80 Jahren KriegsendeTag der Befreiung - ein Grund zur Freude

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Die vielen Hundert Holocaust-Überlebenden, die nach der Befreiung nach Dorfen kamen, richten im Gasthaus Jakobmayer die Zentrale ihres lokalen Jüdischen Komitee ein.
Die vielen Hundert Holocaust-Überlebenden, die nach der Befreiung nach Dorfen kamen, richten im Gasthaus Jakobmayer die Zentrale ihres lokalen Jüdischen Komitee ein. (Foto: Geschichtswerkstatt Dorfen)

Die Geschichtswerkstatt Dorfen wendet sich dem Ende des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs nicht nur mit Vorträgen zu. Mit viel Musik wird der Abend im Jakobmayer zu einer positiven Feier, bei der Freude, Erinnerung und Respekt emotional zum Ausdruck kommen.

Von Florian Tempel, Dorfen

Der Jakobmayer-Saal ist als Veranstaltungsort ohnehin grandios. Doch beim Abend der Geschichtswerkstatt Dorfen zum Ende des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs ist er es auch, weil das heutige Kulturzentrum der dafür am besten passende historische Ort in der Stadt ist. Schon bald, nachdem Einheiten der US-Armee am 2. Mai 1945 Dorfen vom Nationalsozialismus befreit hatten, wurde genau hier das Jüdische Komitee eingerichtet. Der Jakobmayer war die Zentrale der Selbstverwaltung der mehreren hundert Holocaust-Überlebenden, die nach ihrer Befreiung in die Stadt kamen.

Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt hatte ganz bewusst einen „Vortragsabend mit viel musikalischer Begleitung“ organisiert. Den Tag der Befreiung gelte es nicht nur mit Betroffenheit zu begehen, sagte er in der Einleitung, sondern auch und nicht zuletzt „mit Freude“.  Und so waren gleich mal drei Künstler am Freitagabend dabei: der Kabarettist und Musiker Werner Meier aus Ottenhofen, der Pianist Dieter Knirsch aus Walpertskirchen und Leonhard M. Seidl aus Isen, in diesem Fall als Folksänger.

Die geschichtlichen Betrachtungen waren ebenfalls in drei Abschnitte gegliedert. In Teil eins ging es um die Zeit von 1933 bis 1945, dann um das Geschehen „rund um den 2. Mai.“ und schließlich um die ersten Nachkriegsjahre.

Den Einstieg machte Werner Meier mit einem kleinen Solokonzert mit immerhin acht Liedern und Gedichten. Das mag der ein oder die andere als etwas zu lang empfunden haben. Aber es war auf alle Fälle unterhaltsam, nicht nur witzig, sondern auch nachdenkenswert. Als letztes Stück gab Meier den Sternschnuppe-Song vom Kuckuck zum Besten, der mit der treffenden Zeile, „schön ist der Mai“ zurückleitete zum Thema des Abends.

Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen hatte den lokalhistorischen Abend geplant und organisiert.
Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen hatte den lokalhistorischen Abend geplant und organisiert. (Foto: Renate Schmidt)

Schorsch Wiesmaier, der die textlichen Teile des Abends mit Monika Roth-Dittlmann, Arthur Dittlmann und Vroni Vogel gestaltete, legte zunächst dar, dass laut einer aktuellen neuen Umfrage 38 Prozent der Menschen in Deutschland meinen, man solle „einen Schlussstrich unter die NS-Zeiten ziehen“. Erstmals ist das eine Mehrheitsposition, denn für eine weitere Aufarbeitung der NS-Geschichte waren nur 37 Prozent, und einem Viertel der Leute ist es egal.

Ein Beispiel, wie erkenntnisreich die lokale NS-Forschung sein kann, haben zuletzt etwa die Recherchen der Geschichtswerkstatt zur NS-Euthanasie gezeigt. Mittlerweile sind zwölf Opfer aus Dorfen bekannt, die wegen kognitiver Einschränkungen oder psychischer Erkrankungen von den Nazis ermordet worden sind.  Da Dorfen in der NS-Zeit etwa 2800 Einwohner hatte, wird klar, dass jede und jeder in der Stadt damals mindestens einen der Ermordeten gekannt haben muss.

Vor dem zweiten Teil und später auch in der Pause spielte Dieter Knirsch bewegende Improvisationen auf dem Flügel. Es waren melancholische, stellenweise sogar düstere Klangbilder, dann wieder hoffnungsvoll heitere und lebensbejahende Musik. Ein großartiger Beitrag, der unter die Haut ging. Dieter Knirsch zeigte, was nur Musik kann: alle Emotionen von der Katastrophe bis zum triumphalen Gefühl der Befreiung zu verbinden.

Überreste eines am 24. April 1945 abgestürzten Flugzeugs des US-Air-Force in der Nähe von Hampersdorf.
Überreste eines am 24. April 1945 abgestürzten Flugzeugs des US-Air-Force in der Nähe von Hampersdorf. (Foto: Jakob Lutz)

In den letzten Tagen der NS-Herrschaft waren Durchhalteparolen an der Tagesordnung. Die Geschichtswerkstatt hat ein originales Flugblatt vom 28. April 1945. Es lag in einem Zug zwischen Markt Schwaben und Dorfen aus. Darin fordert der Münchner NSDAP-Gauleiter Paul Giesler einen „Kampf bis aufs Messer“. Vier Tage zuvor waren bei Dorfen zwei amerikanische Tiefflieger abgestürzt, einer bei Esterndorf und einer in der Nähe von Hampersdorf. Der 33-jährige polnische Zwangsarbeiter Adam Brela kam ums Leben, als er aus den Trümmern ein Bordgeschoss nahm und dieses in seinen Händen explodierte.

Am 26. April passierte der Todeszug aus dem KZ-Außenlager Mühldorf mit 3640 Häftlingen Dorfen. Am 28. April erreichte ein SS-Kommando auf dem Rückzug Dorfen und plante Widerstand gegen die anrückenden Einheiten der US-Armee zu leisten. Laut einem Bericht des Dorfener Pfarrers Hermann Mencke konnte die SS jedoch zum Abzug bewegt werden. Auch die beiden Isenbrücken in der Stadt wurden doch nicht gesprengt. Am Abend des 1. Mai erreichten Einheiten der 3. und 7. US-Armee Dorfen. Nach einer Nacht mit Artilleriebeschuss wurde Dorfen am Vormittag des 2. Mai an die Amerikaner übergeben. Der Krieg war aus, Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangene waren befreit und Nazigegner durften aufatmen.

Ausschnitt eines Flugblatts des Münchner NSDAP-Gauleiters Paul Giesler vom 28. April 1945, seinerzeit ausgelegt im Zug zwischen Markt Schwaben und Dorfen.
Ausschnitt eines Flugblatts des Münchner NSDAP-Gauleiters Paul Giesler vom 28. April 1945, seinerzeit ausgelegt im Zug zwischen Markt Schwaben und Dorfen. (Foto: Geschichtswerkstatt Dorfen)

Als musikalischer Beitrag zu Ehren und zur Anerkennung der US-Soldaten trug Leonhard M. Seidl drei ergreifende Songs vor. Im Klassiker „Home on the Range“ geht es um den Traum eines friedvollen Lebens, umgeben von großartiger Natur und voller optimistischer Zuversicht – also ziemlich genau das Gegenteil vom Leben eines Soldaten im Kriegseinsatz. Mit dem Spiritual „Wade in the Water“ zollte Seidl den schwarzen US-Soldaten des Zweiten Weltkriegs besonderen Respekt. Zuletzt sang er Woody Guthries „This Land is Your Land“. Es gilt als zweite und inoffizielle Nationalhymne der USA. Es ist allerdings ein ganz und gar nicht national-gesinntes Lied, sondern der Song eines bekennenden Kommunisten, der darin Egalität und Solidarität thematisiert. Anwesende US-Staatsangehörige im Jakobmayer waren zu Tränen gerührt.

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