Dorfen:Kinder der Blumengartenschule

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Lea Sella und Tova Halperin berichten im Jakobmayer über ihre Familiengeschichte. Sie sind 1946 in Dorfen geboren, wo ihre Eltern sich bis 1948 in einem Ausbildungs-Kibbuz auf ein Leben in Israel vorbereiteten

Von Florian Tempel

"Dem Tod entronnen, neues Leben gewonnen - das war es." Die Antwort von Tova Halperin auf die Frage aus dem Publikum, was das Trainings-Kibbuz "Blumengartenschule" für ihre Eltern bedeutete, war bewegend. Ihr Vater Moritz Rotberg war durch die Hölle von Auschwitz-Birkenau gegangen. Aus seiner Familie überlebte nur er und sein Bruder die nationalsozialistische Vernichtung der europäischen Juden. Ihre Mutter Mindla Rotberg war 1939, als Deutschland Polen überfiel und der Zweite Weltkrieg begann, erst 14 Jahre alt.

Tova Halperin (links) und Lea Sella (rechts) bei der Enthüllung der Gedenktafel am Standort der ehemaligen "Blumengartenschule", rechts Bürgmeister Heinz Grundner (Foto: Bauersachs)

Mindla Rotberg, die "eine wunderbare Familie mit sieben Geschwister hatte", überlebte als einzige von ihnen die Schoah. Ihre Mutter habe ihr in Israel in allen Einzelheiten erzählt, wie es in den Konzentrationslagern war. "Und um ehrlich zu Ihnen zu sein", sagt Tova Halperin, "ich wollte niemals, niemals nach Deutschland kommen". Dass sie nun doch aus Israel nach Dorfen gereist ist, um auf Einladung des Antirassismus-Bündnisses "Dorfen ist Bunt" über ihre Familiengeschichte zu berichten, damit habe sie eigentlich nur ihrem Vater einen Wunsch erfüllt, weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst kommen konnte. Jetzt aber, sagt Halperin am Freitagabend beim Zeitzeugengespräch im bis auf den letzten Platz gefüllten Jakobmayer-Saal, "bin ich sehr glücklich, dass ich hier bin".

Neben ihr auf der Bühne sitzt Lea Sella. Wie Tova Halperin wurde auch sie 1946 in Dorfen geboren. Und auch für ihre Eltern, Nachum und Celina Weisman, hat in der Kleinstadt an der Isen, ein neues Leben begonnen. Im Wortsinn, denn das Ehepaar Weisman hat wie das Ehepaar Rotberg hier, nach der Auslöschung ihrer Herkunftsfamilien, ihre ersten Kinder auf die Welt gebracht. "Kinder sind neues Leben", sagen Sella und Halperin.

Warum das Dorfener Ausbildungs-Kibbuz den Namen "Blumengartenschule" trug, wo doch in der von den US-Behörden beschlagnahmten Villa des Ziegelfabrikanten Albert Meindl, in der Villa des Dorfener Schriftstellers und NSDAP-Mitglieds Josef Martin Bauer sowie einem Gutshof der Brauereifamilie Bachmayer gar keine Blumen gezüchtet, sondern Gemüse angebaut, Kühe und Hühner gehalten wurden, wissen Halperin und Sella auch nicht. Die Blumengartenschule war ein von der zionistischen Jugendorganisation Beitar organisiertes Trainings-Kibbuz, in dem junge Überlebende auf ein Leben in Palästina-Israel vorbereitet wurden. Mit landwirtschaftliche Ausbildung und Unterricht in Hebräisch, Geschichte und Politik.

Vielleicht aber, so meint man es an diesem Freitagabend zu erahnen, an dem um 20.38 Uhr Ortszeit der Sabbat beginnt, hatte das Kibbuz seinen scheinbar rätselhaften Namen nur aus einem Grund. Weil der lebensfrohe Klang "Blumengartenschule" so dramatisch entgegensetzt zum Klang der Todesorte ist, an denen die Bewohner zuvor waren: Auschwitz, Treblinka, Buchenwald, Sachsenhausen.

Die Wiederentdeckung eines ganz besonderen und lange vergessenen Stücks Dorfener Nachkriegsgeschichte ist von vielen Zufällen begleitet. Vor bald drei Jahren wurden bei der Renovierung des Jakobmayer an einer Wand im Treppenhaus ein aufgemalter Davidstern entdeckt, an einer anderen Stelle eine gemalte Menora, ein siebenarmiger Leuchter. Mitglieder von "Dorfen ist bunt" begann in Archiven und in Gesprächen mit betagten Mitbürgern herauszufinden, "wie der Davidstern in den Jakobmayer kam". Unter diesem Titel wurde vor genau einem Jahr die vergessenen Geschichte jüdischer Schoah-Überlebender in Dorfen erstmals der Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Die Historikerin Thea Fleischhauer hatte, unabhängig von den Recherchen des Dorfener Arbeitskreises, eine Bachelor-Abschlussarbeit über die Dorfener Blumengartenschule geschrieben, die vom "Dorfen ist bunt"-Arbeitskreis nur zufällig entdeckt wurde. Im Mai 2012 kam Fleischhauer erstmals nach Dorfen und berichtete über die Ergebnisse ihrer Forschung, der Arbeitskreis über die seinen. In den Nachkriegsjahren lebten bis zu 300 jüdischen Schoah-Überlebende in der Kleinstadt.

Die meisten wohnten in Wohnungen in der Stadt, unterstützt von Hilfsorganisationen vor allem aus den USA. Die Juden verwalteten sich mit einem Jüdischen Komitee selbst, das seine Sitz Jakobmayer hatte. Kaum einer blieb die Deutschland, die meisten reisten nach 1948 nach Israel oder Nordamerika aus. Seit Freitag erinnert eine Gedenktafel, dort wo heute der Lidl-Supermarkt steht, an die Blumengartenschule und ihre Bewohner.

Die etwa 40 bis 50 Kibbuzniks der Blumengartenschule lebten bis zu ihrer Ausreise 1948 ohne Kontakte zu den einheimischen Dorfenern. Die Kontaktaufnahme haben nun, 65 Jahre später, Lea Sella und Tova Halperin nachgeholt.

© SZ vom 27.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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