Das Ende vom Mayr-Wirt:Melancholie in der Bauernstube

Die letzten Tage des Gasthauses sind angebrochen. Der Wirt hat doppelte Arbeit und die Gäste betrauern das Ende. Die Traditionsgaststätte in der Haager Straße wird geschlossen. Was bleibt, ist eine nicht zu füllende Lücke

Von V0n Antonia Steiger

Andreas Mayr wirkt ganz ruhig, und das ist einigermaßen erstaunlich. Seit Wochen steht er unter einer besonderen Belastung: Das Gasthaus Mayr-Wirt bewältigt die turbulenten Tage rund um Weihnachten, seit Wochen ist die Wirtsstube jeden Abend voll. Gleichzeitig muss Mayr den Betrieb abwickeln: Am 31. Dezember schließt das Haus, das mehr als jedes andere den Erdingern als Traditionsgaststätte gilt. Es schließt für immer. Bis dahin geht Andreas Mayr weiterhin jeden Abend von Tisch zu Tisch und fragt, ob es geschmeckt hat. Er regelt das tägliche Geschäft. Er sagt aber auch: "Es ist gut, dass jetzt klar ist, wann Schluss ist."

Seit 2009 gehört die Wirtschaft der Stadt Erding. Die Brüder Andreas, Matthias und Thomas Mayr wollten den Komplex verkaufen. Um das Haus vor dem Zugriff von Investoren zu retten, schnappte sich die Stadt Erding die Immobilie mitsamt einer Grünfläche, die 2013 dem Stadtpark zugeschlagen wurde. Als Mängel an der Bausubstanz offensichtlich wurden, schloss die Stadt erst das Hotel und nun die Wirtschaft - zum unaussprechlich großen Leidwesen der Gäste. "Für viele Erdinger ist der Mayr-Wirt die zweite Heimat." Der das sagt, muss es wissen: Karl-Heinz Bauernfeind, ehemaliger Bürgermeister, war eigenen Worten zufolge eine Zeitlang vier oder fünf Mal in der Woche beim Mayr-Wirt. Er war sehr gut befreundet mit Karlhans Kummer, der in die Familie eingeheiratet und lange Jahre die Geschäfte geführt hatte. Auf der Treppe runter ins Schützenstüberl spielte sich eine entscheidende Szene ab: Dort habe Kummer ihn gefragt, erzählt Bauernfeind, ob er in die Politik einsteigen wolle. Mit bekannten Folgen: Von 1990 bis 2008 war Bauernfeind Chef im Erdinger Rathaus. Politische Karrieren haben im Mayr-Wirt ihren Ausgang genommen, einige klingen hier aus - am Stammtisch, donnerstags, 10 Uhr.

Ehemalige Bürgermeister und ehemalige Landräte sitzen bei einer Halben Bier. "Donnerstags sind die Leute vom Land in die Stadt gefahren", sagt Altlandrat Xaver Bauer. Die Bürgermeister haben einmal in der Woche ihre Angelegenheiten im Landratsamt geregelt, Post weggebracht und Behördengänge erledigt. Als Bürgermeister hat man am Stammtisch noch ein paar zusätzliche Informationen aufgeschnappt. "Das war wichtig - vor allem für die jungen", sagt Franz Mesner, der frühere Inninger Bürgermeister. Heute dagegen werden "die Leut ausgricht", wie man hört. "Über Kommunalpolitik reden wir nicht", winken die Herren ab. Lieber über Fußball, wobei dem früheren Dorfener Bürgermeister Franz Sterr größere Redebeiträge zugebilligt werden - als Fan von Eintracht Frankfurt. "Wir haben nur den einen Experten am Tisch", lästert Mesner. Die Laune ist prächtig, obwohl der Stammtisch quasi heimatlos ist. Der Seniorenbeauftragte Heinrich Krzizok, ehemaliger Finsinger Bürgermeister, hat der Herrenrunde noch keine Alternative genannt. Und das ist auch keine leichte Aufgabe. Welche Wirtschaft hat um 10 Uhr morgens auf? Sicher, in Dorfen gebe es einige, sagt Sterr. "Aber die fahren ja nicht nach Dorfen", fügt er an mit Blick auf die anderen. Klar ist, dass man sich in der Kreisstadt treffen muss - weil das schon immer so war.

"Die Bayern sind halt ein bisschen konservativer", sagt auch Bauernfeind. Sie brauchen Gemütlichkeit, er speziell braucht eine Holvertäfelung an den Wänden. Sie macht für ihn die besondere Atmosphäre in der Bauenstube aus, anderen wird als erstes der Kachelofen einfallen. Andreas Mayr lenkt den Blick auf den Boden: Das Parkett in der Bauernstube und der Hiasl-Maier-Stube stammt noch aus den Fünfzigern. Es sorgt für Wärme und für einen guten Klang. Einiges in der Wirtsstube ist natürlich sehr viel jünger, zum Beispiel die Lampen, die über den Tischen hängen. Sie sind ein Symbol für die Behutsamkeit, mit der man in der Wirtschaft Veränderungen vorgenommen hat. "Wochenlang haben sich die Gäste darüber unterhalten, ob die Lampen nun neu sind oder nicht", sagt Mayr. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass die neuen Teile bestens in das Ambiente passen. "Eine Wirtschaft, die auf ihre Art schön ist", wie Bauernfeind sagt.

Das Ende vom Mayr-Wirt: Andreas Mayr, der letzte Wirt im Mayr-Wirt

Andreas Mayr, der letzte Wirt im Mayr-Wirt

(Foto: Renate Schmidt)

Unverwechselbares Markenzeichen der Wirtschaft und des gesamten Hauses sind die Bilder von Hiasl Maier, dem Chiemsee-Maler, der an dieser Stelle geboren wurde und der in seinem kurzen Leben 600 Bilder gemalt hat. Er starb mit 39 Jahren 1933 an den Folgen einer Nierenerkrankung. Man habe ihn den "Ludwig Thoma der Palette" genannt, sagt Andreas Mayr. Hiasl Maier hat die Menschen gemalt, wie sie sind, die einfachen Menschen waren seine Modelle. Der Metzger Franz Xaver Mayr (sein Bruder), der "Wittiber", die Kinder Franz und Hiasl (Onkel und Vater von Andreas Mayr) und viele mehr. Das wichtigste Bild von Hiasl Maier ist für viele das "Droageld", das über dem Haustisch hängt. Der Haustisch, das ist Tisch 25, der begehrteste im gesamten Mayr-Wirt. Hinten in der Ecke neben dem Kachelofen unter dem Gemälde sitzt man ganz besonders gut. Man hat die Gaststube im Blick, den Eingang und den Tresen. Montags gehörte er den Lehrern-Sportlern, dienstags den lustigen Rentnern, mittwochs dem Stammtisch Vogt und donnerstags den Lieselotten. Am Freitag machen es sich die Unersättlichen gemütlich, ein Stammtisch, der Weitblick genug besaß, um sich rechtzeitig im Münchner Hof eine neues Bleibe zu sichern. Doch so geht es nicht allen: Viele Stammtische wissen noch nicht, wo sie hinsollen. Erding verliere das letzte "urige bayerische Wirtshaus", bedauert auch die Stadtführerin Doris Bauer. Ein "unwiederbringlicher Verlust für die Wirtshauskultur".

"Dass der Tag X kommen musste, war klar", sagt OB Max Gotz. Es sei einfach nötig gewesen, das Gasthaus zu schließen; hohe Investitionen wären erforderlich gewesen. Für Abriss und Wiederaufbau gebe es noch keinen Zeitplan. Wunschpartner der Stadt Erding sei die Sparkasse, die Verhandlungen laufen jedoch noch.

Der Mayr-Wirt ist die Heimat von siebzig Stammtischen gewesen. Vereine, Chöre und Familien trafen sich hier. Letztere feierten von der Taufe bis zur Leich alles im Mayr-Wirt. Parteien nutzten gerne die Säle im ersten Stock, die kleinen für Vorstandsbesprechungen und den großen Kronprinz-Rupprecht-Saal, wenn mehr Menschen erwartet wurden - eine Hoffnung, die sich nicht jedes Mal erfüllt hat. Für Journalisten hatte das auch einen großen Vorteil: In Wahlkampfzeiten reichte ein Reporter für drei Veranstaltungen aus. Und viele Politiker, so erinnert sich Mayr, saßen nach den Veranstaltungen in der Bauernstube beieinander, ohne auf Parteigrenzen zu achten. Auch die große Politik machte Station im Mayr-Wirt. Der Altkanzler Helmut Kohl ließ sich zum Weißwurt-Essen hier nieder. "Ein angenehmer Mensch", sagt Mayr. Otto Schily war als Grüner und später als SPD-ler da. Sie alle hätten es zu schätzen gewusst, dass man hier in Ruhe gelassen wurde. Es hängt kein einziges Foto eines berühmten Gastes an der Wand, das liegt Andreas Mayr nicht. "Jeder wollte hierher", daran kann sich auch Bauernfeind erinnern: Bruno Jonas, Gerhard Polt und Gustl Bayrhammer. Und sie wollten immer das gleiche essen, manchmal erst gegen Mitternacht: ein saures Lüngerl mit Knödel.

Friedfertig ist es zugegangen in der Wirtschaft, nur an eine einzige kleine Rauferei kann sich Mayr erinnern, die man schnell intern schlichten konnte. Die Polizei hatte man trotzdem oft im Haus, denn auch die International Police Association hielt hier ihre Versammlungen ab. Ohne Polizeigewalt möchte Mayr auch über die letzten Runden kommen - trotz steigender Diebstahlgefahr. Nach den Holzkreuzen haben sich die Gäste schon erkundigt und natürlich nach den Weingläsern. Sie sind eine Sonderproduktion mit der Silhouette der Stadt Erding und dem Schriftzug Mayr-Wirt. "Alle sollten wissen: Wir haben ein besonderes Auge auf die Gläser", sagt Mayr. Im Januar räumt er aus, dann gönnt er sich ein Jahr Ruhe. Er wünscht sich, dass die Wirtschaft bald wieder aufmacht. "Dann werfe ich meinen Hut in den Ring." Und darauf warten viele. "Andreas Mayr war ein Glücksfall für die Wirtschaft", sagt Karl-Heinz Bauernfeind.

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