Erding:Bis an die eigenen Grenzen

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Drei Frauen im Landkreis beherbergen in ihren Privaträumen entlaufene und gefundene Tiere. Abhilfe schafft nun das neue Heim in Kirchasch, das im nächsten Jahr eröffnet wird

Christoph Schleicher

- Ilse Jehl ist tapfer. Denn Ilse Jehl muss sich trotz Meniskusleiden um bis zu dreißig Katzen kümmern. Die Tierschützerin betreibt seit 15 Jahren eine von drei Tier-Auffangstationen des Tierschutzvereins Erding. Und das wird noch bis zum Frühjahr nächsten Jahres so bleiben. Dann öffnet das neue Tierheim am Gnadenhof für Tiere in Kirchasch in der Gemeinde Bockhorn seine Pforten. "Das Engagement des Tierschutzvereins läuft auf 250 Prozent", sagte Landrat Martin Bayerstorfer vor wenigen Tagen beim Richtfest des Tierheims. Diese Zahl beschreibt in etwa auch das Arbeitspensum, das die Rentnerin Jehl für ihre Tiere ableistet. Dabei wird sie von Tierliebhaberin Solveig Wanninger tatkräftig unterstützt. Die Tierschützer nehmen entlaufene Vierbeiner, Vögel und exotischere Exemplare bei sich auf, um sie dann an ihre Besitzer zurückzugeben oder weiterzuvermitteln.

"Wer Menschen kennt, der liebt Katzen", sagt Tierschützerin Ilse Jehl. Entlaufene Vierbeiner, Vögel und sogar Wasserschildkröten nimmt sie bei sich auf. Falls möglich, vermittelt sie diese an ihre Besitzer zurück. (Foto: Renate Schmidt)

Bei den Auffangstationen handelt es sich nicht bloß um eine Hundehütte oder einen Zwinger im Garten. Es sind die Privathäuser und Räume von Ilse Jehl, Christa Manschek, Vorsitzende des Tierschutzvereins, und Gabi Eibl, die eine Pflegestelle in Wartenberg hat. Wer Jehls Haus in Altenerding betritt, kann deren Liebe zur Katze nicht übersehen. In allen Ecken stehen Kätzchenstatuen aus Keramik, besonders ängstliche Katzen bekommen von der Hausbesitzerin Extra-Streicheleinheiten. In einem Raum, der einmal das Kinderzimmer von Jehls Sohn war, kümmert sich die "Mami" um vier Katzen-Babys. Wäre die Mutter nicht, so müssten alle vier von den Tierschützern mühsam mit der Flasche großgezogen werden. Im Nebenzimmer, das einst ein Badezimmer war, befinden sich heute ebenfalls Katzen. Sie genießen den Meerblick auf Jehls Swimmingpool.

Jehl erzählt vom grausamen Schicksal eines ihrer Schützlinge. "Ein Mann gab bei uns eine Katze ab, die er immer eiskalt duschte", sagt Jehl. Nachdem er sich entschlossen hatte, Mönch in Indien zu werden und allem Materiellem zu entsagen, war ihm das Tier zu nichts mehr nütze. "Er ließ die Katze oft fallen, um zu sehen, ob sie auf den Füßen landet." Es ist diese Gleichgültigkeit, die Jehl sprachlos macht, wie sie sagt.

Wo sich früher einmal der Keller ihres Hauses befand, ist heute die Quarantänestation. Kranke Tiere müssen hier eine bestimmte Zeit lang bleiben, bevor sie nach oben dürfen. An Tür und Wand sind Kratzspuren von Katzen, die von ihren Besitzern massiv misshandelt wurden. Dort liegt auch Minka, "die Dicke". Die Katze kann sich kaum bewegen, weil der Freund ihrer Besitzerin sie rücksichtslos überfüttert hat. "Der wollte sich bei ihr einschmeicheln", sagt Jehl. Wer sie streicheln möchte, erntet lediglich ein Fauchen und einen tieftraurigen Blick.

Die Katzen, die sich in Quarantäne befinden, sind laut Jehl die schwereren Fälle. Richtig schwierig wird die Situation im Haus jedoch, wenn die Katzenseuche ausbricht. "Das ist ein für Menschen ungefährliches Virus, dem aber weder mit hoher Hitze noch Kälte beizukommen ist. Wir müssen dann aufwendig desinfizieren, damit sich nicht noch mehr Tiere anstecken", erklärt Jehl. Durchaus gefährlich für Menschen sind Pilzkrankheiten. Die Tierschützerin erwischte es schon zwei Mal. "Bis das wieder weg ist, vergehen Wochen. Man merkt förmlich, wie der Pilz sich durch das Gesicht arbeitet."

Seitdem Jehl die Tierauffangstation betreibt, hat sie unfassbare Geschichten erlebt - von entlaufenden Wasserschildkröten bis hin zu grausamen Tierquälern. "Ein Autofahrer brachte uns einmal eine Schildkröte, die gemütlich Richtung Eitting marschierte", sagt Jehl. Auch Brieftauben trudelten schon bei der Tierschützerin ein. Die Tauben sollten von Niederbayern 500 Kilometer weit fliegen, einige schafften es jedoch nicht so weit. "Da waren schöne Exemplare dabei, sogenannte Türkentauben ", erzählt Jehl. Besonders anstrengend wegen des schweren Gewichts war ein Berner Sennenhund, der schon drei Mal bei Jehl Unterschlupf fand.

Den Hund las sie regelmäßig in der Nähe der Esso-Tankstelle in der Münchner Straße in Erding auf. Der laut Jehl nicht unvermögende Besitzer darf und kann sein Gelände nach eigener Aussage nicht einzäunen. Auf den Kosten eines solchen Rettungseinsatzes bleiben dann aber die Tierschützer sitzen. Um die Kosten für den Verein abzumildern und das Tierheim bezahlen zu können, kämpfte der Verein fünf Jahre lang für eine Fundtierpauschale von 60 Cent, die die Gemeinden pro Einwohner jedes Jahr bezahlen müssen - laut Ilse Jehl eine notwendige Entscheidung. Es hat lange gedauert, bis die Stadt- und Gemeinderäte in allen 26 Gemeinden im Landkreis dieser Pauschale zugestimmt hatten.

Doch diese Zustimmung war die Basis für das neue Tierheim, das der Tierschutzverein in Kirchasch baut. Nur mit diesen Mehreinnahmen sind laut Schatzmeisterin Marlene Mayer die jährlichen Personalkosten von etwa 80 000 Euro zu stemmen. Es sollen ein gelernter Tierpfleger, eine Teilzeitkraft und eine Aushilfe eingestellt werden. Für den Bau nahmen Mitglieder des Vereins 600 000 Euro Kredit auf.

© SZ vom 19.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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