist es, wenn man wo hinkommt, wo es einen vorher noch gar nicht gab. Der Landkreis Erding ist Rot-Kreuz-Land. Und die Rettungswache in Langenpreising war der allererste Farbtupfer, den die Johanniter am 1. Juni 2015 in die für sie bis dahin weiße Landkarte setzten. Inzwischen sind zwei Tupfer hinzugekommen, zwei weitere sollen in Kürze folgen. Und dabei soll es nicht bleiben, man wolle "auf die gesellschaftlichen Herausforderungen mit praktischer Hilfe antworten", sagt Margit März vom Regionalvorstand der Johanniter.

Irgendwie ist man in Langenpreising immer noch mit dem Aufbau beschäftigt - was sich daran zeigt, dass es noch Probleme mit dem Internet gibt. Ansonsten hat sich an der Landshuter Straße einiges getan, was die Unterkunft angeht. Denn einsatzbereit waren die Johanniter vom ersten Tag an. Es gibt inzwischen einen Aufenthaltsraum mit Fernseher und Couch, separate Umkleiden und Toiletten für Damen und Herren - und zum Duschen müssen die Mitarbeiter nicht mehr in die benachbarte Fabrikhalle. Dummerweise waren drei Männer beim Kaufen des Duschvorhangs unter sich, darauf prangt jetzt ein Logo der Route 66. Die "Mädels waren da anfangs nicht ganz von Verständnis geprägt", sagt Wachleiter Sascha Börner. Wenn das Teil einmal ausgewechselt werden muss, dann können sich die "Mädels" ja revanchieren.

Erding: Drei, die sich verstehen (von links): Susanne Schönwälder, Constantin von Stechow und Miriam Wolf.

Drei, die sich verstehen (von links): Susanne Schönwälder, Constantin von Stechow und Miriam Wolf.

(Foto: Renate Schmidt)

Der 39-jährige Börner ist Chef von sechs festen und 13 ehrenamtlichen Mitarbeitern und seit 23 Jahren im Rettungsdienst. Sein Job ist ihm in die Wiege gelegt worden, schon sein Vater und der Großvater waren in diesem Metier tätig. Das Einsatzgebiet der Wache ist ungewöhnlich groß: Es reicht von Erding bis Taufkirchen, von Landshut bis Freising und erstreckt sich bis Nandlstadt. Am Tag vor dem SZ-Besuch hatten die Johanniter neun Einsätze. Da gab es kaum ein Ausspannen, beide Schichten sind durchgefahren. Durchschnittlich absolvieren die Rettungskräfte fünf bis sechs Einsätze am Tag, Börners persönlicher Rekord war eine Nachtschicht mit sieben Ausfahrten.

Das Verhältnis zur Bevölkerung ist gut. Börner sagt, er habe nur von einer Beschwerde "gehört". Wegen des Rolltors an der Garage. Das funktioniert nicht elektrisch, sondern wird über eine Kette hochgezogen. Wenn die dann nachts um 2 oder 3 Uhr hoch- und runtergeht, lärme das schon ein bisschen. Ansonsten ist die Lage direkt am Ortseingang durchaus von Vorteil. "Wir müssen nicht Feuerwehr spielen", sagt Börner. Die Sirene werde erst dann eingesetzt, wenn man schon aus dem Ort draußen sei. Es sei denn, es geht Richtung Zustorf/Berglern. Denn in Langenpreising und Zustorf gilt komplett rechts vor links. "Und nach jedem zweiten Hauseck kommt irgendwo eine Straße raus". Dann, sagt Börner, sei man leider gezwungen, das Horn einzusetzen - man fahre ja im Einsatz nicht 30 oder 50, sondern 60 oder 70. Gut ist auch der Draht zur Feuerwehr. Mitglieder der Erdinger Feuerwehr fahren bei den Johannitern ehrenamtlich, was auch für einige Kollegen von der Leitstelle gilt. Es sei "sehr hart" gewesen, sich als Johanniter in einem Landkreis des Roten Kreuzes durchzukämpfen, doch mittlerweile geht die Arbeit Hand in Hand, sagt Börner.

Erding: Betreuer für die jungen Flüchtlinge in Bachham (von links): Sabine Weiß, Khaled Mohamed, Dorothea Dietl

Betreuer für die jungen Flüchtlinge in Bachham (von links): Sabine Weiß, Khaled Mohamed, Dorothea Dietl

(Foto: Renate Schmidt)

Nach seinen Erfahrungen in der Stadt scheint der 39-Jährige die Landluft richtig zu genießen, was er unschwer an einigen Dingen festmachen kann. Die Zeiten, als es Eier und Speck zur Verpflegung gab, sind auch in Langenpreising vorbei, dafür gibt es beispielsweise Mon Cherie - als Dank für die Hilfe, die der Oma geleistet wurde. Generell gilt, die Städter "sind sehr unfreundlich". Diametral ist der Unterschied bei der Qualität der Einsätze. Auf dem Land riefen die Leute meistens erst dann an, wenn es fast schon zu spät sei. In München werde sich in den Finger geschnitten und gleich der Rettungsdienst gerufen. Ganz speziell ärgert sich Börner über ein anderes Phänomen. Von zehn Einsätzen seien in München ein oder zwei gerechtfertigt, der Rest seien die Partygänger, "die ihre zwei Promille erreicht haben und alleine nicht mehr nach Hause kommen. Früher haben die Kumpels angepackt, heute lässt man ihn auf der Straße sitzen" - und die Johanniter bringen ihn ins Krankenhaus. Natürlich helfe man auch den Betrunkenen, aber daran leide unter Umständen die 76-Jährige mit dem schweren Herzinfarkt, die auf das Rettungsfahrzeug warten müsse. Und es gibt noch einen gravierenden Unterschied: In München fährt der Helfer pro Einsatz im Schnitt sechs Kilometer, hier in Langenpreising sind es 40 bis 70 Kilometer.

Von Langenpreising geht es weiter Richtung Fraunberg, wo die Johanniter in einem ehemaligen Bauernhaus seit dem 12. Januar minderjährige Flüchtlinge im Alter von 15 bis 17 Jahren betreuen. Nach Bachham fahren Referentin Susanne Schönwälder und Johanniter-Pressesprecherin Miriam Wolf voran. In dem großen und hellen Haus warten mit Sabine Weiß, Khaled Mohamed und Dorothea Dietl drei Betreuer auf das SZ-Team. Die Jugendlichen sind in der Schule. Sabine Weiß ist Vermieterin und Betreuerin in einer Person und hat erlebt, wie das sein kann, wenn man sich junger Flüchtlinge annimmt. Sie hat erfahren müssen, wie von einem Tag auf den anderen Bekannte und Freunde einfach wegbleiben. Es sei schon besser geworden, aber ein paar Hartnäckige gebe es immer noch. Es ist schwer zu verkraften, wenn man gefragt wird, wie könnt ihr, mit zwei blonden Kindern, solche Jugendliche aufnehmen?

Erding: Ein Duschvorhang nach Männergeschmack.

Ein Duschvorhang nach Männergeschmack.

(Foto: Renate Schmidt)

Auch Susanne Schönwälder weiß, dass die Stimmung besser geworden ist. Sie war bei der jüngsten Gemeinderatssitzung dabei. Am Anfang waren viele Fragen, viel Skepsis, jetzt kommen keine Beschwerden mehr, sagt Schönwälder. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Jugendlichen selbst aktiv wurden, beim Anlegen von Froschzäunen und auch bei anderen sozialen Projekten der Gemeinde geholfen haben. Schönwälder sagt, der Bürgermeister "steht voll hinter uns und zwar von Anfang an". Am 29. April beginnt um 17 Uhr in Bachham ein Hoffest, dann wird Hans Wiesmaier zum ersten Mal persönlich vorbeischauen und ein Fass Bier mitbringen. Hoffentlich alkoholfrei. Wenn nicht, ist das auch nicht weiter schlimm. "Die Jugendlichen trinken eh lieber Limo", sagt Sabine Weiß. Dann bleibt auch für die Nachbarn mehr vom Freibier - wenn sie denn über ihren Schatten springen können. "Die kommen", sagt die Vermieterin.

Khaled Mohamed sagt, diese Angst vor Fremden und dem Unbekannten sei ganz normal. Er ist in Kairo geboren. Von Ägypten wanderte er nach Jordanien, danach in den Irak, nach Holland und nun nach Bachham, Ortsteil von Fraunberg. Der Weltenbummler spricht neben seiner Muttersprache "ein bisschen Deutsch, ein bisschen Englisch, ein bisschen Holländisch" - alle am Tisch lachen - von wegen "ein bisschen". Mohamed sagt aber auch, "es geht nicht um Sprache, wenn ein Mensch einen anderen Menschen verstehen will, dann ist es egal, was er spricht".

Erding: Im Zimmer in Bachham wohnen minderjährige Flüchtlinge .

Im Zimmer in Bachham wohnen minderjährige Flüchtlinge .

(Foto: Renate Schmidt)

Die derzeit zehn Jugendlichen aus Eritrea, Pakistan, Afghanistan, Irak, Syrien und Guinea jedenfalls haben sich in dem Gehöft eingerichtet. Schönwälder sagt, sie sei sich bei der Ankunft "ganz sicher" gewesen, dass die Jugendlichen aus dem Auto aussteigen und auf der anderen Seite direkt wieder einsteigen. "Ich war baff, wie ich alle strahlen gesehen habe." Ihr nicht gerade geringes Scherflein hat Schönwälder selbst dazu beigetragen. Hatte doch sie dafür gesorgt, dass es in der "Pampa" Internet-Anschluss gibt. Freitags vor der Anreise hatte sie einen Freund angerufen - dienstags kamen die Jungs und sie hatten Wlan. "Ohne Internet hätten wir richtig Probleme", bestätigt Mohamed. Denn das ist oft der einzige Kontakt nach Hause, um zu erfahren, wie es Mutter und Vater geht.

Ansonsten haben sich die Kids mit dem eher beschaulichen Leben in Bachham arrangiert. Sie halten ihre Zimmer sauber, es existiert ein Plan für den Küchendienst und für die Tätigkeiten, die sonst noch so in einem Haushalt anfallen. Sogar einen Kochdienst gibt es. Auf der großen Wiese hinter dem Haus lässt sich sehr gut Fußballspielen, drei von ihnen haben sich schon den örtlichen Vereinen angeschlossen. Beim Kegeln in Wartenberg beim Reiterbräu waren sie auch schon und haben von dort das Versprechen mitgenommen, wiederkommen zu dürfen - kostenlos. Durch Spenden darf auch jeder ein Fahrrad sein eigen heißen. Die Jugendlichen besuchen alle sogenannte Integrationsklassen in der Berufsschule, einige nutzen freiwillig das Nachhilfeangebot am Nachmittag. Die Hälfte von ihnen hatte noch nie zuvor eine Schule von innen gesehen. Wahrscheinlich geben sie sich auch deshalb so viel Mühe. "Die lernen um zehn Uhr abends noch. Die wollen einfach", sagt Sabine Weiß.

Erding: Sascha Börner wurde sein Faible für den Rettungsdienst quasi in die Wiege gelegt.

Sascha Börner wurde sein Faible für den Rettungsdienst quasi in die Wiege gelegt.

(Foto: Renate Schmidt)

Die sieben Betreuer, die in vier Schichten arbeiten, und die minderjährigen Flüchtlinge sind innerhalb kürzester Zeit zu einer Großfamilie geworden. Wobei es eminent wichtig war, einen sich anbahnenden Konflikt zwischen den Christen aus Eritrea und den Muslimen nicht eskalieren zu lassen. Dorothea Dietl erzählt, wie Mohamed den Streit über die Glaubensrichtungen geschlichtet hat. Der Christ bekam eine Bibel, der Muslim einen Koran, jeweils in Deutsch. Dann haben sich die beiden die Hand gegeben. "Das war nicht für uns gemacht, das kam wirklich von denen", sagt Dietl.

Nach Fraunberg werden die Johanniter jetzt in Wartenberg eine zweite Betreuungsstelle einrichten. Momentan läuft in der ehemaligen Gaststätte "Siebenbürger" am Marktplatz der Umbau. Voraussichtlich am 1. Juni können dort 16 Jugendliche einziehen.

Die nächste Station liegt auf dem Wartenberger Klinikgelände. Es geht durch drei Türen, die typisch sind für das Ambiente - Krankenhausatmosphäre eben. Hinter der vierten aber erwartet den Besucher eine andere Welt. Im Café Glückszeit gibt es nicht nur ein Plüschsofa, auch sonst scheint hier die Zeit etwas stehen geblieben zu sein. Am 1. Januar 2015 hat Susanne Schönwälder bei den Johannitern angefangen. Das Demenz-Café war das erste Projekt, das auf ihrem Schreibtisch gelandet ist -da will man seine Sache besonders gut machen. Nach einem halben Jahr kamen ihr Zweifel, ob tatsächlich alles so läuft, wie es laufen sollte. Schönwälder rief bei der Alzheimer Gesellschaft in München an. Sie sagte, es komme ihr alles etwas schleppend vor im Café Glückszeit und erhoffte sich wohl einen guten Rat, wie man es vielleicht besser machen könne. Vier regelmäßige Gäste besuchten die Demenzeinrichtung nach einem halben Jahr, sagte Schönwälder. Sie hörte ein lautes Lachen. Ihr Gegenüber sagte: "Das ist doch super. Bei uns hat es ein Jahr gedauert, bis überhaupt jemand regelmäßig gekommen ist."

Erding: Der "Siebenbürger" wird die nächste Flüchtlingsunterkunft.

Der "Siebenbürger" wird die nächste Flüchtlingsunterkunft.

(Foto: Renate Schmidt)

Klinik-Geschäftsführer Constantin von Stechow sieht im Café Glückszeit die logische Weiterentwicklung seiner Bestrebungen, das Thema Demenz in seinem Hause zu besetzen. Die Mitarbeiter werden deshalb immer wieder zu Fortbildungskursen geschickt. Aber die Patienten, die in der Reha sind, gehen irgendwann wieder nach Hause und werden dann von der Klinikseite her nicht weiter versorgt. Von Stechow sagt, "wir hielten es für selbstverständlich, dass wir hier einen Raum günstig zur Verfügung stellen".

Dienstags von 14 bis 17 Uhr hat das Café Glückszeit geöffnet. Es wird nicht nur Kaffee getrunken. Jahreszeitengemäß wird an Ostern, Weihnachten oder im Fasching Schmuck gebastelt. Etwas Gymnastik steht auch auf dem Programm, sodass die Gäste "ein bisschen ganzheitlich davon profitieren", wie Schönwälder sagt. Und nicht zuletzt sollen auch die Angehörigen entlastet werden. Deshalb wurde das Angebot erweitert. Leiterin Andrea Schöngruber und Lucia Linnack machen Hausbesuche, bieten den Angehörigen etwas Zeit für sich. "Diese müssen Kraft finden für sich, damit sie wieder Kraft finden für ihre Angehörigen", sagt von Stechow. Zu den Betreuerinnen im Café Glückszeit gehören noch Monika Brunner und Theresia Huber, die sich "glänzend ergänzen", schwärmt Schönwälder.

So wie es aussieht, könnte auf dem großzügigen Gelände an der Badstraße schon bald eine neue Kooperation zwischen Klinik und Johannitern starten, das ziemlich genaue Gegenteil zum Demenz-Café. Die Johanniter haben mehr als 80 Kindereinrichtungen und dass Klinik-Geschäftsführer von Stechow ein Faible für die Gründung eines Waldkindergartens hat, ist allgemein bekannt. Das wäre im Norden des Erdinger Landkreises das vierte Projekt der Johanniter. "Verlässlichkeit zahlt sich halt aus", sagt von Stechow und lacht, weil die Worte etwas abgedroschen klingen mögen. Aber er meint es durchaus ernst.

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