Süddeutsche Zeitung

Daten-Auswertung:Zettelwirtschaft bei den Gastronomen

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Die Wirte sammeln Daten ihrer Gästen, damit diese im Falle einer Infektion benachrichtigt werden können. Die Handhabung ist unterschiedlich, eines ist allen gemeinsam: Danach gefragt hat bislang keiner

Von Renan Marie Halaceli, Erding

Akribisch sammeln die Gastronomen seit Monaten die Daten ihrer Gäste. Wer auch nur einen Kaffee trinken möchte, muss Namen und Telefonnummer hinterlassen sowie die Uhrzeit notieren, wann er gekommen ist. Die meisten Gastronomen setzen auf eine handschriftliche Erfassung auf Zettel, die an die Gäste verteilt werden, oder auf Listen; andere sammeln die Daten bei Online-Reservierungen. Dies alles für den Fall, dass ein mit dem Coronavirus infizierter Gast anwesend war. Dann würden die Contact Tracer am Landratsamt die Daten auswerten, weitere Gäste kontaktieren und so versuchen, Infektionsketten zu unterbinden. Nur: Bislang gab es keinen Fall, in dem das Landratsamt Zugriff auf die Listen verlangt hätte, das bestätigen sowohl die Behörde als auch die Gastronomen. Und auch die Polizei hat noch nie ihr Interesse angemeldet.

Die Gaststätten haben ganz individuelle Lösungen zur Personenerfassung erarbeitet. Einige haben sich mit Technik ausstatten lassen und das Verfahren auf diese Weise zum Teil digitalisiert. Andere beschränken sich darauf, mit der Speisekarte auch einen Zettel auszuteilen und auf diesem die Daten des Gastes zu erfragen. Immer wieder hatte das Verfahren zu Beschwerden geführt, weil Kritiker die Daten der Gäste nicht ausreichend geschützt sahen. Unterschiedlich verfahren die Gastronomen nicht nur beim Sammeln, sondern auch beim Aufbewahren und Entsorgen dieser Daten. Im Restaurant "Zeitlos" im Heiliggeist-Hof in Erding registrieren sich die Gäste über das Onlinesystem des Softwareanbieters Open Table, dort wird nicht nur gebucht, dort hinterlassen sie auch ihre Daten. Mittlerweile läuft auch die Vorabregistrierung über das Programm, jeder Gast müsse dort reservieren, heißt es. So habe das Restaurant automatisch alle Angaben vorliegen, die im Falle einer Rückverfolgung notwendig wären. Man müsse zwar dafür Extrapersonal zur Verfügung stellen für den Check-in und die Überprüfung der Daten, aber die Mitarbeiter seien mit dieser Lösung sehr zufrieden, sagte ein Angestellter. Ausliegende Listen oder Kontaktdaten auf Papier und deren Aufbewahrung und Entsorgung fielen somit weg. Auch der Wirt vom Biergarten Sommergarten und vom benachbarten Weekend Restaurant am Schießfeld, David Ritter, hat sich mit einer Cloud und einem Online-Formular von einem Grafiker ausstatten lassen, wie er sagte. "Man kann so direkt von seinem Handy aus alle erforderlichen Informationen eintragen und erhält im Anschluss eine Bestätigungsmail", informierte eine Mitarbeiterin. Sie diene auch als Eintrittskarte. Jedoch ersetzt dieses Verfahren nicht die Kontaktdaten-Zettel. Die Listen, auf der sich spontan eintreffende Gäste ohne Online-Registrierung eintragen müssen, seien nicht für jeden einsehbar, so Ritter. Sie würden in Ordnern aufbewahrt und weggesperrt und so lange aufbewahrt, bis er von der Regierung grünes Licht zur Vernichtung bekäme.

Beschwerden über das Verfahren oder dass sich Gäste weigern, ihre Daten herauszugeben, erleben die Gastronomen eher selten. "Es gibt schon den ein oder anderen, der mal skeptisch ist. Aber wenn wir es erklären, wird es akzeptiert", so ein Mitarbeiter des Zeitlos. Ähnlich verhalte es sich im Sommergarten. "Es sind weniger als fünf Prozent, die sich beschweren und sich dann doch noch kurz vor Ort registrieren müssen", sagte die Servicekraft.

Bei anderen Gaststätten geht es weniger technisch zu. Trotzdem haben sie eine Lösung gefunden, eine frei ausliegende Liste zu umgehen. Die Gaststätten Erdinger Weißbräu, das "Liberty 10" in Dorfen und die Brasserie Dostojewskij in der Langen Zeile in Erding geben an jedem Tisch ein Kontaktformular mit der Speisekarte aus. Am Ende des Tages würden diese dann unzugänglich in Büroräumen oder im Trockenlager weggesperrt. Im Erdinger Weißbräu würden die Personen gleichzeitig auch im Computer mit Namen, Telefonnummer und Uhrzeit angelegt und die Zettel vorschriftsgemäß vier Wochen aufgehoben, bis sie dann vernichtet werden, so ein Mitarbeiter.

Lisa Schmid, die Chefin im Dostojewskij, lässt die Zettel 31 Tage im Büro aufbewahren und entsorgt sie anschließend. Ilse Klotz vom Liberty 10 gibt die Zettel nach vier Wochen zum Schreddern. "Ich finde, es wird zu wenig kontrolliert", sagt Klotz aber. Man sehe häufig, dass die Abstandsregeln nicht eingehalten werden oder überhaupt keine Daten in Form von Listen oder Zetteln erfragt würden.

Die Polizeiinspektionen Erding und Dorfen haben keine Erkenntnisse zu Verstößen oder Beschwerden bezüglich der Regelung zur Aufnahme von Kontaktdaten. Beide Dienststellenleiter sind mit der Umsetzung zufrieden, wie sie sagen. Es gebe nur vereinzelt Beschwerden, die meistens auf Missverständnissen beruhten. Bisher seien die Daten auch nicht für andere Zwecke angefordert worden. Eine mögliche Abfrage der Daten durch die Polizei hatte bereits für Kritik gesorgt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte es vor einigen Wochen für gerechtfertigt bezeichnet, wenn die Daten in Ausnahmefällen für Ermittlungen genutzt werden.

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SZ vom 27.08.2020
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