"Das ist sozialer Sprengstoff":Hürden auf dem Weg zur Lehre

Flüchtling macht Schreiner-Ausbildung

Zwischen Juli 2016 und Juni 2017 haben 29 bei der Agentur für Arbeit Erding gemeldete "Personen im Kontext von Fluchtmigration" eine Ausbildung begonnen. Viele Betriebe suchen noch Bewerber.

(Foto: Felix Kästle/dpa)

Mehr als die Hälfte der ausgeschriebenen Ausbildungsstellen kann zum 1. September nicht besetzt werden. Gleichzeitig sind viele arbeitswillige Asylbewerber zur Untätigkeit verdammt

Von Thomas Daller, Landkreis

Industrie, Handel und Dienstleister im Landkreis Erding suchen händeringend Nachwuchs: Lediglich 275 Jugendliche traten nach Angaben der IHK zum 1. September eine Ausbildungsstelle an. Mehr als die Hälfte der seit Jahresbeginn gemeldeten Ausbildungsangebote waren diese Woche noch unbesetzt. Gleichzeitig gibt es Unterkünfte, in denen bis zu 80 Prozent junge Flüchtlinge trotz absolvierter Deutschkurse und Berufsintegrationsklassen nur herumsitzen können, weil sie keine Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis erhalten. Vor allem junge Afghanen sind im derzeitigen System die Verlierer. Ihr Dilemma: Solange ihre Identität nicht mit offiziellen Papieren geklärt ist, erhalten sie keine Erlaubnis für den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt. Diese Papiere sind schwer zu beschaffen. Und wenn sie sie tatsächlich besorgen können, können sie sich nicht darauf verlassen, drei Jahre Ausbildung absolvieren und zwei Jahre arbeiten zu können, wie es die 3+2-Regelung ermöglichen sollte. Denn mit der geklärten Identität rücken sie gleichzeitig auf die Liste derer, die abgeschoben werden können, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird. Und die Ablehnungsquote für Männer aus Afghanistan liegt bei rund 80 Prozent. Das ist für sie keine Hürde bei der Integration durch Arbeit, das ist eine Wand.

Diese Wand ist nicht für alle Menschen mit "Kontext Fluchtmigration" existent, wie man den Status bei der Arbeitsagentur beschreibt. Vielen Syrern oder Eritreern, die subsidiären Schutz genießen oder im Asylverfahren anerkannt wurden, steht der Arbeits- und Ausbildungsmarkt offen. Gute Deutschkenntnisse mit Bestehen der schweren Prüfungen immer vorausgesetzt. Bei schulischen Defiziten wird es allerdings schwer, ab 25 Jahren kann man in Deutschland nicht mehr die Schulbank drücken.

Dennoch kommen Menschen im Kontext Fluchtmigration im Arbeitsmarkt an. So waren im Juni 2017 bei der Agentur für Arbeit Erding 285 Personen aus diesem Bereich arbeitssuchend gemeldet. Diese Zahl bildet jedoch nur einen Ausschnitt ab, weil nicht alle Vermittlungen zwangsläufig über die Arbeitsagentur laufen. Ein großer Teil kann nach Angaben der Agentur nicht sofort vermittelt werden, weil Sprach- oder fachliche Kenntnisse fehlen. Sie bietet daher Coaching-Maßnahmen wie Bewerbungstraining oder Weiterbildungen an. Bei letzteren liegt der Schwerpunkt derzeit in den Bereichen Lagerei und Metallbau, inklusive berufsbezogenem Deutsch.

Der Agentur zufolge standen dem Arbeitsmarkt tatsächlich 82 Personen im Kontext von Fluchtmigration zur Verfügung; 78 Prozent suchten eine Arbeitsstelle auf Helferniveau. Bei den Jugendlichen machten die Vermittler immer wieder die Erfahrung, dass einige primär auf der Suche nach einer Arbeitsstelle sind, da es für sie wichtig ist, schnell Geld zu verdienen. Andere sehen jedoch in einer Ausbildung in Deutschland eine große Chance: Im Zeitraum zwischen Juli 2016 und Juni 2017 haben 29 bei der Agentur für Arbeit Erding gemeldete Personen im Kontext von Fluchtmigration eine Ausbildung begonnen.

Problematisch ist der Einstieg in den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt überwiegend für die jungen männlichen Afghanen. Sie sind in vielen Unterkünften im Landkreis in der Überzahl. "In den vergangenen Monaten hat es im Landkreis Erding keine Zuweisung von Eritreern und Syrern mehr gegeben", sagt Maria Brand von der Aktionsgruppe Asyl.

Man muss bei der Bleibeperspektive für Menschen aus Afghanistan auch zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Bei Frauen mit Kindern ist sie sehr hoch, sagte Landrat Martin Bayerstorfer, weil sie als Alleinerziehende in ihrer Heimat nicht mehr Fuß fassen könnten und von ihren Verwandten verstoßen würden. Bei alleinstehenden jungen Männern hingegen ist die Anerkennungsquote relativ gering. Es gehe bei den Arbeitserlaubnissen, bei denen das Landratsamt als Untere Staatsbehörde die maßgebliche Empfehlung an die Arbeitsagentur ausspricht, aber nicht in erster Linie um die Bleibeperspektive, sondern um die ungeklärte Identität. "Die Frage ist, wirkt der Flüchtling bei der Klärung mit. Ist er bereit, zur Botschaft zu gehen und eine Geburtsurkunde zu besorgen", sagte Bayerstorfer.

Ohne diese "Tazkira" wie das Dokument genannt wird, ist es nicht möglich, bei den afghanischen Auslandsvertretungen in Deutschland einen Pass zu erhalten. Es ist jedoch auch nicht möglich, eine Tazkira im Ausland ausgestellt zu bekommen. Afghanische Auslandsvertretungen sind, auch nach Auskunft des auswärtigen Amtes, nicht befugt, Tazkiras auszustellen. Daher helfen nur Beziehungen in die Heimat, Bestechung und oftmals erhält man dann auch nur eine gefälschte Tazkira. Tazkiras können sehr einfach gefälscht werden, weil es sich dabei zumeist nur um ein loses Blatt Papier mit angetackerten Fotos und Stempeln handelt. "Und oftmals verschwinden die letzten 1500 Euro, die ein Flüchtling aufgetrieben hat, in Afghanistan, und er erhält trotzdem keine Papiere", sagt Maria Brand.

Dennoch kommt momentan offenbar Bewegung in die Sache. Eine ehrenamtliche Helferin aus dem Landkreis Freising habe vor kurzem bei einer Diskussionsrunde mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin thematisiert, dass die Arbeitserlaubnis in Bayern am restriktivsten gehandhabt werde, sagte Brand. Kurz darauf habe die bayerische Staatskanzlei bei den Landratsämtern die strittigen Fälle nachgefragt. Und plötzlich habe es in Freising einige Lösungen und Arbeitserlaubnisse gegeben.

Aber damit ist man als Betroffener noch längst nicht aus dem Schneider. Jederzeit kann die Ausbildungserlaubnis aufgehoben und der Lehrling wird nach Afghanistan abgeschoben, wenn er auch auf dem Klageweg verloren hat. "Deutschland hat ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan abgeschlossen", erinnert Maria Brand. Und wenn zudem die Identität geklärt ist, steht einer Abschiebung nichts mehr im Weg. "Pacta sunt servanda", hat Franz Josef Strauß immer betont; Verträge sind einzuhalten. Das mag für die Ostverträge gegolten haben, aber nicht für den Ausbildungsvertrag eines afghanischen Flüchtlings in Bayern. Und das betrübt mittlerweile auch die heimischen Betriebe, die sich bei der Nachwuchssuche von der Politik hintergangen fühlen. Gleichzeitig gärt es in den Flüchtlingsunterkünften: "Das ist sozialer Sprengstoff", sagt Brand.

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