Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Die Musik feiern, gemeinsam und doch allein

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Das Ebersberger Alte Kino veranstaltet einen Clubabend - erstmals ausschließlich als Stream übers Internet

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Irgendwie fehlen ihm erst einmal die Worte. "Puh", sagt Andreas Matuszczyk. "Echt total ungewohnt!" Doch wen wundert's? Die Sache, von der DJ Matu da spricht, ist ja tatsächlich eine ungewöhnliche, nämlich eine aus der Kategorie, wie sich die Kulturszene in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln neu erfindet. Oder eben neu erfinden muss. Am Samstagabend hat das Ebersberger Alte Kino zum Clubabend eingeladen - aber selbigen ausschließlich auf Youtube, Facebook und einen Alten-Kino-Kanal live gestreamt. Der Saal selbst blieb leer.

Zustande gekommen war die Sache denkbar unkompliziert: Der Ebersberger Matuszczyk erzählte Markus Bachmeier, dem Geschäftsführer des Alten Kinos, dass er an einem privaten Stream für Freunde und Bekannte arbeite - aber sich mit der technischen Umsetzung herumärgere. Da schlug Bachmeier vor, die Sache doch einfach übers Alte Kino zu kanalisieren. Für die Übertragung installierte Bachmeiers Mannschaft also zunächst zwei Kameras. Eine aus der "Totalen", von jener Position aus, wo sonst der Licht- und Tontechniker sitzt. Die andere vorne rechts an der Bühne. Halblinks stand der DJ am Rechner - aber das war auch schon das einzige, was den Corona-Clubabend nicht von einem beliebigen Clubabend ein paar Monate früher unterschied. Die technische Akrobatik fand jenseits der Optik im Hintergrund statt. "Alles in einer guten Qualität über den Stream zu bringen, das braucht echt Rechenleistung", berichtet Daniel Hitzke, also derjenige, der sich im Alten Kino um Bewegtbild, Sound und Visuals kümmerte. Fast ein Drittel des Saals habe das Equipment vom Licht bis zu den Monitoren belegt, dazu eine Menge Kabel.

Aus DJ-Sicht ist so ein menschenleerer Club freilich eine ganz neue Perspektive. "Nicht zu sehen, auf was die Leute abgehen, ist echt eine komische Sache", erzählt Matuszczyk. Normalerweise würde er die Playlist je nach Publikumsverhalten bestücken, mit dem entsprechenden Bauchgefühl eben und jahrzehntelanger Erfahrung hinterm Pult. Immerhin: Ganz abgeschottet von seinen Zuhörern war Matuszczyk nicht, denn Sohnemann Janis Michael bündelte das über allerlei Kanäle zurückfließende Feedback. "Darüber kriegst du dann schon eine Ahnung, was den Leuten taugt."

Neuland ist der Stream freilich auch aus Konsumentenperspektive. Akustisch ließ sich an dem Clubabend etwa über eine Koppelung von Wohnzimmeranlage und Laptop partizipieren. Eine andere Möglichkeit war, die Stream-Tonspur aus Ebersberg auf Bluetooth-Kopfhörer zu legen - zum Schutz der Nachbarn in der Wohnung nebenan. Trotzdem: An einen analogen Clubabend kommt so eine digitale Version freilich nicht heran. "Für den Daniel hat's mir echt leidgetan", sagte der DJ. "Der hat sich wahnsinnig reingekniet, aber so richtig gut wirkt eine Lichtshow halt nur dann, wenn du auch mittendrin stehst." Tatsächlich kann die Schrumpfkur von einer Rundum-Saal-Perspektive runter aufs Smartphone-Display kaum heftiger ausfallen. Ein Zustand, an dem sich so lange nichts ändern dürfte, wie ein Heimkino mit 360-Grad-Bildschirmausstattung außerhalb der Finanzierungsreichweite des Normalbürgers bleibt.

Einen interessanten Einblick gab der Stream außerdem in die Problematik automatisierter Reaktionen auf Urheberrechtsverletzungen: Gleich ein paar Mal kappten Facebook und Youtube kurzzeitig die Verbindung ins Alte Kino, weil ihre Systeme vermeintliche Verstöße detektierten. "Dabei ist das, was wir da machen, natürlich rechtlich und Gema-technisch absolut in Ordnung", versichert Bachmeier. "Das haben wir natürlich vorher geklärt."

Und die Quote? Etwa 20 Besucher klinkten sich via Facebook ein, 70 waren es in der Spitze auf dem Youtube-Stream. Das scheint nicht schlecht, aber auch nicht superviel. Vielleicht ist Metal-Punk-Alternative-Crossover a lá Rage Against The Machine aber auch ein bisschen arg brutal für den Samstagabend zuhause, zumindest für die Elterngeneration. Oder Peter Lichts "Lied vom Ende des Kapitalismus" intellektuell ein wenig zu anstrengend - gerade in diesen ohnehin turbulenten Zeiten mit Kurzarbeit und Co. Und womöglich stellt die ortsungebundene Party selbst für digitalaffine Jüngere so etwas wie Neuland dar, zumindest noch.

Was wahrlich nicht heißen soll, dass die Ebersberger Idee keinen Anklang gefunden hätte. "Danke - war eine tolle Abwechslung!", schrieb zum Beispiel jemand auf Facebook, als dann nach Mitternacht alles wieder vorüber war. Und: "Einfach großartig!! Dankeschön an das Team vom Alten Kino." Da kann man sich wohl nur anschließen.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2020
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