Heybet Sener ist wieder auf freiem Fuß. Die Abschiebung des kurdischen Geflüchteten in die Türkei wurde in letzter Minute gestoppt. Das Landesamt für Asyl und Rückführungen teilt mit, dass nach einer medizinischen Untersuchung ein Arzt "Zweifel an der Reisefähigkeit des Herrn Sener" bekommen habe. Der 31-jährige war nach seiner Festnahme am Mittwoch in Hungerstreik getreten. Nach SZ-Informationen spielte jedoch etwas anderes die entscheidende Rolle: Heybet Sener weigerte sich einen Coronatest zu machen - und der Arzt weigerte sich, einen solchen unter Zwang vorzunehmen.
Heybet Sener hatte im Juli 2018 in Deutschland politisches Asyl beantragt, das ihm aber nicht gewährt wurde. Wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation war er in der Türkei zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt worden. Durch offene Verfahren wegen angeblicher Terrorpropaganda und Präsidentenbeleidigung drohten ihm viele weitere Jahre in Haft.
Seit mehr als zwei Jahren lebte er in der Asylunterkunft in Oberding. Sein älterer Bruder betreibt in München ein kleines Bauunternehmen, in dem er mitarbeiten konnte, bis ihm vor einigen Monaten das Landratsamt Erding die Arbeitserlaubnis entzog. Am Mittwoch wurde Heybet Sener dann im Landratsamt Erding festgenommen, wo er eigentlich einen Termin für die Verlängerung seiner Aufenthaltsduldung hatte. Er kam am Mittwochnachmittag in die erst Mitte Januar in Betrieb genommenen neuen Abschiebehafteinrichtung am Flughafen München. An diesem Freitag sollte er um 13.45 Uhr mit einem Flug nach Istanbul außer Landes gebracht werden.
Von etwa 11 Uhr an demonstrierten circa 50 Frauen und Männer am Flughafen vor dem Check-in-Schalter gegen die geplante Abschiebung. Azad Bingöl, Mitglied des Migrationsbeirats der Landeshauptstadt München, der zusammen mit anderen maßgeblich die Unterstützung für Heybet Sener organisiert hatte, war mit dabei. Während die Demonstrantengruppe lautstark die Freilassung des Inhaftierten forderte und andere Fluggäste auf die geplante Abschiebung aufmerksam machte, hielt er telefonisch Kontakt zu Heybet Sener. "Wirklich im letzter Minute haben wir erfahren, dass er frei gelassen wird", sagte Bingöl der SZ. Das sei so kurzfristig gewesen, dass er es erst geglaubt habe, als die Maschine Richtung Istanbul, mit der Heybet Sener in die Türkei geflogen werden sollte, abgehoben hatte. Familienangehörige holte ihn an der Abschiebehaftanstalt ab und nahmen mit nach München.
In den vergangenen zwei Tagen hatten Bingöl und andere alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die drohende Abschiebung zu verhindern. Ein Eilantrag gegen die Abschiebung war am Freitagvormittag vom Verwaltungsgericht München abgelehnt worden. Auch eine Petition an den bayerischen Landtag blieb erfolglos. Mehrere Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hatten sich an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gewandt.
Die Münchner Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel (Grüne) hatte sich seit Mittwoch mehrfach im Innenministerium für Heybet Sener eingesetzt. "Es ist ja nicht so, dass man nicht anders entscheiden könnte, es gibt die Möglichkeit, eine Abschiebung aus humanitären Gründen abzulehnen", sagte sie der SZ. Der Fall Heybet Sener sei skandalös, sagte Demirel: "Das ist keine normale Abschiebung, das ist eine Auslieferung." Die bayerische Staatsregierung dürfe sich nicht darauf einlassen und mithelfen, wenn die Türkei Oppositionelle per internationalem Haftbefehl ausschreibe, um ihrer habhaft zu werden. Das Innenministerium folgte ihrer Argumentation jedoch nicht und lenkte auch sonst nicht ein. "Wir hatten schon jede Hoffnung verloren", sagte Demirel, die daraufhin am Freitagvormittag in einer Presseerklärung wütend und enttäuscht scharfe Kritik formuliert hat: "Ich frage mich, ob sich die Söder-Regierung tatsächlich hier zum Handlanger eines Folterstaats machen möchte."
Auch Azad Bingöl weist auf die Einschätzung vieler Beobachter der Verhältnisse in der Türkei hin: "Es ist ja nicht nur unsere subjektive Wahrnehmung als Kurdinnen und Kurden. Auch europäische Gericht bestätigen immer wieder verschiedenste Fälle von politischer Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei."