LokalhistorieDie Wurzeln der Dorfener Selbstverwaltung

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Auf einem Gemälde von Nikolaus Gumberger von 1890, das sich im Dorfener Heimatmuseum befindet, ist im Vordergrund der zweibeinige Galgen zu sehen. Auf dieser "Galgenwiese" befinden sich heute Dorfener Discounter.
Auf einem Gemälde von Nikolaus Gumberger von 1890, das sich im Dorfener Heimatmuseum befindet, ist im Vordergrund der zweibeinige Galgen zu sehen. Auf dieser "Galgenwiese" befinden sich heute Dorfener Discounter. (Foto: Thomas Daller/oh)

Wo heute Kik, Aldi und Rewe stehen, baumelten früher die Gehängten am Galgen: Vor 700 Jahren erhielt Dorfen eine eigene Gerichtsbarkeit und die Bevölkerung wurde mit Bürgerrechten ausgestattet.

Von Thomas Daller, Dorfen

Ältere Leser in Bayern erinnern sich vermutlich noch an die damals erfolgreiche Fernsehserie „Königlich bayerisches Amtsgericht“, die von 1969 bis 1972 im Bayerischen Fernsehen lief. Der Serienautor und Schriftsteller Georg Lohmeier siedelte die Fälle in einem fiktiven Ort Geisbach an, aber weil er selbst Dorfener war, ließ er sich bei den einzelnen Folgen von Originalfällen des Dorfener Amtsgerichts inspirieren. Die Geschichte Dorfens als Sitz einer Gerichtsbarkeit begann am 13. Dezember 1324, vor genau 700 Jahren.

Damals unterzeichneten die niederbayerischen Herzöge Otto IV. und Heinrich XIV. in Landshut eine Urkunde, die Dorfen mit den Rechten einer eigenen Gerichtsbarkeit ausstattete. Der Dorfener Lokalhistoriker Pfarrer Josef Gammel geht in seinem Buch „Dorfener Land in alten Geschichtsbildern“ davon aus, dass dieses Dokument auch den Aufstieg der Dorfener vom bäuerlichen Untertan zur Bürgerschaft einläutete. Denn erstmalig taucht in dieser Urkunde in Zusammenhang mit Dorfen das Wort „Bürger“ auf.

„Ein wesentliches Merkmal der Städte und gefreiten Märkte war die Selbstverwaltung der Bürger durch eine aus ihren eigenen Reihen gewählte Obrigkeit“, schreibt der Dorfener Pfarrer und Heimatforscher Josef Gammel im Buch „Dorfener Land in Geschichtsbildern“. „Während die Bauern stets unter herzoglicher oder grundherrlicher Obrigkeit standen und nie zu einer gemeindlichen Selbstverwaltung kamen, hatten die bayerischen Herzöge von Anfang an die Städte und Märkte mit eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit begabt und von der niederen Gerichtsbarkeit der herzoglichen Richter ausgenommen.“ Zur Gerichtsbarkeit heißt es in dem Schriftstück aus dem Jahr 1324: „Wir wellen, daz unser Vitztum, Richter noch khein unser Amptman, noch anders niemant überal in unserm Lande mit unsern Purgern zu Dorfen nichtes zu schaffen hab an ein recht alain.“

Als „unsern Purgern“ werden die Dorfener bezeichnet, also „unsere Bürger“. Deshalb ist der 13. Dezember 1324 ein bedeutsames Datum, denn die Dorfener werden in dem auf diesen Tag datierten Freiheitsbrief erstmals als Bürger bezeichnet. Sieben Jahre später, im Dorfener Marktrecht von 1331, wurden diese Rechte bestätigt und erweitert.

Beinahe hätte man in Dorfen das Jubiläum übersehen

In Dorfen ist dieses Dokument ein wenig in Vergessenheit geraten, weil sich Lokalhistoriker stärker auf das Marktrecht von 1331 und die dazugehörige Urkunde fokussiert haben. Beinahe hätte man das Jubiläum übersehen. Franz Meitner hat der SZ für die Recherche Dokumente aus dem Oberbayerischen Archiv für vaterländische Geschichte zur Verfügung gestellt.

Wolfgang Lanzinger, Vorsitzender des Historischen Kreises Dorfen, hat die Recherchen überprüft: „Ich habe den Sachverhalt bei Gammel und Dachs sowie in einer mir vorliegenden Publikation zu den Bayerischen Archivinventaren nachgelesen. Definitiv bestätigt dieser Freiheitsbrief von 1324 Dorfens Gerichtsbarkeit; diese konnte Gammel 1958 bereits bis 1307 zurückverfolgen. Alles Weitere - die gefreiten Märkte und die Selbstverwaltung durch einen jährlich zu wählenden Sechser-Kreis - ist wohl erst durch die Marktrechtsurkunde 1331 belegt, hat jedoch laut Gammel damals bereits bestanden.“

Neben den Bürgerrechten erhielt Dorfen auch die niedere Gerichtsbarkeit

Die Urkunde von 1324 sei daher „das älteste erhaltene Dokument, das Dorfen die kommunale Selbstverwaltung bescheinigt“. Zu diesen Bürgerrechten zählte insbesondere der von Lanzinger genannte Sechser-Kreis, ein Gremium von sechs Bürgern, die die Dorfener aus ihren Reihen wählten und die auch über einen Haushalt verfügten, sozusagen die ersten Vorläufer des Stadtrats.

Neben den Bürgerrechten erhielt Dorfen damals die niedere Gerichtsbarkeit. Dieses Gericht war somit für Kleinkriminalität zuständig, nicht für Kapitalverbrechen. Im Herzogtum Niederbayern übten die Landrichter aber sowohl für die Herzöge die hohe Gerichtsbarkeit als auch für den Markt die niedere Gerichtsbarkeit aus. Schwerere Vergehen wurden dann als „Schauprozesse“ abgeurteilt.

Das Einkaufsgebiet trägt heut offiziell die Bezeichnung „Galgenwiese“

In Dorfen wurde auch die Todesstrafe vollzogen. Im Dorfener Heimatmuseum befindet sich ein Gemälde mit einer Stadtansicht von Nikolaus Gumberger, das auf das Jahr 1890 datiert ist. Es zeigt Dorfen von Süden und einen zweibeinigen Galgen. Wo heute Kik, Aldi und Rewe stehen, baumelten früher die Gehenkten. Das Einkaufsgebiet trägt offiziell die Bezeichnung „Galgenwiese“.

Die Verleihung der Gerichtsbarkeit und der bürgerlichen Selbstverwaltung im Jahr 1324 war ein bedeutender Schritt in der Entwicklung der Stadt. Dorfen gewann mehr Unabhängigkeit in rechtlichen Angelegenheiten und als Gerichtssitz zog Dorfen mehr Menschen an und wurde zu einem wichtigen Zentrum in der Region.

Diese Stärkung der Autonomie war Teil der Territorialpolitik der Wittelsbacher, die im 13. und 14. Jahrhundert flächendeckende Landgerichte und Pflegämter organisierten. Der Landrichter in Dorfen spielte im 14. Jahrhundert eine Schlüsselrolle in der rechtlichen, administrativen und wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Seine Präsenz markierte Dorfens wachsende Bedeutung und trug zur Stärkung der städtischen Autonomie bei.

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