Es wird eine Aktion, die nach außen hin deutlich macht, wie sehr man sich in Dorfen, Bayern, Deutschland freuen darf, dass vor 75 Jahren nicht nur der Zweite Weltkrieg endete, sondern damit auch die mörderische Diktatur der Nationalsozialisten. Unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) ruft die Geschichtswerkstatt Dorfen dazu auf, "weiße Fahnen für Frieden und Freiheit" zu hissen. Die Aktion beginnt am 2. Mai, dem Tag, an dem vor 75 Jahre die US Army nach Dorfen kam. Die Fahnen werden bis zu 8. Mai hängen, dem "Tag der Befreiung", der in vielen europäischen Ländern ein offizieller Gedenktag ist. Am Rathaus wird die mit drei Meter Länge größte Fahne wehen. An weiteren öffentlichen und privaten Gebäuden sollen mindestens noch 30 andere weiße Fahren hängen.
Die Geschichtswerkstatt Dorfen greift mit der Dorfener Aktion eine Initiative des Münchner Aktionskünstlers Wolfram Kastner auf. In München werden vom 30. April bis zum 8. Mai vor dem Rathaus am Marienplatz 14 weiße Fahnen mit der Aufschrift "Tag der Befreiung" gehisst. Auch in München sind die Bürger der Stadt eingeladen, aus den Fenstern von Wohnungen, Büros und Werkstätten weiße Fahnen zu hängen. Städtische Einrichtungen werden sich ebenfalls beteiligen. In München ist Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) Schirmherr der Aktion.
Als die Geschichtswerkstatt Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) bat, in der Stadt Dorfen die Schirmherrschaft für die Aktion zu übernehmen, sagte dieser sofort zu. "Ich mache das natürlich gerne", betonte Grundner in der Stadtratssitzung am Mittwochabend, "weil wir in Zeiten wie diesen ein Zeichen setzen müssen für Freiheit und Demokratie und gegen jede Art rechtsextremer Tendenzen."
Für die Geschichtswerkstatt Dorfen hat Schorsch Wiesmaier eine Erklärung verfasst. Darin heißt es: "In Dorfen rollten am 1. Mai 1945 um 20 Uhr amerikanische Panzer ein. Nach nächtlichen Gefechten wurde am 2. Mai um 10 Uhr der Markt übergeben. Dorfen war befreit. Dorfen war befreit von den örtlichen Funktionären des NS-Regimes. So wurde unter anderem der Bürgermeister und NS-Ortsgruppenführer Georg Erhard verhaftet und für über zwei Jahre im ehemaligen Kriegsgefangenlager Moosburg interniert."
Wiesmaier erinnert daran, dass es auch Nazi-Gegner in Dorfen gab, die endlich "aufatmen konnten". Einige Dorfener wurden insbesondere im KZ Dachau interniert "und mussten fürchterliche Qualen erleiden". Mit der Befreiung Dorfens kamen auch Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter frei. Mehr als 90 Frauen und Männer waren allein bei der Dorfener Firma Meindl als Zwangsarbeiter beschäftigt.
Nur wenige Tage, bevor die US Army Dorfen befreite, rollte der Mühldorfer Todeszug durch den Bahnhof Dorfen. 3600 jüdische Häftlinge aus dem Konzentrationslagerkomplex bei Mühldorf waren so kurz vor Kriegsende, in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1945, von SS-Männern in 60 bis 80 Viehwaggons getrieben worden. Der mehr als 600 Meter lange Zug kam durch Dorfen, blieb mit einem Maschinenschaden in Poing und fuhr mit neuer Lokomotive weiter über den Münchner Hauptbahnhof Richtung Süden. Erst am 30. April 1945 wurden Leslie Schwartz, der vor fünf Jahren in Dorfen war, und andere Shoah-Überlebende wie Max Mannheimer aus dem Todeszug befreit.
In der Presseerklärung der Geschichtswerkstatt heißt es weiter: "Wir sollten nicht vergessen, wie sich rechter Terror in den letzten Jahren verbreitet hat. Seit 1990 fielen ihm über 200 Menschen zum Opfer. Und wir sollten auch nicht vergessen, dass in den letzten Jahren Kräfte wieder erstarkt sind, die die NS-Zeit verharmlosen und 'Hitler und die Nazis' als 'Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte' bezeichnen." Die Aktion setzte deshalb auch ein Zeichen "gegen Ausgrenzung und Diskriminierung".
Die Stadt Dorfen und die Geschichtswerkstatt Dorfen stellen in begrenzter Anzahl Fahnen in mittelgroßem Format zur Verfügung. Die Fahnen können solange der Vorrat reicht in der Dorfener Buchhandlung, Unterer Markt 1, abgeholt werden.