Erding:Auf gute Nachbarschaft

Das Islamische Zentrum muss seine Räume am Rätschenbach verlassen und sucht eine neue Bleibe. Der Bürgermeister will helfen

Charlotte Theile

Erding: Der Imam kommt aus München, die Gläubigen aus Erding und Umgebung: Jeden Freitag, kurz nach 13 Uhr, treffen sich im Islamischen Zentrum in der Innenstadt etwa 200 Menschen zum Gebet.

Der Imam kommt aus München, die Gläubigen aus Erding und Umgebung: Jeden Freitag, kurz nach 13 Uhr, treffen sich im Islamischen Zentrum in der Innenstadt etwa 200 Menschen zum Gebet.

(Foto: Renate Schmidt)

Ali Kemal Imamoglu sitzt an seinem Schreibtisch, hinter ihm die deutsche und die türkische Flagge, vor ihm Dutzende Spendenquittungen. Das Opferfest, das höchste Fest des Islam, steht vor der Tür - ein Anlass, der jeden Muslim verpflichtet, ein Tier zu opfern. "Aber hier in Deutschland geht das nicht so richtig." Die wenigsten der Gemeindemitglieder in Erding besitzen Schafe, Ziegen oder Kamele, deren Fleisch sie unter den Armen und Hungrigen verteilen könnten. Alternativ wird Geld gespendet, 100 Euro pro Person.

"Natürlich nur, wenn man es sich leisten kann", schiebt Imamoglu, Vorsitzender des Zentrums, nach. Unter Zwang funktioniert nichts, auch nicht das wöchentliche Freitagsgebet, zu dem die Gläubigen gerade eintrudeln: "Wer keine Zeit hat, wegen der Arbeit oder so, der kommt nicht. Kein Problem." Immer mehr junge Männer kommen über den Hof und passieren die Tür zum Gebetsraum, in dem der Vorbeter, Imam Ahmed aus München, bereits angefangen hat. Drinnen ist einiges los. Schuhe ausziehen, einen Platz in dem überfüllten Regal suchen, dann ins Bad, Füße waschen, schnell und möglichst leise Platz auf dem Teppich im Gebetsraum finden.

In den hinteren Räumen sitzen junge Männer auf sehr alten Sofas, den Vorbeter hören sie über einen Lautsprecher. In ihrer Mitte ein Öl-Ofen, der vermutlich in den 1970er Jahren aus der Türkei importiert wurde. Ein zweiter Raum, noch mehr antike Sofas, dazu drei Staubsauger, für den Teppich im Gebetsraum. Dass Imamoglu diese Räume zeigt und Fotos von Imam und Gläubigen erlaubt, hat einen einfachen Grund: Ende 2013 läuft der Mietvertrag des Islamischen Zentrums aus. Der ehemalige Stall am Rätschenbach, den die Muslime 34 Jahre lang als Gebets- und Versammlungsraum nutzen konnten, gehört seit einiger Zeit dem Gewandhaus Gruber.

"Kurzfristig haben wir einen dringenden Bedarf an Logistikflächen", erklärt Geschäftsführer Hugo Gruber. Direkt neben dem Zentrum wird schon gebaut - an der Ecke Maurermeistergasse entsteht eine futuristische Glasfassade, die zum Gewandhaus gehört. Langfristig wird dort, wo heute gebetet wird, wohl auch Kleidung verkauft werden. Imamoglu hat Verständnis: "Das Haus gehört ihm, so ist das nun mal." Jedoch, die Suche bleibt schwierig.

Bürgermeister Max Gotz (CSU) hat die Anfrage der Muslime erhalten: "Wir helfen gern bei der Suche nach einem neuen Zentrum und halten die Augen nach geeigneten Räumen offen", so Gotz. Er sei zuversichtlich, dass sich etwas finde - schließlich hätte sich das Islamische Zentrum jahrzehntelang als guter Mieter erwiesen. Obwohl die Parkplätze freitags knapp werden, funktioniere die Nachbarschaft am Rätschenbach insgesamt sehr gut.

Und tatsächlich: Während des Gebets kommt eine junge Frau in den Flur, streift die Stiefel ab und läuft die Holztreppe hinauf, dorthin, wo immer wieder Kinder neugierig nach unten auf die Männer und Schuhe blicken. Etwa zweihundert türkische Pizzen, mit Hackfleisch, Schafskäse und Kartoffeln sind dort auf vier Bierzelt-Tischen ausgebreitet, zwei riesige gasbetriebene Heizplatten halten sie warm. "Wir holen hier fast jeden Freitag unser Mittagessen", sagt sie und lässt sich vier Portionen einpacken. "Wir" das ist die Belegschaft vom Goldschmied form und gold, vom Gewandhaus Gruber kommt auch manchmal jemand zum Lahmacun-Kaufen herüber.

Die Köchinnen, etwa acht Frauen, beginnen morgens gegen acht Uhr Teig zu kneten, Zwiebeln und Paprika klein zu schneiden. Gegen 13.45 Uhr, wenn das Gebet beendet ist, wird verkauft, ein Euro pro Stück, der Erlös geht an das Zentrum, wie eine etwa 40-jährige Frau mit Kopftuch berichtet. Um sie herum sitzen drei Mädchen, neun Jahre alt, die ebenso wenig fürs Mittagessen zahlen müssen wie Karinca und Gendik, die etwas älter sind, aber hungrig aus der Schule kommen. Hier oben hängen Kinderzeichnungen, eine Miniaturküche steht an der Wand, auf den Schränken liegt Spielzeug, es gibt Tee. Jugendliche werden hier unterrichtet, weiter hinten ist ein Gebetsraum mit dem gleichen türkis-rot-weiß-gemusterten Teppich wie unten. Die Stimme des Vorlesers kann über Lautsprecher übertragen werden, es ist der Gebetsraum der Frauen. Wenn es voll wird, sind hier auch Männer. Frauen müssen am Freitag nicht beten.

Für Jungen, berichtet Imamoglu, gebe es Sportangebote, Fußball zum Beispiel, die Mädchen treffen sich oben, zum Tee-Trinken und Handarbeiten. Im Koran lesen beide. Bunte Sportschuhe, Chucks, Nikes und solche mit blinkenden Lichtern darunter, zeigen im Regal am Eingang, wo gegen Ende des Gebets fast 200 Paare stehen, dass das Zentrum keine Nachwuchssorgen hat. Manche Jugendliche hätten aber auch keine Lust, sagt Imamoglu, zwingen könne man sie nicht.

Die Plakate des islamistischen Verbands Milli Görüs (IGMG), der wegen anti-demokratischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hängen im Flur. Das Handelsregister führt Imamoglu als Vorsitzenden des IGMG-Ortsvereins. Er sei Mitglied sagt Imamoglu, der 1971 aus der Türkei nach Erding kam, nur und radikal sei daran nichts. Weder er noch der Verband wollten einen Staat nach islamischen Regeln schaffen. "Wir können empfehlen, Kopftuch zu tragen, keinen Alkohol zu trinken, nicht in die Disco zu gehen." Menschen, die sich anders verhalten, zu bestrafen, sei falsch, betont der 56-Jährige. Er versteht das Zentrum als Ort der Begegnung, erzählt von Nachbarn, die fragen, wann denn nun "Schlachtfest" sei.

Bürgermeister Gotz möchte, dass die Muslime im Stadtgebiet bleiben, am liebsten in der Innenstadt, wo man sich über den Weg läuft. Imamoglu wären auch Räume im Gewerbegebiet recht - "wichtig ist nur, dass man so umbauen kann, wie man es für Gebete und Jugendarbeit braucht."

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