Theatertradition in Dorfen:Immer wieder gerne auf der Bühne

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"Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen wurde 1927 vom Gesellenverein unter Präses Josef Strasser im Streibl-Saal auf die Bühne gebracht. (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

Seit hundert Jahren blüht, mit kleinen Unterbrechungen und bemerkenswerten Wandlungen, die Theaterleidenschaft in der Stadt. Rudolf Thalmeier hat die erstaunliche Vielfalt und Kontinuität zusammengefasst. Schauspiel, meistens mit Musik, prägt seit langem das kulturelle Leben.

Von Florian Tempel, Dorfen

Die acht Aufführungen von Goethes Faust in Dorfen wurden von fast 6000 Menschen besucht und waren wochenlang Gesprächsthema in der Stadt. Eine Theaterinszenierung, an der fast 200 Dorfenerinnen und Dorfener im Alter von acht bis über 80 Jahren beteiligt waren, war genau das Richtige für ein Stadtjubiläum. Rudolf Thalmeier hat das sehr gefreut, aber er hat es auch gar nicht anders erwartet. In einem unveröffentlichten Aufsatz legt er dar, dass Dorfen eine kontinuierliche Tradition der Theaterleidenschaft hat, die hundert Jahre zurückreicht.

"Für Theaterspielen, für Kultur schlechthin, scheint in Dorfen ein guter Boden zu sein", schreibt Thalmeier und setzt mit seiner Theaterchronik bei Xaver Terofal an, der 1862 in Dorfen geboren wurde. Terofal wuchs in der Weinwirtschaft "Zelzer" seines Vaters auf, interessierte sich für Musik, Tanz und vor allem fürs Theater.

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Nach einer Metzgerlehre in Isen wurde er selbst Gastronom, pachtete Wirtshäuser in Dorfen und München, und inszenierte dort Musik- und Theaterabende. Später wurde Terofal mit seinem "Schlierseer Bauerntheater" berühmt, machte Tourneen durch den deutschsprachigen Raum und sogar in den USA.

"Sherlock Holmes" 1926, wohl im Streibl-Saal. (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

Es ist naheliegend, dass Terofal den Keim legte, der in Dorfen aufging und gedeihte. In den 1920er Jahren kam es zu einer ersten Blüte des Theaters in der Stadt. "In der Generation meines Großvaters wurde viel Theater gespielt", schreibt Rudolf Thalmeier. Nicht nur Singspiele wie "Der Holledauer Fidel" von Erhard Kutschenreuter, die vom Gesangsverein Liedertafel 1927 mit so großem Erfolg aufgeführt wurde.

Aus dem gleichen Jahr hat Rudolf Thalmeier auch ein Foto von "Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen in Dorfen. Das gesellschaftskritische Drama wurde vom katholischen Gesellenverein im Streibl-Saal auf die Bühne gebracht. Im Jahr zuvor hatte man ein "Sherlock Holmes"-Kriminalstück gegeben, wie ein anderes Foto beweist.

Gottfried Thalmeier auf einer undatierten Aufnahme, circa 20 Jahre alt. (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

In vielen der damals aufgeführten Stücken spielte Rudolf Thalmeiers Vater Gottfried Thalmeier mit. Xaver Terofal hat ihn bei Auftritten in Dorfen erlebt und wollte den offensichtlich talentierten jungen Mann für sein Ensemble gewinnen. Doch er blieb in Dorfen. "Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete mein Vater hauptsächlich selbst für die Regie verantwortlich: Er bevorzugte das Genre Operette und Singspiele, wobei dieses relativ selten bearbeitet wurde und deshalb von weit und breit Zuschauer anlockte." In den 194oer und 1950er Jahren kamen zudem Komödien auf die Bühne. Allein die Titel wie "Graf Schorschi" oder "Sankt Peter in Sankt Pauli" machen deutlich, dass ernste Stoffe erstmal nicht so sehr gefragt waren.

Gottfried Thalmeier in der von ihm in Szene gesetzten Komödie "Sankt Peter auf Sankt Pauli". (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

Doch auch das änderte sich. Die Kolpingjugend, die sich aus dem Gesellenverein entwickelt hatte, brachte 1964 "Jedermann", den Klassiker der Salzburger Festspiele von Hugo von Hofmannsthal. Regie führte der junge Kaplan Lorenz Wachinger, der sechs Jahre später heiratete, aus dem Priesterstand entlassen wurde und Psychotherapeut wurde. Sein Nachfolger als Kaplan, der spätere Weihbischof Engelbert Siebler, war auch sein Nachfolger als Theaterregisseur. Er inszenierte mit der Kolpingjugend den Nestroy-Klassiker "Lumpazivagabundus".

Das Plakat zu "Lumpazivagabundus", 1978 in Dorfen. Von oben: Alois Forster, Sepp Landshammer und Thomas Thalmeier. (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

Das hatte offensichtlich so viel Spaß gemacht und Eindruck hinterlassen, dass das Stück etwa zehn Jahre später von der Jugend des Eissportvereins ESC Dorfen noch einmal aufzulegen - und 2004 auch noch mal am Gymnasium. Rudolf Thalmeier schreibt, dass Mitte der 1970er Jahre der Eishockey-Abteilungsleiter Eduard Seisenberger "die Initiative ergriff, auch um die Finanzen des Vereins zu verbessern". Auch ein guter Grund, Theater zu spielen. Vor allem aber, war "eine neue Theater-Gruppe geboren", konstatiert Rudolf Thalmeier, welche die Theatertradition Dorfens in den kommenden Jahren intensiv weiterführen sollte.

"Der Bauer als Millionär", Plakat zur Inszenierung 1983 in Dorfen. (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

Rudolf Thalmeier führte 1983 Regie beim Komödienklassiker "Der Bauer als Millionär" von Ferdinand Raimund, sein Bruder Thomas spielte die Hauptrolle. "Unser damaliger musikalischer Leiter stellte wieder ein kleines Orchester zusammen und wir hatten einen großen Erfolg mit dem Zaubermärchen." Mit dabei war damals, als Siebenjähriger, auch schon Ernst Bartmann, der nur einen kleinen Auftritt hatte, aber so nebenbei den Text aller Rollen auswendig lernte. Gottfried Thalmeier wagte sich zusammen mit Sieglinde "Sigg" Dubotzki 1986 an Ralph Benatzkis "Im Weißen Rössl am Wolfgangsee". Es war seine letzte große Theaterarbeit, kurz nach der Premiere starb er.

1995 brachte "Theater hinter dem Mond" die "Dreigroschenoper" von Bert Brecht in Dorfen zur Aufführung. (Foto: Sammlung Thalmeier/oh)

Nach den Biedermeierkomödien "gingen wir an die Grenzen von Amateur- und Laientheatern", fährt Thalmeier in seiner Dorfener Theaterchronik fort, "wir wagten uns an Bert Brechts Dreigroschenoper". Dazu gründete sich die Kompagnie "Theater hinter dem Mond", die mehr als fünf Jahre an der Inszenierung arbeitete. Aus gesundheitlichen Gründen holte sich Rudolf Thalmeier in Franz Erl einen Co-Regisseur dazu. Auch Brechts Klassiker wurde ein Riesen-Erfolg. "Viel Bewunderung war in den Kritiken zu lesen und darüber, was in Dorfen möglich ist." Wenige Jahre später folgte unter der Regie von Franz Erl "Kasimir und Karoline" von Ödon von Horvath.

Um die Jahrtausendwende wurde von einer Privatinitiative dreimal als Open Air das volkstümliche Spiel, das sich mit dem Dorfener Bierkrawall befasste, unter der Regie des Erdingers Sepp Beils aufgeführt. Auch am Gymnasium Dorfen blühte das Theaterspiel auf, was bis heute anhält. Ein Großereignis war schließlich 2001 die Aufführung von "Antigone" ein Schauspiel nach Sophokles mit der Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Ein gemeinsames Projekt des Männerchor Dorfen unter der Leitung von Ernst Bartmann und der Theatergruppe des Gymnasiums unter der Leitung von Gerhard Häußler, in der zum Festspielhaus umfunktionierten Dorfener Eissporthalle.

Rudolf Thalmeier ist sich bewusst, dass seine Zusammenfassung keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben kann. Und doch zeigt er in seinem Aufsatz, dass man in Dorfen schon sehr lange und sehr oft mit Theaterprojekten das kulturellen Leben der Stadt geprägt hat. Goethes Faust in Dorfen war nur ein weiterer Meilenstein auf einem bereits lange Weg.

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