"Das Vertrauen ist nicht gottgegeben":Unerwartete Beschleunigung

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Vor vier Jahren sicherte sich Andreas Lenz in einer Kampfabstimmung überraschend die CSU-Kandidatur, weil er das Risiko nicht scheute. Nach vier Jahren im Bundestag hat sich Lenz etabliert. Nicht nur deshalb scheint diesmal vieles reibungsloser zu laufen

Von Max Ferstl, Ebersberg

Der Abend, an dem die Karriere des Bundestagsabgeordneten Andreas Lenz beginnen sollte, endete im Chaos. "Ganz mies gelaufen", kommentierte Erdings Oberbürgermeister Max Gotz das Wahlergebnis: "ein Desaster". Ein anderer fand es "entsetzlich", und Ulrike Scharf, inzwischen bayerische Umweltministerin, konnte nur staunen: "Das gibt's doch gar nicht." Die führenden Köpfe der Erdinger CSU konnten sich nicht erklären, was an diesem 23. Februar 2013 schiefgelaufen war, weshalb Lenz, ein junger, recht unbekannter Kreisrat aus dem Landkreis Ebersberg, die Mehrheit der Delegiertenstimmen erhalten hatte und nun als gemeinsamer CSU-Kandidat für den Bundestag kandidieren durfte. Alle waren mindestens überrascht - außer der Betroffene selbst.

Er hatte eben etwas riskiert, hatte sich zur Wahl gestellt, obwohl er nur als vermeintlich dritte Kraft der Ebersberger CSU angetreten war, obwohl der Erdinger Kandidat Josef Widmann, ein gestandener Jurist, als Favorit gegolten hatte, und die Erdinger Delegierten zuvor eindringlich an ihre Disziplin erinnert worden waren. Lenz hatte vor der Wahl im Kochhaus Oskar in Forstern eine Rede gehalten, welche die anwesenden Berichterstatter als "emotional und mitreißend" beschrieben. Widmann hingegen hielt ein trockenes Referat. Letztlich stimmten drei Erdinger für Lenz. Das war es, was die Gemüter erhitzte. Abweichler sind für Parteilenker ein Albtraum. Sie machen Wahlen unkalkulierbar und manchmal peinlich wie in Forstern für die Erdinger CSU. Lenz hingegen hat die Gelegenheit erkannt und, im Gegensatz zu manchem Kollegen, eine Niederlage riskiert: "Manchmal muss man Mut zeigen."

Sein Mut brachte Lenz vier Jahre als Abgeordneter im Bundestag ein, gerade bewirbt er sich um ein neues Mandat. Er tritt erneut als CSU-Kandidat des Wahlkreises Erding-Ebersberg an, was es sehr wahrscheinlich macht, dass Lenz wieder das Direktmandat gewinnt. Im Wahlkreis hatte seit seiner Gründung der CSU-Kandidat stets mindestens doppelt so viele Prozentpunkte wie sein erster Verfolger. Andererseits: Ganz kalkulierbar ist eine Wahl nie: "Das Vertrauen ist nicht gottgegeben", betont Lenz. Nicht einmal in CSU-affinen Landkreisen wie Erding und Ebersberg. "Man muss das Vertrauen immer wieder erneuert bekommen." Dafür braucht es nicht nur Mut, sondern auch Demut.

Zum Gespräch kommt Lenz, 36, in einem schnurrenden Elektroauto. Er hätte für seine Wahlkampftour auch ein großes Gefährt nehmen können, entschied sich aber für die kleinere Variante. Während er das Ladekabel aus dem Kofferraum holt und den Wagen an die Steckdose der Erdinger CSU-Zentrale anschließt, outet er sich durchaus als Fan. Das Aufladen funktioniere "ganz einfach", die Reichweite, 200 Kilometer, "reicht locker". Vielleicht nicht unbedingt, um wie er ständig zwischen Berlin und Frauenneuharting hin- und her zu fahren. Aber "eine vernünftige Alternative im Nahverkehr" wäre das E-Auto allemal, auch wenn er nichts von generellen Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge hält. Eine Sache imponiert ihm besonders: die Beschleunigung. "Sehr direkt, das erwartet man gar nicht." Er kennt das Prinzip.

Auch die Lenker der Erdinger CSU haben nicht damit gerechnet, dass er derart unerwartet vorschnellen würde. Vielleicht haben sie Lenz auch ein wenig unterschätzt. Ihn, der bis dato lediglich als Kreisrat und Ortsvorsitzender der CSU in Frauenneuharting in Erscheinung getreten war, einer Gemeinde im Süden von Ebersberg mit 1500 Einwohnern. Andererseits war Lenz in der Jungen Union äußerst populär, weil er engagiert und leidenschaftlich arbeitete, und obendrein als fleißiger Student galt. Ein Professor hatte ihn während des Wirtschaftsstudiums für die Bayerische Elite-Akademie empfohlen.

Lenz hätte auch etwas anderes mit seinem Leben anstellen können. Angebote gab es genügend, und vielleicht hätte er eines angenommen, wäre nicht diese Chance gekommen, die zu verlockend war, um sie verstreichen zu lassen. Er sei früh politisch interessiert gewesen, sagt Lenz. Er engagierte sich zunächst in der katholischen Jugend, später in der Jungen Union. "Ich wollte etwas bewegen. Wenn man das hat, kann man es nicht leugnen." Deshalb habe er vor den Delegierten in Forstern viel Leidenschaft und Überzeugung in seine Rede gelegt: "Ich wollte es unbedingt. Ich glaube, das haben die Menschen auch gespürt." Bei der Bundestagswahl gewann Lenz seinen Wahlkreis souverän.

Dann also Berlin, gar nicht so einfach als Neuer. Als er zum ersten Mal vom Fahrdienst abgeholt wurde, fragte der Fahrer, "ob ich weiß, wo der Herr Lenz ist. Dann hab ich gesagt: Das bin ich". Man darf es dem Fahrer nicht verübeln: Der Altersdurchschnitt im Bundestag liegt knapp unter 50, Lenz war gerade 32. Grundsätzlich kein Nachteil, glaubt er, weil man als junger Abgeordneter oft unverstellter auf die Dinge blickt. Den schlabbrigen Pullover von damals lässt er seitdem trotzdem lieber im Schrank. Wer etwas bewegen will, muss ernst genommen werden, muss sich in der Fraktion profilieren. "Ein gewisses Selbstvertrauen brauchst du schon", findet Lenz: "Wenn man sich vor jedem duckt, den man im Fernsehen mal gesehen hat, dann wäre ich der Falsche."

Er glaubt, seine Sache durchaus ordentlich gemacht zu haben. Er war Obmann im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, saß außerdem im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Er habe sich dafür eingesetzt, sagt Lenz, dass bei der neuen Bundesstraße B15 die Trasse nicht im Landkreis Erding verlaufe. Oder auch, dass die Umgehungsstraßen der Bundesstraße 388, die den Verkehr um Erding, Moosinning, Taufkirchen und Bockhorn herum leiten sollen, beim Bundesverkehrswegeplan eine höhere Priorität genießen. In der kommenden Legislaturperiode möchte er sich unter anderem darauf konzentrieren, dass die Gemeinden die Entlastung auch wirklich bekommen.

Die Delegierten der Erdinger und Ebersberger CSU trauen Lenz das offenbar zu. Als sie vergangenen November erneut in Forstern zusammenkamen, um ihren Direktkandidaten zu wählen, stimmten alle Wahlberechtigten für ihn. Landrat Martin Bayerstorfer sagte damals anerkennend: "So etwas war, glaube ich, noch nie da." Kein Chaos, kein Desaster. Lenz sah vor allem "einen sehr großen Vertrauensbeweis". Es scheint diesmal vieles reibungsloser zu laufen. 2013 musste Lenz nicht nur um die Stimmen der Delegierten kämpfen, sondern auch um seine Gesundheit. Im Sommer, bevor der Wahlkampf in die entscheidende Phase einbog, diagnostizierten die Ärzte einen Tumor an einem Lymphknoten. Lenz wählte eine schnelle, intensive Chemotherapie, um einsatzfähig zu sein. Als er, schwer gezeichnet, Flyer verteilte, erkannten ihn die Menschen auf dem Bild nicht wieder. "Wahlkampf mit Haaren macht deutlich mehr Spaß", sagt Lenz. Er habe durch die Krankheit einen neuen Blickwinkel auf die Dinge bekommen. Natürlich sei ihm die Politik wichtig, das schon. Aber manchmal ist sie auch nur ein Wettbewerb, in dem man entweder gewinnt oder verliert. Bisher hat Lenz stets gewonnen.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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