Erding:Auf dem Land droht Ärztemangel

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Jede vierte Hausarztpraxis wird in den kommenden fünf Jahren schließen, weil viele Mediziner mehr als 60 Jahre alt sind und keine Nachfolger finden. Eine Lösung ist nicht in Sicht

Thomas Daller

Viele Hausarztpraxen werden auch im Landkreis Erding schließen, weil es zu wenig junge Allgemeinmediziner gibt. Die Gemeinden des Ostbündnisses haben sich mit dieser Problematik befasst und kommen zu dem Fazit, dass sich der Ärztemangel im ländlichen Raum nicht vermeiden lassen wird (Foto: dpa)

Mehr als jeder vierte Allgemeinmediziner im Landkreis Erding ist schon mehr als 60 Jahre alt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden viele Hausarztpraxen schließen, denn es gibt zu wenig junge Allgemeinmediziner und kaum einer will in eine ländliche Gemeinde. Die Gemeinden des Ostbündnisses haben sich zusammen mit Fachleuten mit dieser Problematik befasst. Der Ärztemangel im ländlichen Raum wird sich nicht vermeiden lassen, so das Fazit. Die Bürgermeister werden sich ein gemeinsames Konzept für die Region überlegen müssen, um diese Entwicklung zumindest zu bremsen.

Die Bürgermeister des Ostbündnisses, das aus 13 Gemeinden des östlichen Landkreises Erding und des westlichen Landkreises Mühldorf besteht, trafen sich in Schwindegg, um die Zukunft der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum zu erörtern. "Es ist bereits fünf nach zwölf", sagte der Schwindegger Bürgermeister Karl Dürner, der selbst seit 36 Jahren als Landarzt in Schwindegg praktiziert. "Es wird nie mehr diese ärztliche Versorgung geben, wie es sie bisher gegeben hat. Es wird längere Anfahrtswege und längere Wartezeiten geben." Für die Kommunen gehe es um eine Daseinsvorsorge ersten Ranges, denn wenn es keinen Hausarzt mehr gebe, dann könne sich auch die Apotheke im Ort nicht mehr halten. Die Gemeinde verliere an Attraktivität, Abwanderung sei die Folge.

Heiner Kelbel, Geschäftsführer der Kliniken im Kreis Mühldorf, verglich die Situation der beiden Nachbarlandkreise, wobei der Anteil der mehr als 60 Jahre alten Hausärzte im Kreis Mühldorf sogar knapp 32 Prozent beträgt. Schon jetzt seien Bereitschaftsdienste oder Notärzte unterbesetzt, was zur Folge habe, dass viele Patienten sich direkt an die Kliniken wenden: "Bei uns schlagen Patienten auf, für die wir nicht ausgestattet sind und für die wir sehr viele Ressourcen verbrennen." Der stationäre und der niedergelassene Bereich werde sich in Zukunft noch mehr vermischen, konstatierte Kelbel.

"Medizinstudenten gibt es doch genug. Warum ist das so?", erkundigte sich Siegfried Fischer, Bürgermeister der Gemeinde Isen. "Wer Karriere machen will, wählt nicht unbedingt Allgemeinmedizin. Es gibt attraktivere Jobs bei Pharmafirmen", entgegnete Kelbel. Das sei aber nicht der einzige Grund, erläuterte Dagmar Schneider, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Leiterin der Koordinationsstelle der bayerischen Landesärztekammer.

Nach dem Studium sei eine breit gefächerte Weiterbildung erforderlich, die oft nur durch mehrfachen Stellenwechsel und Umzüge zu bewältigen sei. "Man braucht bis zu 15 Jahre, bevor man sich irgendwo niederlassen kann. Deshalb wird Allgemeinmedizin relativ selten gewählt", sagte Schneider. Diese zeitaufwendigen Wechsel könne man jedoch mit einem Weiterbildungsverbund straffen, zu dem sich Kliniken und andere zur Weiterbildung befähigte Fachärzte zusammenschließen. In Erding gebe es so einen Verbund; das sei "Weiterbildung aus einem Guss".

"Wir haben diesen Weiterbildungsverbund im vergangenen Jahr gegründet", erläuterte Sándor Mohácsi, Vorstand der Kliniken im Landkreis Erding. "Eine junge Ärztin ist bereits tätig und eine zweite fängt an. Das ist ein hoffnungsvolles Unterfangen, aber noch nicht die Lösung. Denn wir haben in den vergangenen Jahren eine Flut von ambulanten Patienten in den Kliniken: 2010 waren es noch 11 900, 2012 waren es bereits 14 000."

Zudem gebe es Probleme mit dem Bereitschaftsdienst, schilderte Mohácsi: So habe man versucht, in der Klinik Dorfen eine Bereitschaftspraxis zu etablieren, aber man habe nicht genügend niedergelassene Ärzte dafür gefunden: "Zwei Drittel der niedergelassenen Ärzte holen sich junge Ärzte aus München, die als ,Söldner' den Bereitschaftsdienst übernehmen." Diese Probleme beim Bereitschaftsdienst habe im übrigen auch die Kassenärztliche Vereinigung erkannt, die ab 2015 deshalb auch Radiologen, Pathologen und andere fachfremde Ärzte für diesen Dienst verpflichten werde.

"Die Helden der Medizin, die 24 Stunden am Tag für ihre Patienten da sind, gehören der Vergangenheit an", postulierte Wolfgang Richter, Ärztlicher Direktor der Kliniken im Kreis Mühldorf. Vor allem junge Ärztinnen mit Familie hätten höhere Ansprüche hinsichtlich ihrer Freizeit als früher. Daran werde sich die "Anspruchshaltung unserer Bevölkerung, die weltweit ihresgleichen sucht, gewöhnen müssen", sagte Richter, der dafür von den Bürgermeistern scharf kritisiert wurde.

© SZ vom 06.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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