SZ-Kulturpreis Tassilo:Kritische und empathische Lokalhistoriker

SZ-Kulturpreis Tassilo: Weil es so gut läuft, hat sich die Geschichtswerkstatt Dorfen als Verein organisiert. Der Vorstand (v.l.): Hans Elas, Doris Minet, Schorsch Wiesmaier, Monika Schwarzenböck, Peter Willim und Heidi Oberhofer-Franz.

Weil es so gut läuft, hat sich die Geschichtswerkstatt Dorfen als Verein organisiert. Der Vorstand (v.l.): Hans Elas, Doris Minet, Schorsch Wiesmaier, Monika Schwarzenböck, Peter Willim und Heidi Oberhofer-Franz.

(Foto: Renate Schmidt)

Die Geschichtswerkstatt Dorfen überzeugt nicht nur immer wieder durch sehr erfolgreiche lokale Geschichtsforschung, sondern auch durch die Art, wie die Ergebnisse live präsentiert werden.

Von Florian Tempel, Dorfen

Es gibt Leute, die bescheinigen der Geschichtswerkstatt Dorfen ein grundlegendes Manko, weil sich die Mitglieder des Vereins schwerpunktmäßig mit der NS-Lokalgeschichte beschäftigen. Die zwölf Jahre von 1933 bis 1945 seien doch weniger als ein Hundertstel der Geschichte der Stadt Dorfen, die in diesem Jahr ihre erste urkundlich belegte Erwähnung vor 1250 Jahren feiert, lautet der Vorwurf. Diese simple Rechnung mag zwar mathematisch richtig sein, aber sonst ist nichts an ihr dran.

Zum einen ist die Geschichtswerkstatt Dorfen gar nicht auf die NS-Zeit fixiert. Die Mitglieder folgen bei der Auswahl ihrer Recherchethemen grundsätzlich ihrem Gespür für Relevanz. So fand zum 100. Jahrestag der bayerischen Revolution 1918/19 ein fantastischer Themenabend statt und in diesem Jahr wird es eine Veranstaltung über Juden im 14. Jahrhundert geben. Zum anderen aber erweisen sich die Ergebnisse, die die Geschichtswerkstatt bei öffentlichen Veranstaltungen präsentiert, immer wieder als echte Volltreffer. Zuletzt gelang das in besonderer Weise bei einem Vortragsabend im Dorfener Kulturzentrum Jakobmayer, bei dem erstmals etwas über das Leben und die Ermordung von Dorfener NS-Euthanasieopfern zu erfahren war.

Dieses wichtige Thema, dessen sich die Geschichtswerkstatt Dorfen angenommen hat, ist ein Beweis dafür, dass es auch im Jahr 2023 alles andere als Zeit ist, die historische Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus zu den Akten zu legen. Ganz im Gegenteil zeigen die Recherchen zur NS-Euthanasie im lokalen Nahbereich besonders eindringlich, wie durchdrungen die Gesellschaft von der mörderischen und grausamen Nazi-Ideologie war.

Die Geschichtswerkstatt präsentierte biografische Fragmente zu einer kognitiv beeinträchtigten Frau und einem psychisch kranken Mann aus Dorfen. Berta Sewald und Franz Schweiger waren zwei völlig unterschiedliche Menschen, zwei völlig verschiedene Leben, aber sie erlitten den gleichen Tod in einer eigens eingerichteten NS-Tötungsanstalt.

Die Einbindung von Nachfahren von NS-Euthanasieopfern stellte eine berührende und lebendige Nähe her

Den Mitgliedern der Geschichtswerkstatt gelang es dabei, über die Ermordeten in einer Weise zu berichten, die einem als Zuhörer besonders nahe ging. Bei der großen Veranstaltung im Oktober 2022 waren zwei Nachfahren mit auf der Bühne im Jakobmayer, als es um ihre ermordeten Angehörigen ging. Die etwa 200 Zuhörer waren gebannt, gespannt und berührt.

Das ist es, was die Arbeit der Geschichtswerkstatt Dorfen so bemerkenswert macht, dass sie nach 2021 erneut für den Tassilo-Kulturpreis nominiert wird. Neben der immer wieder erstaunlich erfolgreichen historischen Arbeit, ist es die besonders gelungene Präsentation in Live-Veranstaltungen, bei der Zeitzeugen oder Angehörige eingebunden werden. Die Morde an Berta Sewald und Franz Schweiger sind zwar mehr als 80 Jahre her, doch die unmittelbare Präsenz ihrer Nachfahren stellte im Jakobmayer eine lebendige Nähe her.

Die Geschichtswerkstatt Dorfen gibt es schon seit einigen Jahren und sie hat schon oft überzeugt. Die Recherchen und Ergebnisse zur nationalsozialistischen Karriere des Dorfener Schriftstellers Josef Martin Bauer war ungemein wichtig für eine Stadt, die sich lange ungemein stolz mit diesem Autor gerühmt hat. Die Entdeckung des aus Dorfen stammenden NS-Widerstandskämpfers Karl Wastl und der Erinnerungsabend mit der Schoah-Überlebenden Hilde Grünberg in Isen waren ebenso bemerkenswerte und wichtige Aktionen. Die Geschichtswerkstatt hat aufgeräumt mit falschen Narrativen, unhaltbaren Beschönigungen und unglaubwürdigen Erinnerungslücken. Das hat Eindruck hinterlassen und andere animiert, mitzumachen.

Hans Elas, Schorsch Wiesmaier und Heidi Oberhofer-Franz, alle drei Lehrer respektive Lehrerin, waren 2017 erstmals als Geschichtswerkstatt Dorfen mit dem Zusatz "in der GEW" öffentlich in Erscheinung getreten. Der gemeinsame Beruf und die Arbeit in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) war ein wichtiges Moment für sie. In den folgenden Jahren stießen weitere Mitstreiterinnen dazu. Monika Schwarzenböck und Doris Minet etwa. Gemeinsam mit Bettina Kronseder und Adalbert Wirtz hatten sie als Arbeitskreis von "Dorfen ist bunt" 2011 begonnen, über die Geschichte jüdischer Schoah-Überlebender in Dorfen zu forschen. Sie deckten damals ein völlig vergessenes Kapitel der Lokalgeschichte wieder auf. Sie verfassten das Buch "Wie kommt der Davidstern nach Dorfen?" und organisierten mehrere große Erinnerungsveranstaltungen. Beide sind vom Ansatz der Geschichtswerkstatt überzeugt, sich mit der Geschichte von unten zu befassen, dem Leben und Alltag von einfachen Menschen in Dorfen und Umgebung.

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