SZ-Serie: Stadt-Land-Leben:Ländliche Kleinstadt oder urbanes Dorf

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Traditionspflege in der historischen Altstadt: Der Schützenumzug des Schützengaus Dorfen, mit Kutschen, Blaskapellen, Trachten- und Schützenvereinen. (Foto: Renate Schmidt)

In Dorfen kommt vieles zusammen. Tradition und Landwirtschaft spielen eine große Rolle, aber die Stadt hat auch viele Facetten an sich, die typisch urban sind. Schützenvereine und autonomes Jugendzentrum, Trachtenheim und Genossenschafts-Café, das alles prägt Dorfen.

Von Florian Tempel, Dorfen

Das Überthema der vergangenen Wahlen auf allen Ebenen war das Verhältnis zwischen Stadt- und Landmenschen. In Dorfen treffen sie ganz konkret aufeinander. In der Kleinstadt mit der Riesenfläche von fast 100 Quadratkilometern leben etwa 15 000 Menschen. Manche Auswärtigen finden es lustig, dass die Stadt einen Namen hat, der ein bisschen wie der grammatikalisch falsche Plural von Dorf klingt. Ungefähr zwei Drittel der Einwohner wohnen in der eigentlichen Stadt. Gut ein Drittel lebt in einem der mehr als 200 Außenorte, die zum Teil nur Einöden sind und so schöne Namen haben wie Wampeltsham, Geierseck, Kleinkatzbach oder Pürstling.

Ist man in der Stadt Dorfen auf dem Land? Manchen Zahlen nach ganz sicher. Mit zuletzt 11 750 Rindern war Dorfen zwar laut der letzten Stichtageszählung nicht mehr die Nummer eins in Bayern, was die absolute Zahl der Rinder angeht. Die Gemeinde Gangkofen im Landkreis Rottal hat ihr den Rang abgelaufen, sie mit gerade mal 120 Rindern mehr überholt. Dennoch ist Platz zwei immer noch beeindruckend, immerhin gibt es im Freistaat mehr als 2000 Kommunen.

Günther Drobilitsch ist Landwirt in Gmain, einem Außenort des Außenorts Schwindkirchen, und schon sehr lange Stadtrat für eine parteiunabhängige Ortsliste. „Flächenmäßig ist Gmain wahrscheinlich sogar größer als die eigentliche Stadt“, sagt Drobilitsch über sein Kernheimatgebiet, das weit die Hügel rauf und runter geht und doch nur zwei Dutzend Hausnummern hat. Drobilitsch lebt schon immer in Gmain und kennt hier natürlich alle. Im nahen Schwindkirchen fallen ihm die auf, die er nicht sofort einordnen kann. In Dorfen denkt er darüber nicht mehr nach.

Als Kind „war Dorfen für uns weit weg, es existierte eigentlich nicht“, sagt Günther Drobilitsch. Ab der fünften Klasse ging er in der Stadt zur Schule, das Leben spielte sich jedoch weiter in Schwindkirchen ab. „Wir haben ja alles gehabt“, Sport- und Schützenverein, die Feuerwehr, die Landjugend und sogar eine Disco. Das Nebeneinander von Stadt und Land, das früher sehr ausgeprägt war, habe sich seit den 1990er-Jahren „langsam geändert und positiv entwickelt“. Drobilitsch betont freilich prinzipiell die Gemeinsamkeiten, die gegenseitige Wertschätzung, weil er grundsätzlich positiv denken möchte. Das Leben in der Stadt und auf dem Land ist anders, aber kein Gegensatz.

In Wasentegernbach stehen riesige Landmaschinen im Schaufenster. (Foto: Renate Schmidt)
An der B 15 mitten in der Stadt, gegenüber vom Supermarktgebiet, stehen Rasenmäher am Straßenrand zum Verkauf. (Foto: Renate Schmidt)

Dass Dorfen eine ländliche Kleinstadt ist, muss also niemand bezweifeln. Die Landwirtschaft ist hier stärker ausgeprägt, als es für eine Stadt der Normalfall ist. Aber Dorfen hat dennoch nicht wenige Seiten und Facetten an sich, die typisch urban und auffällig städtisch sind.

Viele Menschen pendeln zum Arbeiten in die Landeshauptstadt. Doch das macht es nicht aus. Die Stadt liegt nicht im MVV-Bereich, hier fahren die Regionalbahnen von Mühldorf vorbei, auf einer eingleisigen Bahnstrecke ohne Strom. Über die Autobahn erreicht man München seit fünf Jahren viel schneller als früher, doch die Distanz von mehr als 50 Kilometern ist noch immer erheblich. Dorfen liegt nicht im Großraum München, sondern ein Stück hinter dieser diffusen Grenze.

Das Wahlverhalten ist vielleicht der größte und am besten erkennbare Unterschied zwischen Stadt- und Landmenschen. Das gilt auch im Mikrokosmos Dorfen. Schon seit vielen Jahren sind die Grünen, die vielen als urbane Partei gelten, hier eine starke politische Kraft. Im Landkreis Erding sind die weiteren Grünen-Hochburgen die Gemeinden Ottenhofen und Wörth, die deutlich näher an München liegen und S-Bahn-Anschluss haben. Die Grünen werden in Dorfen in der eigentlichen Stadt stärker gewählt, es gibt sogar Wahllokale, wo sie schon mal die Partei mit dem größten Zuspruch waren. So gesehen ist Dorfen aber nicht wirklich auf dem Land. Selbst im Wahllokal „Trachtenheim Wasentegernbach“ erhielten die Grünen zuletzt bei der Europawahl noch 11,7 Prozent.

Das Johannis-Café ist genossenschaftlich geführt und sieht aus wie ein Lokal in der Großstadt. (Foto: Stephan Görlich)

In wirklich ländlichen Gebieten werden die Parteien der Berliner-Ampel-Koalition bei Wahlen nur unter ferner registriert. In Steinkirchen im Holzland, das Luftlinie zwölf Kilometer nördlich von Dorfen liegt, kamen SPD, Grüne und FDP bei der Europawahl addiert auf gerade mal 10,0 Prozent der Stimmen.

In Dorfen hat Alternativ und Links allerdings schon lange Tradition. Das hat zum einen mit dem jahrzehntelangen Widerstand gegen den Bau der Autobahn A 94 durchs Isental, aber auch mit vielem anderem zu tun. In Dorfen gibt es seit 50 Jahren ein autonomes Jugendzentrum. Die Bio-Genossenschaft Tagwerk ist vor 40 Jahren hier gegründet worden. Die Grün-Links-Alternativen treffen sich im genossenschaftlich geführten Johannis-Café, ebenfalls eine Institution seit Jahrzehnten. Es gibt hier ein Forum Links, die AG International und am 1. Mai eine Kundgebung. Das alles prägt Dorfen und macht es schwer, es in Stadt oder Land einzukategorisieren. Muss ja auch nicht unbedingt sein.

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