Schienenverkehr in Deutschland:Auf dem Abstellgleis

Schienenverkehr in Deutschland: Ein Bild vom Bahnhof Dorfen aus den 1910er Jahren: Auch mehr als 110 Jahre später ist die Strecke weder zweigleisig ausgebaut, noch elektrifiziert.

Ein Bild vom Bahnhof Dorfen aus den 1910er Jahren: Auch mehr als 110 Jahre später ist die Strecke weder zweigleisig ausgebaut, noch elektrifiziert.

(Foto: Sammlung Museum Erding)

Karl Bürger beschreibt in seinem neuen Buch, wie Fehler der Verkehrspolitik zum Niedergang der Eisenbahn geführt haben. Die aktuell beschworene Verkehrswende krankt demnach auch an den Fehlern der vergangenen Jahrzehnte.

Von Thomas Daller, Erding

Das Neun-Euro-Ticket ist da. Prima Sache, aber Skeptiker gehen davon aus, dass eine hohe Akzeptanz auch viele Schwachstellen der Bahn offenbaren wird. Denn der Schienenverkehr in Deutschland, der in manchen Zukunftsszenarien auch den innerdeutschen Luftverkehr ersetzen soll, scheint seiner Aufgabe in der Fläche jetzt schon nicht mehr gewachsen. Woran das liegt und welche Fehler man in der Zukunft nicht wiederholen sollte, davon handelt das neue Buch von Karl Bürger. Ein Buch, das nicht nur Verkehrspolitiker lesen sollten.

Der Walpertskirchner Autor Karl Bürger ist ein autodidaktischer Eisenbahnhistoriker und den Lesern in der Region vor allem durch sein Buch "Von königlich bayerischen Zeiten zur S-Bahn und Flughafenbahn. Eisenbahngeschichte am Beispiel des Landkreises Erding" bekannt. Nun hat er ein neues Buch geschrieben: "Blickpunkte am Schienenstrang - Wie die Eisenbahn wurde wie sie ist". Es handelt sich dabei um ein sehr politisches Buch, keinerlei "Eisenbahnromantik" und keine Nostalgieschwärmerei. Vielmehr schildert Bürger darin die Situation der Eisenbahn in Deutschland und ihren gravierenden Substanzverlust sowie die Fehler der Verkehrspolitik in den vergangenen Jahrzehnten.

Die Bevölkerung sieht das Auto immer noch als das Non-plus-ultra

Bürger kämpft seit 33 Jahren als Aktivist beim Fahrgastverband Pro Bahn für eine bessere, den Bedürfnissen der Bürger gerecht werdende Bahn, die auch fahrpreismäßig bezahlbar ist. "Doch musste ich in den letzten Jahren einsehen, dass das zunehmend vergeblich erscheint. Nicht nur, weil die Verkehrspolitik sich nicht ändert, sondern auch, weil die Bevölkerung das Auto trotz aller Lippenbekenntnisse zum Klimaschutz als das Non-plus-ultra ansieht und Sturm läuft gegen Veränderungen", schreibt Bürger.

Der Autor beschreibt, wie die Bahn bereits im Nachkriegsdeutschland zunehmend an Bedeutung einbüßte: "Ab den 1960er Jahren setzte die Politik voll aufs Auto. Die Bundesbahn war aus betriebswirtschaftlicher Sicht defizitär, in den 1970er und 1980er Jahren versuchte man, das mit Sparmaßnahmen zu beheben." Die Folge: Ein Kahlschlag im Schienennetz, viele Strecken wurden stillgelegt oder nicht erneuert.

Trotz einzelner Erfolge kranke die jetzt häufig beschworene Verkehrswende sowohl an den Fehlern der vergangenen Jahrzehnte als auch am mangelnden politischen Willen der Zeit, klagt der Historiker. Ein gutes Beispiel dafür sei die "Ausbaustrecke (ABS) 38", die München über Mühldorf und Freilassing mit Salzburg verbinden soll. Seit 1985 sei sie Teil des Bundesverkehrswegeplans, getan habe sich seitdem nicht viel.

Wie seine vorangegangenen Bücher setzt sich auch diese Publikation mit der Rolle der Eisenbahn in den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen auseinander. In Blickpunkten wird dabei die Zeit beleuchtet, in der die Bahn ihren größten Niedergang erfuhr. Dabei scheint auf, dass diese Folgen bis in die Gegenwart zu spüren sind und großen Anteil daran haben, dass die Eisenbahn so wurde, wie sie heute ist. Das Werk durchstreift die Zeit, in der der Bahn schon von vielen jede Zukunft abgesprochen wurde, und es zeigt die Veränderungen auf, die zu einer zögerlichen Renaissance der Eisenbahn führten.

"Als sei die Bahn ein fahrendes Museum"

Die Zeitreise beginnt vor viereinhalb Jahrzehnten im Jahr 1976, als man im Bundesverkehrsministerium ein "betriebswirtschaftlich optimales Netz" anstrebte, als die Eisenbahn im Verkehrsmarkt kaum noch Chancen hatte, als Komfort und Service nur die Intercitys boten. Im Nahverkehr hingegen waren die "Silberlinge" aus den 1960er Jahren allgegenwärtig, die erst in den 1980er Jahren verdrängt wurden. Das Buch erinnert auch an die roten Schienenbusse, die weit über ihre vorgesehene Nutzungszeit hinaus eingesetzt wurden. "Als Folge unterlassener Modernisierungen wirkten sie, als sei die Bahn ein fahrendes Museum", schreibt Bürger.

Das Buch legt dar, warum der Nahverkehr auf der Schiene und Bahnstrecken in der Fläche als unrentabel galten, und dass den Bahnmanagern im Schulterschluss mit der Politik nicht mehr einfiel, als Strecken stillzulegen. "Strecke um Strecke, Bahnstation um Bahnstation fielen einem Schrumpfungswahn zum Opfer, ohne die wirtschaftliche Situation auch nur ansatzweise zu verbessern", schreibt Bürger.

So klar das Buch anspricht, warum die Eisenbahn jahrzehntelang dem Niedergang ausgeliefert war, so deutlich legt es auch dar, was geschehen muss, damit sich eine moderne Eisenbahn im Verkehrsmarkt behaupten kann und wieder zu einem Verkehrsmittel für breite Schichten wird. Und es wird deutlich, warum es unverzichtbar ist, dass eine Bahn mit Zukunft über eine zeitgemäße und leistungsfähige Infrastruktur verfügen kann und ebenso über den Kundenbedürfnissen gerecht werdende Verkehrsstationen und Fahrzeuge.

Das Buch im Format DIN A4 beinhaltet auf 303 Seiten 655 meist noch nicht veröffentlichte Bilder. Es erscheint im Selbstverlag und kostet 39,90 Euro. Das Buch kann beim Autor per E-Mail bestellt werden: karl-buerger@t-online.de oder telefonisch: 08122/3597.

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