Rathausbilder:Wie sich in Dorfen seit 99 Jahren eine Falschinformation hält

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Die Stadt hält hartnäckig daran fest, ihre sechs historischen Gemälde im Sitzungssaal seien vom bayerischen Hofmaler Johann Caspar Sing. Sie sind es nicht.

Von Florian Tempel, Dorfen

Es ist ein typische Geschichte, nicht nur für unsere Zeit und nicht nur für Dorfen. Es ist eine Geschichte, die vor 99 Jahren begonnen hat und die zeigt, wie schwer es ist, eine Falschinformation wieder aus den Köpfen zu bekommen. Je länger Fake News nicht hinterfragt und ungeprüft hingenommen werden, desto fester setzen sie sich fest, erst recht wenn es scheinbar gute Nachrichten sind. So wie die 1920 aufgebrachte Mär, der Zyklus der sechs Dorfener Rathausbilder, die jetzt wieder den Sitzungssaal im neuen Rathaus schmücken, sei ein Werk des "kurfürstlich bayerischen Hofmalers Johann Kaspar Sing". Diese Behauptung, die erst vor zwei Wochen wieder von der Dorfener Stadtverwaltung per Pressemitteilung zirkuliert wurde, ist, schon seit sie 1920 in die Welt gesetzt wurde, falsch. Da lässt sich nichts retten, gar nichts machen und irgendwie hinbiegen.

Die Hartnäckigkeit, mit der in Dorfen an der falschen Behauptung festgehalten wird, ist bemerkenswert. Was macht ihren, den Verstand benebelnden Reiz aus? Da nur Experten für Barockmalerei mit dem Namen Johann Caspar Sing etwas anfangen können - man schreibt seinen Vornamen mit "C" -, muss die Dorfener Dilettanten etwas anders faszinieren. Offensichtlich ist es der Zusatz "kurfürstlich bayerischer Hofmaler". Erst dieser Ehrentitel lässt in ihren Augen die alten Gemälde in besonderem Glanz erstrahlen, in einem schönen Schein, der auf alle Dorfener zurückfällt.

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Dabei liegt die Erkenntnis, dass die Bilder nicht von Johann Caspar Sing stammen, seit 1993 schlüssig dargelegt vor. Bekannt ist das zumindest seit vier Jahren, als die Erdinger SZ erstmals darüber berichtete. Auch die neuerliche Nachforschung, wie es zu der falschen Zuschreibung kam, war nicht schwer. Und eine kunsthistorische Recherche zu den Gemälden - etwas, das bislang von niemanden angestrengt worden war - lüftete zwar auch nicht die Identität des wahren Malers. Doch die Beschäftigung mit den Inhalten und Vorbildern der Rathausbilder führt zu viel interessanteren Erkenntnissen, als den Namen Johann Caspar Sing nur durch einen anderen zu ersetzen.

Die Ausgangslage war nie schlecht, denn die Rathausbilder geben von sich aus viele Informationen preis: Sie haben religiöse Inhalten, die sich klar zuordnen lassen; es gibt Erläuterungstexte in Latein und Deutsch, die die Namen von früheren Dorfener Bürgern nennen, die die Bilder gestiftet haben; Jahreszahlen zeigen an, dass die sechs Gemälde zwischen 1686 und 1690 gemalt wurden. Eines sucht man aber vergebens: eine eindeutige Künstlersignatur. Nur ein Bild, das ausweislich des Widmungstextes nicht von anderen bezahlt wurde, sondern ein Geschenk des Malers ist, führt ein Monogramm: C.S.P. Es gibt umfangreiche Nachschlagewerke zu Signaturen und Monogrammen. Doch keines kennt jemanden, der mit den Initialen C.S.P. signiert hat. Man kann damit leben, es ist nichts Besonderes. Die Kunstgeschichte kennt Tausende unbekannter Maler.

Wenn man sich jedoch mit den Bildinhalten befasst, wird einem klar, warum nur das eine, das vom Maler geschenkte, eine Signatur aufweist. Dazu später. Als vor 99 Jahren die falsche Zuschreibung an den kurfürstlich bayerischen Hofmaler Johann Caspar Sing in die Welt gesetzt wurden, spielten Inhalte keine Rolle. Es ging es nur um die Adelung Dorfens. Ein bisschen so, wie wenn sich einer von einem Grafen adoptieren lässt oder sich im Ausland einen Doktortitel kauft.

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Wer diesen Fake kurz nach dem Ersten Weltkrieg in Gang gebracht hat, - man darf davon ausgehen, dass es ein Dorfener war - ist nicht bekannt. Jedenfalls hat er es sehr geschickt angestellt, indem er Georg Hager, den damaligen Chef des Landesamts für Denkmalpflege einspannte. Im Denkmalamt ist ein handschriftliches Konzept eines Briefs von Hager archiviert. Darin schreibt Hager, das Monogramm sei "wohl zu deuten als Kaspar Sing Pictor (= Maler)". Warum er den Vornamen mit "K" schreibt, obwohl im Monogramm auf dem Bild ein "C" zu sehen ist, ist nicht nachvollziehbar. Hager schreibt dann noch ein paar Zeilen mit Lebensdaten des Malers, der 1651 in Braunau geboren wurde und 1729 in München starb, und, dass er "kurfürstlicher bayerischer Hofmaler" war. Außerdem erwähnt er, dass im "nahen Burgrain" in der dortigen Schlosskapelle auch zwei Bilder von Sing hängen.

In der Tat ist Burgrain nicht weit weg von Dorfen, mit dem Auto ist man in 15 Minuten da. Die erwähnten Gemälde in der Schlosskapelle sind nachweislich von Johann Caspar Sing. Die Bilder sind vollständig, mit ausgeschriebenem Namen signiert und es gibt Rechnungen, die ihn als Urheber ausweisen. Ein Besuch in der Schlosskapelle macht noch etwas deutlich: Die Gemälde dort sind völlig anders als die Dorfener Rathausbilder.

Die Kunsthistorikerin Eva Seibt ist die vielleicht beste Kennerin der Werke von Johann Caspar Sing. Ihre am Institut für Kunstgeschichte der Universität München 1993 vorgelegte Dissertation ist die weltweit einzige Monografie über den Maler. Seib nennt mehrere gute Gründe, warum sie die Dorfener Rathausbilder aus dem Werkkatalog von Johann Caspar Sing rausgekegelt hat: "Malstil, Kolorit wie auch die Figurenauffassung verweisen deutlich auf eine andere Hand." Für sie ist auch das Monogramm "C.S.P." ein weiterer Hinweis darauf, dass die Bilder nicht von Sing stammen: "Mir ist keine Monogramm-Signatur bekannt. Vor allem gibt es keine Signatur, in der nicht beide Vornamen oder ihre Monogramme angegeben werden." Ihr Urteil zu den Dorfener Rathausbildern ist letztlich nachvollziehbar frei von jedem Zweifel: "Die unter niederländischem Einfluss stehende, betont additive Malweise weist in keinem Punkt eine Übereinstimmung mit Arbeiten von Sing auf."

Niederländisch ist ein gutes Stichwort. Die Recherche zu den Motiven der Dorfener Rathausbilder führt zu unzweifelhaften Vorlagen: "Das Urteil Salomons" ist eine Kopie von einem Gemälde, das Peter Paul Rubens für das Brüsseler Rathaus gemalt hat, wo es zwar durch einen Brand zerstört wurde, von dem es aber sehr gute Kupferstiche gibt. Ebenso lassen sich auch für die anderen Bilder "Lazarus und der reichen Mann", "Die letzten Dinge", "Die Hochzeit von Kana" und "Das ungerechte Gericht" ähnlich genaue Vorlage finden, fast immer sind es niederländische Kupferstiche. Der Maler hat offensichtlich, das war üblich und normal, eine Sammlung mit Druckgrafiken besessen, aus der er sich bedient hat.

Ab und an hat der Maler in den genannten fünf Bildern etwas verändert, aus anderen Vorlagen hinzugefügt oder etwas weggelassen. Im Bild "Das Urteil Salomons" sind zum Beispiel links und rechts Pfeiler und Vorhänge eingefügt, die es in der Vorlage nicht gibt. Ähnliche Beobachtungen in anderen Bildern machen klar, dass er das getan hat, weil die Gemälde ein einheitliches Format haben. Die Kupferstiche, die als Vorbilder dienten, sind mal breiter, mal gedrungener. Dasselbe Format bei fünf Rathausbildern erklärt sich dadurch, dass so eine Gleichbehandlung der einzelnen Stifter sichergestellt wurde.

Nur ein Bild ist vom Format kleiner. Es zeigt "Christus im Haus von Martha und Maria". Es ist das Bild mit der Monogramm-Signatur. Und es hat eine bemerkenswerte lateinische Inschrift. Diese besagt, dass das Bild ein Geschenk des Malers ist - und dass niemand glaube, er habe keinen Verstand. Er hat die anderen fünf nicht signiert, weil sie Kopien war. Nur das letzte Bild hat er nicht einfach von einem Kupferstich abgekupfert und es deshalb als sein eigenes angesehen.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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