Süddeutsche Zeitung

Dorfen:Das Drama von Dorfen

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Vor 25 Jahren erschoss ein geistesgestörter Täter in der Inspektion drei Polizeibeamte und verletzte einen vierten schwer

Thomas Daller

Vor 25 Jahren, am 4. März 1988, sind die drei Polizeibeamten Alfred Meier, 46, Karl Heinz Loibl, 47, und Robert Gebler, 27, in der Polizeiinspektion Dorfen von dem 37-jährigen geistesgestörten Jugoslawen Slobodan Stefanovic erschossen worden. Ein weiterer Beamter, Polizeihauptmeister Franz Klarl, wurde durch Schüsse schwer verletzt. Der Amokläufer wurde bei einem Feuergefecht mit der Polizei vor dem Inspektionsgebäude von Schüssen aus einer Maschinenpistole am Kopf getroffen. Er erlag nach sechs Tagen im Koma seinen Verletzungen. Die Polizistenmorde von Dorfen erschütterte damals ganz Deutschland.

Der 37-jährige Maschinenbauer Stefanovic hatte 15 Jahre in Dorfen gelebt, ohne aufzufallen. Weil er in seinem Heimatort Ludwigshafen Mitglied im Sportschützenverein "Schützengesellschaft SG Ludwigshafen 1851" war, hatte er Waffen und eine Waffenbesitzkarte. Auf dem Clubgelände in einer alten Kiesgrube, nahe der Wohnung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, machte er immer sonntags Schießübungen. Im Verein war er als netter, ruhiger Typ bekannt, der nicht verbrauchte Munition immer unaufgefordert zurückgegeben habe.

Offenbar litt der 37-jährige Jugoslawe aber schon seit längerer Zeit, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber schon seit Oktober 1987 an Wahnvorstellungen. Bei seinem Antrag für die Ausstellung eines Waffenscheins zum Führen von Waffen am 20. Oktober 1987 machte er im Landratsamt Erding einen so auffälligen Eindruck, dass ihm aufgetragen wurde, sein Anliegen ausführlich zu begründen. Am 30. Dezember führte Stefanovic in einem elfseitigen Schreiben unter anderem an, er fühle sich von Boxweltmeister Cassius Clay, der Polizei und von der Roten-Armee-Fraktion bedroht und sei kürzlich erst von einem Hubschrauber verfolgt worden.

Einer ersten Ladung zur ärztlichen Untersuchung im November 1987 war Stefanovic nicht gefolgt, sie wurde erst am 10. Februar 1988 im Gesundheitsamt Erding durchgeführt. Danach teilt der Amtsarzt dem Landratsamt mit, der Waffenscheinbewerber sei nicht einmal zum Waffenbesitz geeignet. Stefanovic erfuhr am 1. März vom Landratsamt, dass ihm die Waffenbesitzkarte aberkannt wurde. Aufgrund des Untersuchungsergebnisses und auf richterlichen Beschluss ordnet das Landratsamt an, die Waffenbesitzkarte und die Waffen des 37-Jährigen einzuziehen.

Am Morgen des 4. März, einem Freitag, stellten die beiden Beamten Karl Heinz Loibl und Robert Gebler bei einer Hausdurchsuchung in Stefanovics Wohnung am Unteren Markt sieben Waffen und mehr als 2000 Schuss Munition sicher. Widerstandslos ließ sich Stevanovic die Waffen abnehmen; keinerlei Anzeichen deuteten auf die Wahnsinnstat hin, die folgen sollte. Stefanovic fuhr mit seinem eigenen Wagen den Beamten in die damalige Polizeiinspektion nach, die am Adalbert-Stifter-Ring in einem Mehrfamilienhaus untergebracht war. Die Beamten sollen ihn aber noch einmal weggeschickt haben, um fehlende Unterlagen herbeizuschaffen.

Gegen 10 Uhr waren Loibl und Gebler gerade dabei, die auf den Schreibtischen im Wachlokal ausgebreiteten Waffen zu registrieren. Da betrat Stefanovic erneut die Wache. "Gebt mir meine Waffen zurück!" rief er. Dann griff er sich seinem Colt Peacemaker und einen Revolver 44 Magnum und begann zu schießen. Loibl starb an einem Kopfdurchschuss, Gebler wurde von drei Schüssen tödlich verwundet. Außerdem verwundete Stefanovic Polizeihauptmeister Franz Klarl mit Schüssen in die Hüfte, den linken Arm und in die linke Hand. Polizeihauptmann Helmut Holzer gelang durch einen Sprung aus dem Fenster die Flucht.

Die Schüsse hatten auch Günther Schaubschläger aus dem Schlaf gerissen, der auf Wunsch des stellvertretenden Dienststellenleiters Maier an diesem Tag den Dienst mit ihm getauscht hatte. Noch im Schlafanzug ging Schaubschläger von seiner Wohnung, die über der Polizeiinspektion lag, die Treppen hinab, um nachzuschauen, was los war. Als er durch die geöffnete Tür in die Wache blickte, sah er einen blutenden Kollegen am Boden liegen. Im gleichen Augenblick flogen ihm Kugeln um die Ohren. Schaubschläger rannte die Treppen hinauf in seine Wohnung und alarmierte die Kollegen in Erding.

Dem stellvertretenden Inspektionsleiter Alfred Meier gelang es gerade noch, am Funkgerät einen Notruf abzusetzen. Als der unbewaffnete Meier am Täter vorbei in den Hof und zu den Nachbarn flüchten wollte, schoss ihm Stefanovic in den Rücken. "Holt das Rote Kreuz", keuchte er noch, bevor er in den Armen der Nachbarin an den Folgen eines Leberdurchschusses starb. Spätere Rekonstruktionen ergaben, dass Stefanovic 45 Schüsse in der Polizeiinspektion abgegeben hat; auch mit einer Schrotflinte soll er gefeuert haben.

Stefanovic hatte gerade die Wache verlassen, als ein Streifenwagen eintraf. Offenbar hatte auch der schwerverletzte Franz Klarl noch einen Notruf absetzen können, der von den Kollegen im Streifenwagen gehört wurde: "Schusswaffengebrauch in der Inspektion. Erbitten sofort Verstärkung."

Als Polizeihauptmeister Frank K. den bewaffneten Täter sah, stieß er die Tür des Streifenwagens auf, eine Maschinenpistole im Anschlag. Stefanovic schoss sofort und traf. Schwer verletzt schoss der Polizeibeamte zurück und traf Stefanovic in Kopf und Oberarm. Rettungshubschrauber brachten beide in Münchner Kliniken. Stefanovic war zu diesem Zeitpunkt bereits klinisch tot. Im Gehirn ließ sich keine Tätigkeit mehr feststellen, nur das Herz schlug noch. Er wurde künstlich beatmet und starb am 8. März im Städtischen Krankenhaus München-Bogenhausen an Herz- und Kreislaufversagen.

Alfred Meier hinterließ eine Frau und zwei Söhne im Alter von 21 und 22 Jahren, von denen einer Polizist war. Karl Heinz Loibl hinterließ eine Frau und eine 15-jährige Tochter. Robert Gebler war ledig; er war erst kurze Zeit vor der Bluttat von Erding nach Dorfen versetzt worden.

Am Mittwoch, 9. März, fand die Trauerfeier für die drei ermordeten Polizisten in der Turnhalle der Dorfener Grund- und Hauptschule statt. Für das bayerische Kabinett nahmen Innenminister August Lang sowie die Staatssekretäre Peter Gauweiler und Heinz Rosenbauer teil. Lang warnte davor, sich wut- und hasserfüllt gegen die ausländischen Mitbürger zu wenden. In Dorfen waren nach der Tat ausländische Mitbürger auf offener Straße bespuckt und als "Mörderschweine" beschimpft worden. Bürgermeister Hermann Simmerl und sein Stellvertreter Jakob Baumgartner, die die Bürger aufgerufen hatten, Ruhe und Vernunft zu bewahren, hatten anonyme Morddrohungen erhalten.

Dorfen kam in den darauffolgenden Wochen nicht zur Ruhe: Am Dienstag, 5. April, überfiel ein 20-Jähriger Isener die Kreis- und Stadtsparkasse Dorfen und nahm Geiseln. Als Tatwaffe benutzte er einen Gasrevolver. Er gab an, die Dorfener Polizistenmorde "rächen" zu wollen. Er forderte, dass man ihm ein schnelles Fluchtauto und eine weibliche Fahrerin zur Verfügung stellen sollte und den Austausch seiner beiden Geiseln gegen drei türkische Staatsangehörige. Sie sollten für das Blutbad in der Dorfener Polizeiinspektion "büßen".

Nach zähen Verhandlungen mit der Polizei gab der Täter, der den Sparkassendirektor Hans Flurl und den stellvertretenden Abteilungsleiter Gerd Tristl in seine Gewalt gebracht hatte, auf. Flurl berichtete damals, im Gespräch habe der junge Mann die Auffassung vertreten, in Dorfen einen größeren Kreis von Anhängern hinter sich zu haben, die ebenfalls Ausländer hassen würden und er als "Nazi" müsse den Stein nun endlich ins Rollen bringen. Flurl hatte dem Geiselnehmer daraufhin ein Gläschen Schnaps und Zigaretten angeboten und ihm die Aussichtslosigkeit seiner Forderung klargemacht. Nach mehr als zweistündigen Verhandlungen legte der Isener seinen Revolver auf den Tisch, ging mit Flurl ins Erdgeschoss hinunter und ergab sich widerstandslos der Polizei. Nach seiner Festnahme wurde er auf seinen Geisteszustand hin psychiatrisch untersucht.

Von Seiten der Politik war der Dorfener Polizei nach den Morden an Robert Gebler, Karl Heinz Loibl und Alfred Meier versprochen worden, dass eine neue Dienststelle gebaut werde. Die Lage inmitten einer Siedlung in einem Mehrfamilienhaus wurde als nicht länger tragbar erachtet. Bis zum Umzug in die Räume der ehemaligen Straßenmeisterei an der B 15 dauerte es aber dann noch 15 Jahre. Zum Gedenken an die ermordeten Kollegen hängen ihre Bilder auch in der neuen Inspektion an der Wand. Die Erinnerung ist immer noch gegenwärtig.

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SZ vom 02.03.2013
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