Asylpolitik:Kommunal Pass vor dem Comeback

Lesezeit: 3 Min.

Der Kommunalpass im Landkreis Erding war von 2016 bis 2020 die damals einzigartige Bezahlkarte für Geflüchtete. (Foto: Thomas Daller/OH)

Eine Bezahlkarte für Asylbewerber gab es im Landkreis Erding von 2016 bis 2020. Nun könnte das seinerzeit einzigartige Modell auf einmal in ganz Deutschland eingeführt werden. Im Rückblick erscheint die Idee von Landrat Bayerstorfer zwar visionär. Sie hat sich aber auch als ziemlich holprig erwiesen.

Von Florian Tempel, Erding

Über einen Punkt scheint beim Bund-Länder-Gipfel zur Asylpolitik weitgehend Einigkeit zu herrschen: Asylbewerber sollen ihre Sozialleistungen nicht mehr bar erhalten, sondern auf eine Bezahlkarte überwiesen bekommen. Das ist aus Erdinger Sicht nun absolut nichts Neues, sondern ein ganz alter Hut.

Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) darf sich auf alle Fälle freuen, dass er der Zeit weit voraus war. Im November 2015 hatte er bei Maybrit Illner, in der Folge 655 mit dem Titel "Chaos in der Flüchtlingskrise - verliert Merkel die Kontrolle?", einen großen, wenn auch nicht nachhaltig beachteten Auftritt. Sein Lieblingssatz lautet damals "Bargeld schafft falsche Anreize." Er beklagte unter anderem, dass Geflüchtete Geld in ihre Heimatländer schicken würden, was seiner Ansicht nach "Missbrauch von Sozialleistungen" sei.

Nach untauglichen Versuchen mit speziellen Sachleistungsshops und Gutscheinen sowie Bargeldauszahlungen - was alles unverhältnismäßig viel Aufwand auf Seiten der Landkreisverwaltung verursachte - wurde zum 1. Mai 2016 im Landkreis Erding die Bezahlkarte "Kommunal Pass" eingeführt. Das damals neue System, auf das aktuell offenbar alle Bundesländer Hoffnungen setzen, schnitt vor sieben Jahren Asylbewerber im Landkreis Erding zunächst vollständig vom Bargeldbesitz ab.

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Mit der Karte des Unternehmens Sodexo sollte man überall bargeldlos wie mit einer EC-Karteeinkaufen können. Tatsächlich ging aber nicht einmal das. Die Chipkarte versagte in der Anfangsphase in Apotheken, bei der Post und sogar in manchen Supermärkten.

Eine Bargeldabhebung an Geldautomaten war zwar von Sodexo als mögliche Option vorgesehen. Doch Landrat Bayerstorfer ließ die Karten so einstellen, dass der Abhebebetrag auf Null gesetzt war. In einer Pressemitteilung des Landrats hieß es freilich: "Wir haben mit diesem System neue Wege beschritten, die gleichermaßen Vorteile für die Zahlungsempfänger und die Verwaltung mit sich bringen." Kritik an den Unzulänglichkeiten der Bezahlkarte tat Bayerstorfer mit einem Satz ab: "Wo Pionierarbeit geleistet wird, dort sind anfängliche Probleme nicht ungewöhnlich."

Die Kritik am Kommunal Pass durch Ehrenamtliche der Helferkreise sowie seitens der SPD und der Grünen war massiv, denn ein Leben ganz ohne Bargeld - und ohne eigenes Konto - ist mitunter absurd einschränkend. Geflüchtete konnten sich beispielsweise keine Busfahrkarten mehr kaufen, um Behördentermine wahrzunehmen.

Auch der 2017 verstorbene SPD-Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer kritisierte die Karte damals scharf: "Sie befremdet mich in jeder Form." Er verwies darauf, dass nach einem neuen Gesetz jedem Flüchtling ein eigenes Bankkonto zustehe. Dieses Recht werde auf dem Umweg über die Chipkarte unmöglich gemacht: "Warum muss man so mit Menschen umgehen? Diese hochherrschaftliche Herablassung passt nicht in unsere Zeit."

Zur Grundidee gehörte auch, dass sie "eine Kontrolle möglich macht, dass kein Missbrauch geschieht"

Auch CSU-Bürgermeister sprachen sich schnell dafür aus, dass Geflüchtete zumindest einen Teilbetrag der ihnen gutgeschriebenen Geldleistungen bar abheben können sollten. Was dann auch so geschah. Seit dem Jahr 2018 war schließlich sogar der gesamte Betrag bar auszahlbar.

Zur "Grundidee" der Bezahlkarte sagte jedoch auch der damalige Sankt Wolfganger Bürgermeister Jakob Schwimmer, dass sie "im gewissen Sinn auch eine Kontrolle möglich macht, dass kein Missbrauch geschieht". Denn es wäre möglich, dass ein Asylbewerber sich mehrfach registrieren ließe und staatliche Leistungen doppelt oder dreifach einkassieren wollte. Wenn man im Landkreis einen solchen Fall von Missbrauch entdecken würde, könnte man etwa sofort seine Karte sperren.

Der größte Witz in der Geschichte des Kommunal Pass war aber, dass die Kontrollwirkung der Bezahlkarte nur im bizarren Fall des offenbar rechtsextremen Oberleutnants Franco A. zum Zug kam. Franco A. hatte sich als syrischer Flüchtling ausgegeben, sich einige Zeit im Landkreis aufgehalten und etwa 10 000 Euro nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch erschlichen. Das Bundeskriminalamt konnte anhand seiner Einkäufe mit dem Kommunal Pass nachvollziehen, wo er wann war. "Das BKA hat sich nach Abschluss der Fahndung bei uns bedankt", sagte Bayerstorfer 2018 stolz dem Münchner Merkur.

Als das Unternehmen Wirecard im Juni 2020 Pleite ging, bedeutete das auch das Ende des Kommunal Pass. Die Firma Sodexo hatte die Bezahlkarte verwaltet, die technische Abwicklung erfolgte jedoch über Wirecard. Monatelang wurde nach einem Ersatz gesucht, aber keiner gefunden. Die Asylbewerber mussten solange - während der Pandemie - wieder zu Bargeldauszahlungen zum Landratsamt kommen. Neun Monate später folgte man dem Beispiel anderer Landkreise, die die Sozialleistung für geflüchtete Menschen schon seit Jahren auf Bankkonten auszahlen "Die bisherige Praxis der Barauszahlung wird ab Mai 2021 umgestellt", heißt es in einer Pressemitteilung des Landratsamts, "die Leistungen werden dann per Banküberweisung transferiert".

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