Ihre ersten historischen Stadtführungen haben Doris Minet und Monika Schwarzenböck schon vor vielen Jahren gemacht, nachdem sie als Arbeitsgruppe des Bündnisses „Dorfen ist bunt“ das Buch „Wie kam der Davidstern nach Dorfen?“ veröffentlicht hatten. Damals ging es vor allem um die Zeit nach 1945, als viele hundert Überlebende der Shoah eine Zeit lang in Dorfen lebten, bevor die allermeisten ins Ausland gingen. Als Mitglieder der Geschichtswerkstatt Dorfen haben Minet und Schwarzenböck später ihre Stadtrundgänge thematisch und chronologisch auf die NS-Zeit ab 1933 erweitert.
Nun haben sie den „Rundgang zur NS-Vergangenheit und Nachkriegszeit in Dorfen“ schriftlich zusammengefasst und in einer gut illustrierten Broschüre veröffentlicht. Das schmale, aber prägnant konzipierte Heft ermöglicht es jedem Interessierten, selbst in der Stadt auf Erkundungstour zu gehen und Zeitgeschichte an Original-Orten nachzuvollziehen. Zugleich ist es tatsächlich „die einzige Zusammenfassung der NS-Geschichte in Dorfen in schriftlicher Form“, sagt Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt. Der Stadtführer ist somit auch ein kleines Nachschlage- und Überblickswerk.

In einem durchlaufenden und geschickt zusammengestellten Text werden 23 Orte und Plätze in der Stadt Dorfen vorgestellt. Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung zur Machtübertragung an die NSDAP beginnt der Rundgang am Rathaus. Der Gemeinderat – damals war Dorfen noch keine Stadt – war rasch gleichgeschaltet und der zuvor bürgerlich-konservative Stadtrat Georg Erhard wurde bereitwillig zum Nazi-Bürgermeister.
Schon die zweite Station des Rundgangs, der Hemadlenznbrunnen, verweist darauf, wie sehr die Gesellschaft auf allen Ebenen von der NS-Ideologie durchdrungen wurde. Die Brunnenfigur ist ein Werk des Dorfener Goldschmieds Hermann Wandinger, der zusammen mit seinem Bruder Franz Silberwaren für Adolf Hitler sowie in dessen persönlichem Auftrag pompöse Ehrengeschenke für Nazi-Größen produzierte.
Am Unteren Marktplatz geht der Stadtführer darauf ein, dass hier früher Viehmarkt abgehalten wurde und der Dorfener Gemeinderat 1934 willfährig dafür sorgte, dass alle jüdischen Viehhändler dort nicht mehr zugelassen waren. Der in diesem Jahr verlegte Stolperstein vor dem Haus am Unteren Marktplatz 4 verweist auf die Ermordung von Berta Sewald im Rahmen des NS-Euthanasieprogramms. Und im Kulturzentrum Jakobmayer, ebenfalls am Unteren Markt, sind noch Spuren der Überlebenden zu sehen. Jüdische Displaced Persons richteten hier die Zentrale des Jüdischen Komitees Dorfen ein. Im Aufgang zum Saal sind ein Davidstern und eine Menora an die Wand gemalt.

So stark und intensiv geht der Rundgang weiter. Es geht um die Versammlungsräume der Nazis, die Wirkungsstätten des Journalisten und gefeierten NS-Schriftstellers Josef Martin Bauer, man erfährt von kritischen Pfarrern und nationalsozialistischen Lehrern, Zwangsarbeiterinnen und dem Mühldorfer Todeszug, der auch durch Dorfen fuhr. Manchmal aber steht man auch vor einem Haus und freut sich: Das autonome, selbstverwaltete Jugendzentrum ist doch tatsächlich für die Hitlerjugend erbaut worden. Eine bessere Umnutzung ist kaum vorstellbar.
Der Stadtführer zeigt in der großen Fülle der Themen zur NS-Vergangenheit und der Nachkriegszeit, „wie sich in Dorfen die große Geschichte wie in einer Nussschale widerspiegelt“, sagt Schorsch Wiesmaier. Und damit ist die Hoffnung verbunden, dass man daraus etwas lernen kann. Weil klar erkennbar wird, wie in der NS-Zeit ein großer Teil der Bevölkerung – vor allem die, die schon zuvor wirtschaftlich und gesellschaftlich eine Rolle spielten – zu ihrem eigenen Vorteil mitgemacht haben.
Den Stadtführer „Rundgang zur NS-Vergangenheit und Nachkriegszeit in Dorfen“ gibt es für drei Euro im GIKS Dorfen, Kirchtorplatz 4, und im Laden der Geschichtswerkstatt Dorfen an der Marktkirche.