Verkehrspolitik:Tempo 30 als Normalfall

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Nur noch Tempo 30 soll in Dorfen gelten. Falls sie nicht gerade im Stau stehen. (Foto: Renate Schmidt)

Der Dorfener Bauausschuss schließt sich der Initiative des Deutschen Städtetags "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten" an. Ziel ist, dass die Kommunen künftig selbst entscheiden dürfen, wie schnell bei ihnen gefahren wird.

Von Florian Tempel, Dorfen

Die Stadt Dorfen schließt sich einer wegweisenden Initiative des Deutschen Städtetags an, nach der die Kommunen künftig Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit festlegen dürfen. Bislang gilt laut der Straßenverkehrsordnung, dass man grundsätzlich innerorts 50 Kilometer pro Stunde fahren darf. Geschwindigkeitsbeschränkungen sind die Ausnahme und nur mit speziellen Begründungen erlaubt. Viele Kommunen haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass von ihnen ausgewiesene Tempobegrenzungen, die vom Stadt- oder Gemeinderat als sinnvoll und notwendig erachtet worden waren, nach Beschwerden einzelner Bürger oder durch den Einspruch übergeordneter Behörden wieder zurückgenommen werden mussten.

Die im Januar gestartete Initiative trägt den Titel "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten". Die Großstädte Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm haben sie gemeinsam auf den Weg gebracht, viele weitere Städte und Gemeinden unterstützen das Anliegen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat bereits seine Sympathie mit den Forderungen der Kommunen bekundet. Er sagte im Januar: "Die Kommunen vor Ort wissen am besten, was für ihre Bewohner gut ist." Wissing sagte zwar, er sei "nicht überzeugt von einem flächendeckenden Tempo 30", wolle den Städten und Gemeinden aber in jedem Fall mehr Handlungsspielraum geben.

Kommunen sollen mehr Freiheiten erhalten

Auch der Bundesrat hat, weitgehend unbemerkt, bereits vor einem Jahr beschlossen, den Kommunen in dieser Frage mehr Freiheiten zu geben. "Es muss Kommunen erleichtert werden, innerorts die Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo 30 km/h für einzelne Strecken unabhängig von besonderen Gefahrensituationen anzuordnen", steht in einem am 25. Juni 2021 gefassten Beschluss.

In Dorfen hatte Stadtrat Heiner Müller-Ermann (SPD) den Antrag eingebracht, bei der Initiative des Deutschen Städtetags mitzumachen. Er schreibt: "Würde Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit, wäre ein Fleckerlteppich von Tempo-30-Regelungen sowie der dazugehörige Schilderwald überflüssig. Es müsste lediglich beschildert werden, wenn eine Kommune auf einzelnen Straßen Tempo 50 erlauben würde." Das ist ein wichtiger Punkt, mit dem Müller-Ermann im Dorfener Bau- und Verkehrsausschuss eine parteiübergreifende Mehrheit für seinen Antrag fand: Die Kommunen müssten nicht überall Tempo 30 ausweisen, sondern könnten auch Ausnahmen machen.

Die Regierung von Oberbayern hat die Geschwindigkeitsbegrenzung vor dem Dorfener Bahnhof gekippt

In Dorfen hat man selbst erlebt, wie rigide die aktuelle Rechtslage ist. Vor einigen Jahren wurde vor dem Dorfener Bahnhof Tempo 30 eingeführt. Es war eine einhellig begrüßte und auch von der Dorfener Polizei unterstützte Regelung. Die Beschwerde eines einzigen Bürgers reichte jedoch aus, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung von der Regierung von Oberbayern wieder gekippt wurde. Das örtliche Wissen der Stadtverwaltung, des Stadtrats und der Polizei über die lokale Situation spielte keine Rolle.

Tempo-30-Begrenzungen sind nach geltendem Recht vor Kitas, Schulen, Krankenhäusern oder Altenheimen genehmigungsfähig - aber dann nur über maximal 300 Meter. In Ottenhofen hat die Gemeinde an der Schwillacher Straße, an der es zur Schule und zum Kindergarten geht, über 600 Meter eine Tempo-30-Beschränkung erlassen. Der Gehweg, den es dort nur auf einer Seite gibt, ist schmal. "Wenn da zwei Kinder mit Schulranzen nebeneinander gehen, ist der Weg voll", sagt Bürgermeisterin Nicole Schley (SPD). Eine Geschwindigkeitsdrosselung sei in der Schwillacher Straße nach einhelliger Ansicht des Gemeinderats absolut sinnvoll. Das Landratsamt hat jedoch, nach einer Beschwerde eines Verkehrsteilnehmers, der Gemeinde mitgeteilt, dass das so nicht erlaubt sei.

Dass es auch anders geht, beweisen Beispiele aus ganz Bayern

In Langenpreising hat Gemeinderat Thomas Metz für die CSU-Fraktion vor einem Jahr den Antrag eingebracht, im ganzen Ort sollte grundsätzlich Tempo 30 gelten. Ein zentrales Stück der Ortsdurchfahrt vor der Schule ist schon temporeduziert. "Da habe ich gedacht, dann fahren wir gleich in der ganzen Ortschaft nur noch 30 - so lang ist das nicht, dass da irgendwer verhungert", sagt Thomas Metz. Nicht alle waren dafür. Doch erschütternder war für ihn, dass seine Idee eh ein aussichtsloser Wunsch war, da die Rechtslage so etwas bislang nicht hergibt.

Auch in vielen anderen Gemeinden und Städten hat man ähnliche Erfahrungen gemacht. Dass es auch anders geht und selbst auf Staats- und Bundesstraßen Tempo 30 schon heute möglich ist, weiß Robert Ulzhöfer, Verkehrsplaner und SPD-Gemeinderat in Buch am Buchrain. In Kleinostheim im Landkreis Aschaffenburg und in Neustadt an der Waldnaab ist auf innerörtlichen Bundesstraßen streckenweise Tempo 30 ausgewiesen, in Hengersberg bei Deggendorf auf einer zentralen Staatsstraße. Solche Ausnahmen zeigten zumindest, dass es doch geht. Ulzhöfer hält eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung nicht nur wegen des Themas der Geschwindigkeitsbegrenzungen für notwendig. Im Stadtrat Moosburg, der sich vor wenigen Jahren vom Freisinger Landratsamt wegen einer Tempo-30-Zone belehren lassen musste, sagte er: "Die Straßenverkehrsordnung gehört eigentlich in den Reißwolf und komplett auf neue Beine gestellt."

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