Süddeutsche Zeitung

Dorfen:Unermüdlich

Benno Meindl war Organist, Chorleiter, Kammermusiker und Pädagoge. Ernst Bartmann erinnert im SZ-Gespräch an seinen Lehrer und Freund

Interview von Florian Tempel

Künstler gehen nicht in den Ruhestand, sondern machen weiter bis ans Lebensende. So wie der Kirchenmusiker Benno Meindl, der bis zuletzt nicht aus dem Dorfener Musikleben wegzudenken war. Vor einem Vierteljahrhundert hatte seine Rente begonnen, doch Meindl blieb musikalisch so agil und aktiv, dass er, obgleich schon im 92. Lebensjahr, Ende November überraschend starb. 63 Jahre lang war er als Organist der Pfarrei Mariä Himmelfahrt Dorfen verbunden und kontinuierlich in Messen und Gottesdiensten im Einsatz. Unter anderem hat er selbst wohl mehr als 5000 Beerdigungen musikalisch begleitet. Ernst Bartmann, sein Schüler und Nachfolger als Dorfener Kirchenmusiker, erinnert sich an seinen Lehrer und Freund.

SZ: Wie war Ihre letzte Begegnung mit Benno Meindl vor seinem Tod?

Ernst Bartmann: Es war am Sonntag, bevor er gestorben ist, der Volkstrauertag. Beim Gottesdienst hat das Dorfener Blechbläserensemble gespielt, das er gegründet hat, das sein Sohn Guido leitet und in dem nun auch sein Enkel Tobias mitspielt. Hinterher ist Benno zu mir gekommen und hat mir gesagt, wie stolz er auf die Bläser ist, auf seinen Sohn und seinen Enkel. Im Nachhinein betrachtet, war das wie ein Abschiednehmen.

Benno Meindl war selbst bis zuletzt als Musiker aktiv. Woran hatte er gerade gearbeitet, was hatte er geplant?

Benno kann in dieser Hinsicht ein Vorbild für jeden sein: wie man sich im Alter die Vitalität und Lebensfreude erhalten kann, wenn man an der Sache am Ball bleibt, die einem wichtig ist. Sein erster Gang an jedem Morgen hat ihn zu seinem Flügel geführt, um zu schauen, ob die Finger noch funktionieren. Er hat zwar viele Sachen aus dem Effeff gespielt, aber manche Stücke gingen ihm im Alter nicht mehr so von der Hand. Dann hat er hat sich hingesetzt, einen neuen Fingersatz gemacht und die Stücke neu geübt - das ist ein unglaublicher Aufwand! In diesem Jahr hat er darunter gelitten, dass wegen Corona vieles nicht mehr möglich war. Doch als wir im Herbst wieder ein paar Chorproben hatten, war auch er wieder da. Und mit seinem Gesangsquartett hatte er konkret ein Benefizkonzert für eine neue Orgel in der Marktkirche geplant.

Wie ist es losgegangen, wie ist Benno Meindl zur Musik gekommen?

Darüber habe ich nach Bennos Tod viel mit seinem Sohn Guido gesprochen. Für seine Beerdigung hatte sich Benno ganz fest das deutsche Volkslied "Im schönsten Wiesengrunde" gewünscht. Dieses Lied bedeutete ihm viel, er hat es verbunden mit Kistlmühle bei Armstorf im Goldachtal, wo er geboren und mit seinem Bruder Anton aufgewachsen ist. Als Jugendlicher hat er von seinem Vater, der Landwirt war, ein Klavier bekommen. Und im nahen Kloster Armstorf hat er Messen auf einem Harmonium begleitet. Erst nach Kriegsende, er war damals 16 Jahre alt, hat er begonnen, bei einer Pianistin in München Klavierunterricht zu nehmen. Die Stunden hat er damals in Naturalien bezahlt.

Wie hat sein Umfeld auf sein künstlerisches Talent reagiert?

Er hat oft erzählt, dass sein Vater immer hinter ihm gestanden ist. Auch wenn Nachbarn zu ihm gesagt haben, "dein Bua der taugt doch nichts, der spielt den ganzen Tag nur Klavier, der arbeitet ja nichts". Sein Sohn Guido hat mir erzählt, dass Benno in den Nachkriegsjahren in München ein privates, aber professionelles Klavierstudium absolviert hat. In Armstorf hat er bei einem Gottesdiensten einmal "Lascia ch'io pianga" aus Händels Oper Rinaldo gespielt, eine der berühmtesten Arien der Barockzeit. Da haben ihm die Schwestern die Noten heruntergerissen, weil er es gewagt hatte, so etwa Heidnisches zu spielen. Es hat sich herumgesprochen, dass in Armstorf einer auch mal ungewöhnliche Sachen spielt. So ist er dann auch Aushilfsorganist in Dorfen geworden.

Er hat aber auch eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Meindl gemacht. War er mit diesen Meindls verwandt?

Nein, das ist nur eine Namensgleichheit. Er war da nur vier, fünf Jahre, bevor er sich voll und ganz für die Musik entschieden hat. Sein Vorvorgänger als Dorfener Kirchenmusiker, Siegfried Pfaffinger, ist Pfarrer in Stephanskirchen bei Rosenheim geworden und hat Benno als Kirchenmusiker mitgenommen, das war seine erste Stelle.

In Dorfen wurde er Nachfolger des auch in diesem Jahr verstorbenen Georg Ratzinger, des Bruders von Papst Benedikt.

Ratzinger hatte Benno für sein Abschiedskonzert in Dorfen als Organist engagiert. Und er hat dabei gesehen, wie gut er mit Pedal gespielt hat. Benno hat immer wieder erzählt, wie begeistert Ratzinger war. Und nach dem Gottesdienst ist er zu ihm gekommen und hat ihm gesagt, "ich werde Sie als meinen Nachfolger vorgeschlagen".

Das war 1957 und in dem Jahr hat er auch Kirchenmusikstudium begonnen?

Die Initialzündung war, dass er die Stelle in Dorfen bekommen hat. In München hat er beim berühmte Karl Richter studiert, dem Gründer des Münchner Bach-Kollegiums und ein international gefragter Konzertorganist. In der damaligen Zeit, im katholischen München wurde Bach kaum gespielt, Bach war ja evangelisch. Karl Richter hat Benno in seine Klasse nur aufgenommen, weil er eine so tolle Klaviertechnik hatte - sonst wäre er als Katholik gar nicht in seine Klasse gekommen.

Wie war sein Leben als Kirchenmusiker in Dorfen?

Das Gehalt war sehr schmal, der Dienst sehr groß. Sein Sohn bewahrt Hefte auf, in die Benno alle seine täglichen Aufgaben eingetragen hat: 6.15 Uhr Frühmesse, 7 Uhr zweite Frühmesse, vormittags Beerdigungen, nachmittags Schüler, abends Chorproben. Eine Fülle an Arbeit und man konnte nicht davon leben. Deswegen hat er nebenbei Geld als Tanzmusiker verdient. Er war in mehreren Gruppen unter anderem in der Charly Sewald Band, die in Dorfen sehr aktiv war. An mehreren Abenden in der Woche hat er da Klavier und Akkordeon gespielt. Was unglaublich hart war, weil er am nächsten Tag wieder um 6.15 Frühmesse hatte. Und unter Pfarrer Eigner gab es keinen freien Tag, der hat einfach gesagt, einen freien Tag braucht's nicht.

Wie ging es privat weiter?

1965 hat er geheiratet, seine Ottilie, 1970 kam ihr Sohn Guido auf die Welt. Sie haben erst einige Zeit im Pfarrhof gewohnt, bevor sie ihr Haus an der Josef-Martin-Bauer-Straße gebaut haben, wo er bis zuletzt gelebt hat. Ottilie ist 1984 leider viel zu früh verstorben. Das war ein harter Schicksalsschlag für Benno und seinen Sohn Guido.

Wie war sein Verhältnis zur Institution Kirche?

Er hatte sehr verschiedene Dienstherren. Pfarrer Eigner hatte eine sehr, sehr herrische Art, es muss traumatisch gewesen sein, unter ihm zu arbeiten. Danach kam Pfarrer Wiesbeck, der war das komplette Gegenteil. Er war wirklich ein Seelsorger, der sich um die Menschen gekümmert hat. Mit ihm ist auch Bennos Leben freier geworden. Mit der Institution Kirche hat er sich zeitlebens sehr beschäftigt. Er war kritisch und hat Missstände angeprangert. Aber er hat auch unheimlich viel gemacht für die Kirche. Die Pfarrei Dorfen, das kirchliche Leben im Ort war ihm ein echtes Anliegen. Gerade ihm, der sich sein Leben lang so engagiert hat, stand es auch zu, Kritik zu äußern.

Ganz wichtig ist auch, dass Benno Meindl auch Musikpädagoge war.

Es war eine Zeit, als es noch keine Kreismusikschule gab. Benno war jahrzehntelang mehr oder weniger alleine für die musikalische Ausbildung der Jugend er ganzen Stadt verantwortlich. Deswegen gibt es Generationen von Dorfenern, die alle irgendwann mal beim Benno im Unterricht waren. Jeder gebürtige Dorfener, der Musik macht hat irgendeine Geschichte, die mit dem Benno zu tun hat.

Wie war er als Lehrer?

Er war kein Mensch großer Worte. Er war sehr genau im Unterricht und deswegen hat man unheimlich viel von ihm gelernt. Er war überhaupt nicht streng, es war immer eine gute Atmosphäre, es war immer genau und exakt und hat Spaß gemacht.

Benno Meindl ist mit dem Kulturpreis des Landkreis Erding, dem Kulturpreis und der Bürgermedaille der Stadt Dorfen ausgezeichnet worden, weil er auf so vielfältige Weise das Musikleben in Dorfen und Umgebung bereichert hat.

Er war besonders stolz, dass er die Dorfener Bläserbuben gegründet hatte, aus denen das Dorfener Blechbläserensemble hervorgegangen ist. Der Erfolg der Bläserbuben war mit ausschlaggebend dafür, dass er den Kulturpreis des Landkreises erhalten hat.

Er selbst war selten der Solist, viel öfter der Begleiter am Klavier und an der Orgel für andere.

Er war für ganz viele Sänger und Instrumentalisten aus Dorfen und Umgebung ein ganz wertvoller Begleiter.

Musik war aber nicht alles, er war auch stark an bildender Kunst interessiert.

Sein Musikzimmer war sein Reich. Da gab es eine Galerie, auf der er sich eine Hausorgel installiert hatte. Dann stand dort natürlich sein geliebter Konzertflügel. Und überall hingen Gemälde, viele von Künstlern, die er persönlich kannte. Er hat über die Bilder gesprochen oder sich einfach hingesetzt und sie angeschaut. Er hat immer gesagt, Farben seien ihm genauso wichtig wie Klänge.

Bei der Beerdigung ist auch Musik erklungen, die er selbst komponiert hat, Chorgesang war jedoch nicht möglich.

Das war schon etwas traurig. Wir wollen, wenn es Corona wieder zulässt, auf alle Fälle noch ein Gedenkkonzert auf die Beine stellen. Denn es gibt es viele Chorsänger und musikalische Wegbegleiter, die alle gerne noch einen Beitrag zum Abschied liefern würden.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2020
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