Medizinische Versorgung in Erding:Nach 36 Jahren ist Schluss

Medizinische Versorgung in Erding: Noch bis Ende September hält Allgemeinmediziner Elmar Gerhardinger seine Sprechstunden ab. Dann schließt der Erdinger Hausarzt nach 36 Jahren seine Praxis.

Noch bis Ende September hält Allgemeinmediziner Elmar Gerhardinger seine Sprechstunden ab. Dann schließt der Erdinger Hausarzt nach 36 Jahren seine Praxis.

(Foto: Renate Schmidt)

Elmar Gerhardinger schließt seine Allgemeinpraxis in Erding. Er hinterlässt in der Hausarztversorgung eine Lücke. Einen Nachfolger hat er nicht gefunden.

Von Regina Bluhme, Erding

Einen Arzt für ein Pressegespräch zu erwischen, ist nicht immer ganz einfach. Auch bei Elmar Gerhardinger braucht es ein paar Anläufe, erst Patientengespräche, dann Hausbesuche, dann kommt aber recht schnell der Rückruf. Gerhardinger, lange Jahre auch Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands, hat vor 36 Jahren seine Allgemeinarztpraxis an der Haager Straße in Erding eröffnet und nun, Ende September, hört der 67-Jährige auf. Einen Nachfolger hat er nicht gefunden. Wieder ein Hausarzt weniger in der Großen Kreisstadt.

Was es heißt, ein Arzt zu sein, das hat Elmar Gerhardinger von Kindesbeinen an mitbekommen. Sein Vater war in Erding praktischer Arzt und Geburtshelfer, wie die Bezeichnung damals korrekt hieß. Fast jede Nacht musste der Vater zu einem Patienten, erinnert sich Gerhardinger. Offensichtlich hat ihn das nicht abgeschreckt. "Allgemeinarzt war für mich ein ziemlich klares Berufsziel", erinnert sich der 67-Jährige. Nach dem Abitur 1973 studierte er an der Universität Regensburg und an der TU München Medizin. Weitere Stationen waren die Chirurgie am Kreiskrankenhaus Günzburg und Innere Medizin und Pädiatrie am Zentralklinikum Augsburg. Am 1. Januar 1986 eröffnete er schließlich seine Allgemeinpraxis in Erding.

Medizinische Versorgung in Erding: Der Erdinger Hausarzt Elmar Gerhardinger in seinem Sprechzimmer.

Der Erdinger Hausarzt Elmar Gerhardinger in seinem Sprechzimmer.

(Foto: Renate Schmidt)

In 36 Jahren hat sich viel getan, sowohl bei der Diagnostik als auch der Therapie. Eine Errungenschaft war in den 80er Jahren der Einzug von Ultraschallgeräten in Allgemeinarztpraxen. Nun konnten Bauchraum oder die Schilddrüse vor Ort apparativ untersucht werden. Noch gut kann sich Gerhardinger auch an Zeiten erinnern, als eine Überweisung für ein CT, also eine Computertomografie, "dem Akt einer kultischen Handlung gleichkam". Heute gehörten MRT und endoskopische Untersuchungen zum diagnostischen Standard. Sehr viel getan habe sich auch im Bereich der Therapie von Bluthochdruck und Blutzucker. Und durch den Einsatz von blutverdünnenden Medikamenten hätten viele Patienten vor dem Schlaganfall bewahrt werden können. Auch die Patienten und Patientinnen haben sich verändert. Heute haben viele ihre Beschwerden oft schon im Internet gegoogelt. Gerhardinger findet das völlig in Ordnung. "Ich bin froh über gut informierte Patienten."

Als junger Arzt wurde er auch nachts zu Gallenkoliken oder Herzinfarkten gerufen

Zu Beginn seiner Tätigkeit wurde er auch nachts zu Gallenkoliken oder Herzinfarkten gerufen. "Heute macht das der Notarzt." Auch die Sonntagsdienste hatten sich schon zu Beginn seiner ärztlichen Tätigkeit reduziert. In seiner Amtszeit als Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands (2001 bis 2018) fiel das Pilotprojekt der Bereitschaftsdienstklinik am Klinikum Erding. 2007 wurde das Projekt gestartet und von 2016 an in ganz Bayern eingeführt.

Elmar Gerhardinger hat sich um einen Nachfolger bemüht. Aber es habe einfach nicht gepasst. Schon lange werden Hausärzte mehr und mehr zu einem raren Gut. Woran das liegt? Elmar Gerhardinger muss nicht lange überlegen. Die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingen hätten sich durch eine konstante Sparpolitik stetig verschlechtert: Während die Einnahmen zurückgehen, steigen die Kosten. Zudem komme die mangelnde Wertschätzung durch die Politik, wie Gerhardinger sagt, die den Ärzten "alle möglichen Regularien" und ständig mehr Bürokratie aufbürde.

Die EDV-Vernetzung der Arztpraxen ist dem Mediziner ein Dorn im Auge

Gerhardinger persönlich ist die gesetzlich vorgeschriebene, flächendeckende EDV-Vernetzung aller Arztpraxen in Deutschland ein Dorn im Auge. Die Speicherung von Patientendaten in einer Cloud sei "ein Angriff auf die ärztliche Schweigepflicht", ist er überzeugt. Er verweist auf die Gefahr eines Datenlecks und er befürchtet, dass sich künftig deswegen die Patienten und Patientinnen im vertraulich geführten Gespräch nicht mehr so öffnen werden. Dabei sei für ihn die "sprechende Medizin" die wichtigste Grundlage der Behandlung, die bereits einen Großteil der Diagnose ausmache.

"Die vergangenen beiden Pandemie-Jahre waren schlimm und eine große Belastung", erklärt Gerhardinger. Nicht nur die erforderlichen Schutzmaßnahmen erschwerten die Arbeit, auch das Tragen der Masken. Die Masken verbargen die Mimik und schränkten so die wichtige nonverbale Kommunikation ein, so Gerhardinger. Für Corona-Patienten stellte der Erdinger Arzt neben der Praxis kurzerhand ein eigenes Zelt auf mit Wärmelampe, beheizbaren Sitzen und Beleuchtung. "So ein bisschen herumbasteln", das mache ihm Freude. Zuhause beschäftigt er sich gerne mit seiner Eisenbahn Spur Z oder er tüftelt an Erfindungen. Langweilig wird es ihm im Ruhestand nicht werden, da ist ja auch seine Familie: seine Frau, seine drei Söhne und die inzwischen vier Enkelkinder.

Er hat viele Patienten über Jahrzehnte betreut. Einen neuen Hausarzt zu finden, ist schwierig

Dennoch fällt ihm nach so langer Zeit der Abschied nicht leicht. Einigen Patienten standen Tränen in den Augen, als sie von der Schließung der Praxis erfuhren. Viele hatte er über Jahrzehnte betreut. Nun hätten einige Schwierigkeiten, einen neuen Hausarzt in Erding zu finden. "Wir sind auf diesem Sektor nicht mehr so opulent versorgt wie früher", sagt Gerhardinger. Angesichts der Altersstruktur der Ärzteschaft und dem mangelnden Nachwuchs werde die Lage sich auch nicht so schnell verbessern, befürchtet er. Ende September hat Erding jedenfalls einen Hausarzt weniger.

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