Schon vor fünf Jahren konnte man in der Ausstellung „Dillis in Dorfen“ im Sparkassen-Saal den Künstler Johann Georg von Dillis (1759 bis 1841) als zeitlos grandiosen Zeichner erfahren. Ein großer Teil der gezeigten Werke stammte aus der Sammlung des Münchners Michael Roggendorf. Der emeritierte Professor für Virologie wurde vor etwas mehr als 20 Jahren vom Dillis-Fieber gepackt, als er eine kolorierte Dillis-Zeichnung von seinen Eltern erbte.
Roggendorf ist seitdem Sammler und Experte für den aus Dorfen stammenden Künstler geworden. Drei Jahre lang hat er intensiv an einem Werkverzeichnis der Radierungen von Johann Georg Dillis gearbeitet. Roggendorf hat zahlreiche Kunstmuseen und Grafische Sammlungen im In- und Ausland besucht, Unterlagen und Korrespondenzen nach Hinweisen durchforstet, Vorlagen und Varianten der Dillis-Radierungen gesucht und gefunden. Das alles hat er akribisch in seinem Buch „Johann Georg Dillis – der unbekannte Radierer“ zusammengefasst, das unlängst im Verlag Edition Fichter erschienen ist.
Viele Radierungen zeigen, wie unkonventionell und meisterlich zugleich Dillis ans Werk ging
Das Werkverzeichnis ist kunsthistorisch wertvoll und müsste als Dissertation mit Bestnote ausgezeichnet werden. Doch Professor Roggendorf braucht keinen weiteren Doktortitel. Seine Befriedigung liegt nicht darin, eine wissenschaftlich einwandfreie Arbeit abgeliefert zu haben. Viel wichtiger ist, dass er einen wertvollen Forschungsbeitrag zu dem noch nicht vollständig in seiner Bedeutung als Künstler erkannten Johann Georg Dillis geleistet hat. Denn viele Radierungen zeigen, wie unkonventionell und meisterlich Dillis ans Werk ging und dabei Szenen, Menschen und Natur in innovativer Weise abbildete.
Die Radierungen waren „nicht zum Verkauf gemacht“, sagt Roggendorf. Dillis hatte die meisten Radierungen noch in seiner Zeit als privater Kunstlehrer bei der Familie von Aretin angefertigt. Er war mehrere Jahre für die kunstpädagogische Ausbildung der fünf Kinder der Aretins und weiterer adliger Münchner Familien verantwortlich. Teil des Praxisunterrichts waren das Erlernen und die Beschäftigung mit der Technik der Radierung. In dieser Zeit hat er selbst die meisten seiner 55 bekannten Radierungen angefertigt. Einige sind nur Kopien anderer Werke, etwa von niederländischen Künstlern. Doch nicht wenige sind ganz eigene Kunstwerke geworden, die sowohl durch ihre ästhetische Ausstrahlung als auch durch ihre kunsthistorischen Bedeutung beeindrucken.
Ein großartiges Beispiel dafür ist die Radierung „Die alte Weide am Bach“ aus dem Jahr 1794. Es ist eine ausdrucksstarke und seinerzeit außergewöhnliche Naturbetrachtung. Das Motiv ist ein knorriger Baum, der in einem sehr nahen Ausschnitt gezeigt wird. Den Künstler hat die von der Natur geformte Struktur ganz offensichtlich nicht nur an sich fasziniert. Dillis überträgt in seiner Radierung das Gesehene mit einer starken Linien-Dynamik, mit der er nicht nur, aber eben auch zeichnerische Möglichkeiten aufzeigt.
„Dillis hatte den Vor- oder auch den Nachteil, dass er nicht von seiner Kunst leben musste“, sagt Roggendorf. In seiner Stellung als Kunstankäufer für Ludwig I. und Gründungsdirektor der Münchner Pinakothek war er königlicher Beamter mit einem guten Einkommen. Die Kunst betrieb er nur nebenbei. „Deswegen ist er aber auch lange als Künstler vergessen worden.“ Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann man, seine Bedeutung als Künstler zu entdecken, sagt Roggendorf.
Roggendorfs hat viele Details herausgefunden. Nach seinen Recherchen hat Dillis eigene Radierungen an Johann Wolfgang von Goethe nach Weimar geschickt. Um das Jahr 1820 waren es mehrere kleinere Radierungen, darunter eine, die Dillis’ Elternhaus zeigt. Das „Jaegerhaus zu Giebing“, wie es am unteren Rand der nur 6,4 mal 10,2 Zentimeter großen Druckgrafik heißt, findet sich noch heute in der Sammlung in Weimar. In einem Brief an den bayerischen Hofmaler Josef Karl Stieler schrieb Goethe begeistert über Dillis’ Radierungen und Motivwahl: „Gerade solche kaum bedeutend scheinende Gegenstände, glücklich aufgefasst und mit Geschmack wiedergegeben, setzen mich in die angenehmste Empfindung.“
Johann Georg Dillis – Der unbekannte Radierer, Werkverzeichnis von Michael Roggendorf, 125 Seiten, Edition Fichter.