Süddeutsche Zeitung

Umwelt und Natur in Erding:Eine neue Vogelart überwintert im Landkreis

Ein Phänomen für Ornithologen: Wiederholt werden Brachvögel bei Eichenkofen gesichtet. Das ist neu und wirft die Frage auf, was die Wiesenbrüter hier hält. Ein Rätsel und seine Lösung.

Von Thomas Daller, Erding

An den Anblick von Störchen, die den Winter über in der Region bleiben, hat man sich schon fast gewöhnt, obwohl Störche im Schnee schon ein seltsames Bild abgeben. Aber in diesem Winter hat nun auch eine Vogelart im Landkreis überwintert, von der man das überhaupt nicht erwartet hatte: der Große Brachvogel, erkennbar am typischen langen, leicht gebogenen Schnabel. Sechs dieser Wiesenbrüter hat Thomas Schreder, Vorsitzender des Erdinger Kreisjagdverbandes, diesen Winter wiederholt zwischen Eichenkofen und Tittenkofen beobachtet. Das ist erstaunlich, findet man beim Landesbund für Vogelschutz. Allerdings hat es in den vergangenen Jahren bereits Hinweise gegeben, dass es soweit kommen könnte.

Der Große Brachvogel bevorzugt extensiv genutztes Grünland, Moore und Feuchtwiesen. Auch Ackerflächen werden genutzt, das beruht Experten zufolge aber meistens auf der hohen Standorttreue der Vögel, wenn es sich dort um ehemalige vorhandene Moorflächen handelt.

Brachvögel kamen bis vor wenigen Jahrzehnten häufig im Erdinger Moos und im Isental vor. Doch mit immer mehr Entwässerung und landwirtschaftlicher Nutzung verloren sie ihren Lebensraum und die Bestände gingen zurück. Eine gegenläufige Entwicklung kam in der Region jedoch am Flughafen im Erdinger Moos zustande, wo sich die Tiere offenbar nicht um die startenden und landenden Maschinen scheren. Zuletzt wurden dort 2017 insgesamt 94 Brutpaare gezählt. Das ist angesichts von rund 500 Brutpaaren in Bayern eine stattliche Kolonie.

Der Große Brachvogel, der zur Familie der Schnepfen zählt, gilt als Kurzstreckenzieher, der in Südeuropa und Afrika überwintert. Junge Brachvögel ziehen mit ihren Eltern dorthin und kommen erst im Alter von drei bis vier Jahren zurück, wenn sie geschlechtsreif sind, sagte Andreas van Lindeiner, Biologe am Landesbund für Vogelschutz (LBV).

Die Vögel, die in Deutschland auf der Roten Liste stehen, ernähren sich von Wirbellosen wie Würmern und Schnecken, fressen aber auch pflanzliche Kost wie Samen oder Früchte. Insekten verschmähen sie ebenso wenig wie gelegentlich kleine Eidechsen. Als klassische Zugvögel gelten sie insbesondere, weil sie mit ihren Schnäbeln im Winter nicht in den gefrorenen Böden bohren können und ihnen daher die Nahrung fehlt.

Mit dem Klimawandel hat sich für die Brachvögel wohl diese Ausgangssituation geändert. Vor mehr als 20 Jahren fielen die ersten Brachvögel auf, die am Chiemsee überwintern. Dort fanden sie Nahrung im Uferschlick. Auch im Altmühltal überwintern einige Brachvögel. Diesen Winter dürfte es in Bayern eine Zahl im mittleren zweistelligen Bereich gewesen sein, die vor allem an diesen beiden Standorten überwintert haben, sagte der LBV-Biologe van Lindeiner. Zudem gebe es etliche Sichtungen am Bodensee. Große Wasserflächen spielen wohl eine Schlüsselrolle.

Der bekannte Dorfener Naturfotograf Andreas Hartl hat die Tiere im Winter am Chiemsee beobachtet. Sie würden sich dort an den Hangschultern am See und in Schlickseen aufhalten, wo sie "den Schnabel bis zum Anschlag in den Boden reinhauen". Auch für Hartl, der die Vögel seit seiner Kindheit im Isental kennt, ist deren Überwintern bei Eichenkofen eine faustdicke Überraschung. Aber er hat einen Verdacht: ob es dort grundwassergespeiste Kiesweiher gebe, die im Winter nicht zufrieren? Denn an deren Ufer könnten sie Nahrung finden. Ein weiterer Anruf bei Thomas Schreder bringt Gewissheit: Ja, es gebe ganz in der Nähe seiner Sichtung zwei Kiesweiher, einer sei auch in diesem Winter permanent offen gewesen. Damit ist das Rätsel offenbar gelöst.

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SZ vom 03.03.2021/kafe
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