Erding:"Auf ihren Schultern lastet unendlicher Druck"

Nach Deutschland, ohne die Eltern: Immer mehr minderjährige Flüchtlinge werden in den Städten und an den Grenzen aufgegriffen. In Erding werden jetzt zwölf von ihnen in einem speziell dafür eingerichteten Haus betreut. Die Jugendlichen sind dankbar - trotzdem fühlen sie sich schuldig.

Mathias Weber

Das "Gelbe Haus" nennen sie es liebevoll. Und tatsächlich: Das Haus, in dem die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen ihre neueste Einrichtung untergebracht hat, leuchtet in hellem zitronengelb. Seit August befindet sich in dem Haus an der Richard-Strauß-Straße in Erding eine Stelle für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. Am Freitag hat die Jugendhilfe das Gelbe Haus mit einer kleinen Feier offiziell eröffnet.

Die Einrichtung ist eine sogenannte "Clearingstelle". Alexandra Denkmann, die Leiterin des Hauses, erklärt, was sich dahinter verbirgt: "Wir haben gemerkt, dass es diesen speziellen Bedarf gibt, jugendliche Flüchtlinge zu betreuen." Diese Jugendliche bräuchten viel Betreuung, zum Beispiel wenn es um Behördengänge geht. "Wir machen dann ein Clearing, das heißt, wir klären den rechtlichen, gesundheitlichen und psychischen Zustand der Jugendlichen ab." Gerade das Jugendamt in Erding hatte den Wunsch nach einer solchen Einrichtung geäußert. Obwohl die Flüchtlinge von verschiedenen Jugendämtern hierher geschickt werden, hat Erding ein Vorbelegungsrecht. Zehn junge Männer wohnen, lernen und arbeiten derzeit im Gelben Haus. Die Kapazität soll sich nach Abschluss der letzten Bauarbeiten auf zwölf erhöhen.

"Die Bewohner sind zu hundert Prozent Selbstversorger", sagt Denkmann. Sie wirtschaften alleine, kochen und putzen - im Aufenthaltsraum im Erdgeschoss hängen die jeweiligen Pläne. Im Obergeschoss befinden sich die Wohnräume der Jugendlichen, am Tag der Eröffnung sind die Betten akkurat gemacht, die Zimmer sauber. Im Keller wird derzeit noch ein Lehrraum eingerichtet. "Der Betreuungsaufwand der Jugendlichen ist enorm", sagt Denkmann, deshalb sei das Team der Pädagoginnen auch vergleichsweise groß, fünf sind es derzeit, dazu kommt eine Hauswirtschafterin und eine Lehrerin. Zwar bekommt die Jugendhilfe die Tagessätze für die Bewohner vom Jugendamt, das Amt aber wiederum vom Freistaat - die Flüchtlingsarbeit wird von der Regierung getragen.

"Sie kommen aus Kriegsgebieten"

"UMF" - so heißen die Jugendlichen im Behördendeutsch: "Unbegleiteter minderjähriger Flüchtling". "Sie werden meistens ohne oder mit gefälschten Papieren irgendwo von der Polizei aufgegriffen, in Städten oder an der Grenze", sagt Leiterin Denkmann. Das Jugendamt wird eingeschaltet, und wenn die sie ohne Eltern unterwegs sind, kommen die Flüchtlinge in eine stationäre Jugendhilfe. In Erding bleiben sie nur wenige Monate, somit habe die Einrichtung einen recht hohen Durchlauf, sagt Denkmann.

Erding: Schmidt, 26.10.2012, Erding, Innere Mission, Eröffnung Clearinggruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, links Kai Thorsten Garben, Abteilungsleiter Kinder, Jugend Fam., Pfarrer Dr. Günther Bauer Vorstand, Andreas Hüner, Gesamtleiter sozial,alle Innere Mission München, Alexandra Denkmann Gruppenleiterin Erding, vorne Murat, Ronaldo, Arslau

Schmidt, 26.10.2012, Erding, Innere Mission, Eröffnung Clearinggruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, links Kai Thorsten Garben, Abteilungsleiter Kinder, Jugend Fam., Pfarrer Dr. Günther Bauer Vorstand, Andreas Hüner, Gesamtleiter sozial,alle Innere Mission München, Alexandra Denkmann Gruppenleiterin Erding, vorne Murat, Ronaldo, Arslau

(Foto: Renate Schmidt)

Trotzdem sollen sie so viel lernen wie möglich. Von Montag bis Freitag haben die jungen Männer Unterricht, werden, sofern sie es nicht sind, alphabetisiert und lernen Deutsch. "Die Jugendlichen wollen das auch, sie wollen Fuß fassen in Deutschland, sie sind hoch motiviert", sagt Denkmann. Die Gründe, warum sie nach Deutschland gekommen sind, seien oft tragisch: "Die meisten kommen aus Afghanistan, aus Syrien, Pakistan oder dem Kongo - Kriegsgebiete eben." Der Krieg und die Not lassen sie die Flucht wagen.

"Oft ist es so, dass die Familie zusammenlegt, damit wenigstens ein Kind in eine bessere Zukunft starten kann." Und so liege großer Druck auf ihren Schultern: Sie sollen hier etwas erreichen, damit die Flucht nicht umsonst war. Denkmann sagt, die Männer leben in einem Spannungsfeld: "Sie fragen sich ob es ihnen überhaupt gut gehen darf, wenn die Familie im Heimatland in Not lebt." Aber die Flüchtlinge seien auch dankbar. "Wenn man sie fragt, was sie sich von der Zukunft erwarten, dann sagen sie: Wir wollen einfach ein normales Leben."

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