Die Erlöserkirche in Klettham:Ein Schiff wird kommen

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Von März an wird das denkmalgeschützte Gebäude saniert. Die Kirchengemeinde will aber auch ein soziales Zentrum für das Viertel Klettham werden.

Von Philipp Bovermann

Wie ein Schiff im Trockendock liegt die evangelische Erlöserkirche mit ihrem geschwungenen Dach hinter hohen, von Efeu bewachsenen Backsteinmauern. Einerseits bergen und "umfrieden" solche Mauern, andererseits schließen sie aber auch aus. Wenn das Schiff zum Auslaufen bereit ist, nach Abschluss der Renovierungsarbeiten, die hier bald losgehen, will sich die Kirche stärker öffnen - für Kunst und Kultur, aber auch für das sozial schwache Viertel Klettham, in dem sie sich befindet. Ein Städtebauförderprogramm soll dabei helfen.

Zunächst einmal aber gelte es, so Pfarrer Christoph Keller, die "unsichtbaren Schäden zu beheben, die eine Kirche auf Dauer ruinieren". Er meint das nicht im übertragenen Sinn, sondern deutet nach oben zum Kirchendach. Mit dem machte sich im Baujahr 1963 der damals 33-jährige Architekt Hans-Busso von Busse einen Namen, bevor er später zu bundesweitem Ruhm gelangte. In Überblickswerken zur deutschen Baugeschichte kann man lesen, es handle sich um "das wichtigste Beispiel des Kirchenbaus im Schiffs- bzw. Zelttopos" für den süddeutschen Raum. Leider ist das Schiff nicht mehr ganz seetauglich: Regen tritt durch die Dachabdeckung ein. Nur eine dünne Schicht darunter verhindert, dass das Wasser ins Kircheninnere läuft, an den wunderschönen geschwungenen Trägerbalken aus Holz entlang, in die feinen Risse hinein, die sich dort gebildet haben.

Das Holz leide darunter, dass die Kirche "kein eigenes Klima hat", so Keller, sondern die Trockenheit oder Feuchtigkeit von draußen weitgehend aufnimmt. Im Winter müssen die Pfarrer das ausgekühlte Gebäude für die Gottesdienste komplett hochheizen. Solche Klimaschwankungen mag weder das Holz der Trägerbalken noch die in der Orgel verbauten Holzpfeifen. Dass man dem Instrument nicht anhört, in was für einem baufälligen Zustand es ist, liegt nur daran, dass Kantorin Regina Doll-Veihelmann weiß, welche Register sie an dem Instrument noch ziehen darf und welche nicht.

Künftig wird eine Sitzheizung für Wärme im Winter sorgen. Dadurch muss man dann nicht mehr das Raumklima insgesamt mit trockener Heizungsluft fluten. Außerdem bekommen die ornamentale Glasfront und das Dach eine energetische Sanierung. Sehen sollen die Kirchenbesucher davon anschließend nichts. Das war die Auflage des Landesamtes für Denkmalschutz, wenn die Erlöserkirche ihren Status als Denkmal von nationaler Bedeutung behalten soll, zu dem sie im letzten Frühjahr erhoben wurde. Auch die Orgel darf deshalb nur innerlich verändert werden, auf der Ebene des eigentlichen Instruments. Der Evangelische Orgelbauverein sammelt dafür schon seit über zwanzig Jahren Geld. Es fehlen zwar immer noch rund 60 000 Euro, aber weil es realistisch ist, dass die bis zur Einweihung der Orgel im nächsten Jahr zusammenkommen, konnte der Verein einen Werkvertrag mit einem Orgelbauer aus Eichenau bei Fürstenfeldbruck aushandeln - pünktlich zum Beginn der Renovierungsarbeiten an der Kirche. Sie sollen im März beginnen und kurz vor Weihnachten abgeschlossen sein.

Die Kirche vollzieht damit baulich eine Veränderung, die ihrer sich wandelnden Rolle in der Gesellschaft entspricht. Schon in der Vergangenheit haben dort Ausstellungen stattgefunden, beleuchtet von kleinen Strahlern, die mit Drahtschnüren zwischen die denkmalgeschützten Originallampen von 1963 gespannt wurden. Eine provisorische Lösung, die ein bisschen nach Wäscheleine aussieht. Der mit den Sanierungsarbeiten betreute Architekt soll nun ein dauerhaftes Beleuchtungskonzept ausarbeiten. Die Orgel ist zudem laut Jürgen Bickhardt, dem Vorsitzenden des Evangelischen Orgelbauvereins, nicht nur ein Instrument, um Gottesdienste zu begleiten, sondern auch für Konzerte. Sie werde mehr Windkraft in den Pfeifen entwickeln, mit anderen Worten mehr Kraft in der Lunge haben. Außerdem verfüge sie über ein "gegenüber den Sechzigerjahren erweitertes Klangspektrum", mit dem Organisten die gesamte Orgelliteratur spielen können, zum Beispiel die Romantiker "statt immer nur Barock".

Pfarrer Keller hofft, dass bald "mehr Leben" in die Kirche kommt. Man sei da schon auf dem richtigen Weg - und der führt für viele Menschen nicht über das Hauptportal der Kirche. Durch den rückwärtigen Ausgang tritt er auf den ummauerten Innenhof, den sich das Gotteshaus mit dem ihm angegliederten Gemeindezentrum teilt. Dorthin führt von der Straße aus ein Gittertor. "Das ist jetzt viel häufiger offen als früher." Der Grund dafür heißt Ulrike Herz. Sie ist Sozialarbeiterin bei der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit und hat Anfang vergangenen Jahres ihr Büro im Gemeindezentrum der Erlöserkirche bezogen. Montags, dienstags und am Mittwoch halbtags berät sie dort Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen, egal welcher Konfession oder Glaubensrichtung.

Das von Hans-Busso von Busse entworfene Gebäudeensemble gilt seit letztem Jahr als Denkmal von nationaler Bedeutung. (Foto: Renate Schmidt)

Von denen gebe es viele in der unmittelbaren Umgebung der Erlöserkirche, im Stadtteil Klettham, erzählt die 54-Jährige. "Wenn man mit offenen Augen durch das Viertel geht, sieht man die Probleme." In dem Kiosk gegenüber der Kirche sitzen oft schon mittags alte Menschen beim Bier, manchmal ganz allein, aber wo sollen sie auch hin? Es gibt kaum öffentliche Treffpunkte. Auch die Infrastruktur ist schlecht. Seit der Rewe in der Freisinger Straße zugemacht hat, ist nur noch der türkische Supermarkt übrig geblieben, hinter dem sich Plattenbauten aus den Siebzigerjahren auftürmen. Knapp ein Viertel der Menschen, die in Erding Sozialleistungen beziehen, wohnen in dem Gebiet westlich des Saubachs. Das Viertel wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hochgezogen, ohne echtes Zentrum oder eine eigene Identität, um billigen Wohnraum für die Beschäftigen des Fliegerhorsts zu schaffen. Die zogen nach Ende ihrer Stationierungszeit meist schnell wieder aus. Bis heute ist Klettham ein Durchgangsviertel geblieben, in dem sich nur wenige Menschen auf Dauer einrichten wollen. Zurück bleiben oft diejenigen, die sich keinen Umzug leisten können oder die zu alt sind.

Für manche, die wegen Krankheit oder Alter nicht mehr gut gehen können, sei sogar der Weg zum neuen Tafelladen am Bahnhof zu weit, so Petra Bauernfeind. Sie ist die Vorsitzende der Nachbarschaftshilfe Erding und somit für die Tafel verantwortlich. Durch den Umzug habe sie "einige Kunden aus Klettham verloren". Aber auch für die Menschen aus dem Viertel, die nun mit ihren Wägelchen zum Bahnhof pilgern, habe der Standortwechsel eine Lücke hinterlassen. Das gemeinsame Warten auf die Lebensmittelausgabe sei ein sozialer Treffpunkt für die Bedürftigen in Klettham gewesen. "Leute aus der Nachbarschaft haben Kaffee mitgebracht, bei uns gab's Tee." So hätten gerade Menschen, die ihre Armut einsam gemacht hat, sozialen Kontakt bekommen. Das finde nun in ähnlicher Form auch beim Tafelladen am Bahnhof statt - aber eben nicht mehr in Klettham.

Eine Tafelkundin aus dem Viertel habe ihr allerdings begeistert von dem wiederbelebten Nachbarschaftstreff im Gemeindezentrum der Erlöserkirche erzählt. Bevor Ulrike Herz ihre Stelle dort antrat, traf sich in dem Raum neben ihrem Büro nur einmal im Monat eine Seniorengruppe, inzwischen sind eine Mutter-Kind-Gruppe und eine Brettspielegruppe mit kostenlosem Kaffee und Kochen dazugekommen - Räume, in denen sich Menschen aufhalten können, "ohne konsumieren zu müssen". Herz kaufte Bilder für die Wand, Spiele und einen Teppich, den sie nun wöchentlich für die Kinder ausrollt, während die Mütter quer durch die sozialen Schichten miteinander ins Gespräch kommen.

Ulrike Herz will "ins Viertel ausstrahlen". (Foto: Renate Schmidt)

Beim letzten Treffen etwa habe eine Mutter, die aus einem Land mit eingeschränkten Frauenrechten stammt, eine Deutschstämmige befragt, wie sie das gemacht habe, mit dem Kind und dem Beruf und wie sie überhaupt zu ihrem Job gekommen sei. So entstünden wertvolle Netzwerke. Wenn es nach Ulrike Herz ginge, sollte im Nachbarschaftstreff aber noch viel mehr passieren: Zum Beispiel könnte man die kleine Teeküche des Gemeindezentrums ausbauen, für Menschen aus dem Viertel, die sich hier zum gemeinsamen Kochen und Essen treffen. Oder ein Gymnastikraum im hinteren Teil des Gebäudes. Zumindest barrierefreie Toiletten. Sie befinden sich im Keller, im Augenblick für viele Menschen unerreichbar hinter einer Treppe.

Solche Umbauten kosten Geld. Dass bald die Kirche renoviert werden sollte, sah Herz als Chance. Sie schlug der Kirchengemeinde vor, an die Stadt Erding mit dem Wunsch heranzutreten, sie möge sich auf das Städtebauförderprogramm "Soziale Stadt" bewerben. Es bezuschusst mit Bundesmitteln Initiativen von Städten, die sich um die soziale Stabilisation bestimmter Viertel kümmern wollen. Der Stadtrat stimmte dafür, der Antrag läuft. Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) sagt, er hoffe, damit "zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen": "Erstens brauchen wir eine Begegnungsstätte in Klettham und zweitens unterstützen wir die Arbeit der Ehrenamtlichen und der Diakonie." Vereinsamungen in Gegenden wie Klettham seien "gravierende Prozesse, die mir Sorgen machen".

Wenn der Antrag erfolgreich ist, wozu es laut dem Leiter des Stadtentwicklungsausschusses Christian Famira-Parcsetich "positive Signale" gebe, muss die Stadt externe Sachverständige beauftragen. Die analysieren dann die Situation vor Ort und erstellen daraus ein Entwicklungskonzept für das Viertel. Die Vorgaben des Förderprogramms schreiben vor, dass die Experten auch mit den Bewohnern vor Ort sprechen müssen. Petra Bauernfeind, die für die Freien Wähler im Stadtrat sitzt, findet das sinnvoll, gibt aber zu Bedenken, dass ein Teil der Menschen in Klettham nicht sehr gut Deutsch oder nicht Lesen und Schreiben könne. "Da bringt es nichts, wenn man dort einen Fragebogen in den Briefkasten wirft." Die Stadt selbst hat keinen Einfluss darauf, wie die Erhebung stattfindet. Auch nicht, wo der Nachbarschaftstreff entstehen soll, den sie sich in ihrem Antrag unverbindlich gewünscht hat. Oder welche Rolle die Arbeit von Ulrike Herz und ihre Pläne für das Gemeindezentrum der Erlöserkirche dabei spielen. Die Stadt kann dem Konzept nur ganz oder teilweise zustimmen, wenn sie dafür eine Förderung erhalten möchte. Ein Drittel der Kosten bezuschusst dann der Bund, ein weiteres Drittel der Freistaat.

Das Gittertor zum Innenhof der Erlöserkirche steht jedenfalls offen, jetzt sogar täglich. Anfang des Jahres hat Herz vom Landratsamt einen Kollegen bekommen, der eine Flüchtlings- und Integrationsberatung anbietet. Mit ihm teilt sie sich das Büro: Die erste Hälfte benutzt sie es, die zweite er. Die Kirche selbst wird ab Ostern für die Renovierungsarbeiten geschlossen sein. In einem Gottesdienst am Ostersonntag will die Kirchengemeinde symbolisch Abschied nehmen. Der Pfarrer räumt den Altar ab, dann zieht die Gottesdienstgemeinde aus der Kirche und schließt die Tür ab. So feiert sie dieses Jahr die Auferstehung.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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