Süddeutsche Zeitung

Corona-Proteste in Erding:Frustrierte Bürger

In der Stadt verlaufen die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen friedlich, doch die Sorgen wachsen

Von Antonia Steiger, Erding

Es beschäftigt die große und die kleine Politik, wie sie mit den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen umgehen soll. Am Dienstag äußerte der FDP-Vertreter Rainer Vogel in der Sitzung des Erdinger Stadtrates seine Sorge, dass die Demonstrationen in Erding mit zuletzt 1300 Teilnehmern dazu beitrügen, dass sich das Coronavirus noch stärker verbreite. Schon alleine aus Fürsorgepflicht müsse über ein Verbot nachgedacht werden, sagte er. Ebenso sehe er Chancen, dass eine Strafandrohung dazu beitragen könne, dass einige den Demonstrationen fernblieben. Die meisten Teilnehmer seien vor allem "frustriert und ängstlich". Rücke eine Impfpflicht näher, sehe er die Gefahr, dass sich diese Teilnehmer mit jenen solidarisierten, die die demokratische Grundordnung zu unterhöhlen versuchten. Erdings OB Max Gotz (CSU) sagte, er rechne eher damit, dass sich die Lage entspannen werde mit einer Impfpflicht. Dass die Versammlungen im Landkreis Erding verboten werden, ist aber unwahrscheinlich.

Eine Allgemeinverfügung ist ohnehin nicht Sache des Oberbürgermeisters, sondern die des Landrats. Er stehe mit Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) in engem Kontakt und sei in die Gesprächen eingebunden, sagte Gotz. Er sieht aber seinen Worten zufolge kaum Möglichkeiten, die Versammlungen zu verbieten, wie dies beispielsweise in München oder in Landsberg am Lech geschehen ist. "Der Rechtsstaat kann nicht durchgreifen, wenn er kein Personal hat", sagte er. Für 300 Veranstaltungen in Bayern stünden der bayerischen Polizei 24 Einsatzzüge zur Verfügung.

Gotz betonte, die Menschen in Erding wanderten friedlich durch die Stadt. Er wolle das nicht entschuldigen, fügte er an, aber dass alles friedlich ablaufe, sei seine "größte Sorge". Die Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen und wie mit ihnen umzugehen ist, ist in ganz Bayern ein Thema. Am Mittwoch wies der bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) darauf hin, dass nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Teilnehmer der Proteste in Bayern zahlenmäßig aus einem "überwiegend bürgerliches Milieu" kämen, Extremisten seien kein flächendeckendes Phänomen. Auch die Polizeiinspektionen Erding und Dorfen hatte am Dienstag betont, dass die Versammlungen in Erding, Dorfen und Wartenberg friedlich verlaufen seien. Das ist aber nicht überall in Bayern so.

In Erding werden die Teilnehmer unter anderem durch einen Telegram-Chat mobilisiert, der von fast tausend Nutzern verfolgt wird. In dieser Chatgruppe werden antiwissenschaftliche Lügen und demokratiefeindliche Beiträge veröffentlicht. Zu erkennen geben sich die Organisatoren bei den nicht angemeldeten Versammlungen jedoch nicht. In Erding, Dorfen und Wartenberg verzichten die Teilnehmer auf Transparente, es gibt keine Sprechchöre; die Anweisungen der Polizei werden befolgt. In Erding leitet die Polizei den Zug durch die Straßen, was von den Teilnehmern auch noch mit Applaus quittiert wird. Mittlerweile wachsen in Erding aber Proteste gegen die nicht genehmigten Versammlungen: SPD und Grüne fordern in der "Erdinger Erklärung" die Bürger dazu auf, den Demonstrationen fernzubleiben. Es sei nicht hinnehmbar, dass rechtsextreme Gruppen die Veranstaltungen dazu nutzten, demokratiefeindlichen Einstellungen zu verbreiten. Es werde "aktiv und absichtlich das geltende Recht ignoriert". Gotz ließ jedoch Zweifel anklingen, ob eine Allgemeinverfügung das richtige Mittel sei. Die Frage sei, "wie das ausgeht". Die Polizei bekomme dafür nicht das Personal, das sie benötigte, um ein Verbot durchzusetzen. Herrmann sagte im Landtag, es sei vielen Teilnehmern nicht bewusst, dass auch Rechtsradikale und sogenannte Reichsbürger die Versammlungen mitorganisierten.

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SZ vom 27.01.2022
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