Süddeutsche Zeitung

Dorf:Ein Abend der Erinnerung

Die Geschichtswerkstatt Dorfen würdigt die Widerstandskämpfer Sophie Scholl und Karl Wastl

Von Florian Tempel, Dorfen

Vor dreieinhalb Jahren hat der Dorfener Stadtrat beschlossen, mit zwei Straßen im Baugebiet An der Mühlleite an NS-Widerstandskämpfer zu erinnern, "damit sie und ihr Mut, gegen Unrecht aufzustehen, nicht vergessen wird", wie es Doris Minet in ihrem einstimmig angenommenen Antrag formuliert hatte. Der Stadtrat entschied sich, eine Straße nach Sophie Scholl zu benennen, als Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose eine Ikone des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Die andere Straße wurde nach Karl Wastl benannt, einem in Dorfen geborenen, kaum bekannten, aber ebenso beeindruckenden Widerstandskämpfer. Die Geschichtswerkstatt Dorfen veranstaltet am Dienstag im Kulturzentrum Jakobmayer eine große Gedenkveranstaltung, bei der die Biografien, das Handeln und Wirken von Sophie Scholl und Karl Wastl gewürdigt werden.

Von Karl Wastl wusste man in Dorfen bis vor fünf Jahren tatsächlich nichts. Er und sein Leben wurde erst 2012 von Philipp Vergin im Rahmen einer Studienarbeit wiederentdeckt, auf die wiederum Hans Elas von der Geschichtswerkstatt bei seinen Recherchen zu Dorfen in der Zeit des Nationalsozialismus aufmerksam wurde. Wastls Biografie wird bei der Veranstaltung am Dienstag von drei Referenten nun ausführlich erläutert.

Hans Elas stellt sein Leben bis zum Ersten Weltkrieg dar. Wastl wurde 1889 geboren, besuchte in Dorfen die Volksschule und machte eine Ausbildung zum Kupferschmied. Philipp Vergin, der extra aus Berlin anreist, wird anschließend über Wastls Wirken in der Arbeiterbewegung in Bremen, wo er von 1919 an auf der Vulkan-Werft arbeitete, seinen Kampf gegen die Nazis und die sechs Jahre in mehreren Konzentrationslagern referieren. Das Klinkerwerk Oranienburg, ein Außenlager des KZ Sachsenhausen, war ein Todeslager, in dem die SS Tausende Häftlinge durch mörderische Arbeitsbedingungen oder gezielte Aktionen umbrachte. Dort beteiligte sich Wastl an einer von kommunistischen Häftlingen organisierten Hilfsaktion für sowjetische Kriegsgefangene, um sie mit geteilten Brotrationen vor dem Hungertod zu bewahren. Als 1944 die kommunistische Widerstandsgruppe aufflog, wurde er ins KZ Mauthausen verlegt, wo ihn am 5. Mai 1945 die US-Armee befreite. Nach dem Krieg kehrte Wastl nach Bremen zurück, wo er 1963 starb. Professor Jochen Windheuser wird als dritter Referent Wastls Umfeld in Bremen darstellen.

Sophie Scholl hat zu Dorfen keine direkte Verbindung. In der Ankündigung weist die Geschichtswerkstatt Dorfen jedoch auf einen, wenn auch "etwas makabren" Zusammenhang hin. Ihr Henker Johann Reichhart, der sie am 22. Februar 1943 hinrichtete, lebte am Ende seines Lebens in Dorfen, im damaligen Pflegeheim in Algasing. Laut einer neu erschienen Biografie war er dort zuletzt "vollkommen vereinsamt und wurde von den Mitbewohnern komplett gemieden." Als Referentin zu Sophie Scholl hat die Geschichtswerkstatt Hildegard Kronawitter gewonnen. Die ehemalige Landtagsabgeordnete ist Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung.

Schüler des Gymnasiums Dorfen haben sich unter Anleitung ihres Geschichtslehrers Alexander Graf mit dem Thema "Jugend und Widerstand im Naziregime" befasst und werden dazu einen Vortrag halten. Das Gitarrenduo Isen, Leonhard M. Seidl und Wolfgang Paul, wird mit mehreren Lieder den textlastigen Abend auflockern. Die Moderatoren der Veranstaltung sind Heidi Oberhofer-Franz und Schorsch Wiesmaier.

Karl Wastl und Sophie Scholl, Dienstag, 21. Mai, 19.30 Uhr, Jakobmayer, Unterer Markt 34, Dorfen, Eintritt frei.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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