Die Aussagen von Landrat Martin Bayerstorfer auf dem Prüfstand:Eine Aufgabe der Kommunen

Frauenhaus Herne

Frauenhäuser bieten Frauen und ihren Kindern im Falle von häuslicher Gewalt Hilfe, Beratung und vorübergehend eine geschützte Unterkunft an.

(Foto: Maja Hitij/dpa)

Widerspruch aus Bayern und Europa: Für das Sozialministerium gehören Frauenhäuser zur Daseinsvorsorge. Und die EU sagt: Bei sozialen Einrichtungen sollten wirtschaftliche Aspekte nicht entscheidend sein

Von Florian Tempel, Erding

Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) hat die umstrittene Kündigung des langjährigen Frauenhausträgers Sozialdienst katholischer Frauen München (SkF) nun bereits mehrmals, zuletzt in einer Pressekonferenz vor einer Woche, mit verschiedenen Argumenten, Vergleichen und Hinweisen rechtfertigt. Allerdings halten die wenigsten Punkte einer Überprüfung stand - weil sie irreführend, widersprüchlich oder schlichtweg falsch sind.

Andere kosten viel weniger

Bayerstorfer hat die Kündigung damit begründet, dass andere Frauenhäuser viel weniger kosten würden. Immer wieder zeigt er nach Freising, wo die Kosten tatsächlich niedriger sind. Er kennt die Zahlen aus den Jahresrechnungen. Mit der Leiterin des Freisinger Frauenhauses Beate Drobniak hat er aber noch nie gesprochen, wie diese bestätigt. In der Pressekonferenz vergangene Woche wurden dann angeblich besonders günstige Frauenhäuser genannt: Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zahle nur 15 000 Euro im Jahr für sein Frauenhaus und der Landkreis Rosenheim gerade einmal 4000 Euro. "Das ist natürlich nicht so", sagt der Pressesprecher des Landratsamts Rosenheim. "Das ist nicht wahr, das stimmt einfach nicht." Der Betrag von 4000 Euro betreffe nur Aufwendungen für Sachkosten. Wobei auch das nur ein Anteil sei, da die kreisfreie Stadt Rosenheim, der Landkreis Rosenheim und der Landkreis Traunstein das Frauenhaus gemeinsam finanzieren. Wie vom Sozialamt der Stadt Rosenheim zu erfahren war, ist folgendes richtig: Die Stadt und die beiden Landkreise kostet ihr Frauenhaus etwa 200 000 Euro im Jahr. Auch das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen widerspricht vehement den in Erding genannten 15 000 Euro: Im Haushaltsplan des Landkreises seien im laufenden Jahr vielmehr 250 000 Euro fürs Frauenhaus eingeplant.

Das Frauenhaus macht Defizit

Landrat Bayerstorfer bleibt hartnäckig dabei, dass das Frauenhaus Erding ein "Defizit" verursache, das der Landkreis ausgleichen müsse. Mit dieser Haltung steht Bayerstorfer alleine da. Die Vorstellung, der Betrieb eines Frauenhauses verursache an sich ein finanzielles Defizit, stößt anderswo auf totales Unverständnis. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass Mitarbeiter des Landratsamts Erding bei Nachfragen in Rosenheim und Wolfratshausen falsche Eurobeträge herausgehört haben. In Rosenheim und Wolfratshausen betrachtet man das Geld, das die öffentliche Hand überweist, als Bezahlung für eine Leistung. In Rosenheim und Wolfratshausen bezahlen die Kreisbehörden die Leistung der am Frauenhaus angestellten Sozialpädagoginnen und Erzieherinen: dafür, dass sie Frauen, die mit ihren Kindern vor einem gewalttätigen Mann geflohen sind, in einer schwierigen Notsituation beraten, betreuen und ihnen zurück in ein normales Leben helfen.

Die Frauenhäuser in Rosenheim und Wolfratshausen rechnen mit den Kreisbehörden für jede betreute Frau nach einem Tagessatz ab, der jährlich neu berechnet wird. Dieses System erleichtert die Einsicht, dass es um die Bezahlung von Leistungen geht. Dass der Betrieb des Frauenhauses Erding ausgeschrieben werden soll, zeigt, dass die "Defizit"-Vorstellung auch in Erding nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Es macht schlichtweg keinen Sinn, einen Auftrag mit einem Defizit auszuschreiben.

Freiwillige Leistung

Das bayerische Sozialministerium schreibt auf seiner Internetseite "Blick dahinter - häusliche Gewalt gegen Frauen": "Die Finanzierung der Frauenhäuser ist vorrangig eine Aufgabe der Kommunen im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge." Die bayerische Staatsregierung ist mit ihrer Einschätzung schon einen Schritt weiter als die tatsächliche rechtliche Lage. Denn offiziell gehört die Finanzierung von Frauenhäusern eben nicht zu einer Grundversorgung, die die öffentliche Hand sicher stellen muss. Es gibt deshalb auch keinen Anspruch für Frauen, sich im Notfall in ein Frauenhaus flüchten zu können. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege drängen darauf, dass das geändert wird. Bayerstorfer sagt zwar, das Frauenhaus sei "unschätzbar wertvoll" und absolut notwendig. An anderen Stellen heißt dann jedoch wieder, man sei "im Bereich freiwilliger Leistungen" verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Dieses Durcheinander, für das Bayerstorfer nichts kann, führt zu einer weiteren Fehleinschätzung.

Vergaberecht

Nachdem die Kündigung des Frauenhausträgers zunächst mit finanziellen Argumenten rechtfertigt worden war, wurde später auch das Vergaberecht angeführt. Es gebe eine "grundsätzliche Ausschreibungspflicht für Leistungen dieser Art", heißt es in einem Schreiben von Bayerstorfers Büroleiterin. Ähnlich äußerte sich eine Abteilungsleiterin, als der Landrat im Kreistag seine Sicht der Dinge bekannt gab. Dabei vermischen sich aber die Begründungen für die Kündigung und die Neuvergabe in verwirrender Weise. Die Sozialrechtsexpertin des Deutschen Caritas Verbands, Caroline von Kries, sagt ganz klar, die Kündigung lasse sich nicht mit Vorgaben des Vergaberechts begründen. "Und es ist auch nicht so, dass man das jetzt ausschreiben muss", denn "bei freiwilligen Leistungen besteht keine Pflicht zur Ausschreibung". Außerdem fordert auch die EU bei sozialen Dienstleistungen nicht die strengen Vergaberichtlinien. Die Gefahr einer "echten Vergabe" sei, dass wirtschaftliche Aspekte entscheidend werden und nicht die bei sozialen Einrichtungen maßgebliche Qualität eines Angebots. Der Landkreis München hat zwar, als er sich vor Jahren entschied, ein Frauenhaus einzurichten, den Träger über eine Ausschreibung gesucht. Wirtschaftliche Aspekte spielten dabei aber keine Rolle. Am Ende bekam der SkF München den Zuschlag.

Tatsächliche Mehrkosten

Landrat Bayerstorfer nennt als "Auslöser" der von ihm entschiedenen Kündigung des Frauenhausträgers immer wieder, dass sich der Landkreis Freising aus der gemeinsamen Finanzierungsvereinbarung zurückgezogen habe. Seit 1995 haben sich die drei Landkreise Erding, Ebersberg und Freising die Kosten für zwei Frauenhäuser geteilt. Freising rechnet damit, künftig günstiger zu fahren. Laut Auskunft des dortigen Landratsamtes erwarte man eine Einsparung von jährlich 30 000 Euro. Daraus folgt, dass die übrig gebliebenen zwei Landkreise - es gibt nicht das geringste Anzeichen, dass Ebersberg auch aus dem Frauenhausverbund aussteigen wollte - um den gleichen Betrag mehr belastet werden. Das heißt aber letztlich auch, dass es effektiv um gerade mal 15 000 Euro Mehrkosten als bislang geht.

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