Süddeutsche Zeitung

Nachweis ist schwierig:Hausaufgaben auf Knopfdruck

Schüler entdecken das Potenzial Künstlicher Intelligenz. Auch im Landkreis Erding diskutieren Lehrer über den Umgang mit einer neuen Schummelhilfe, die die Schulen verändern könnte.

Von Thomas Daller, Erding

Hausaufgaben empfinden viele Schüler als lästige Pflicht, die man mit möglichst wenig Aufwand hinter sich bringen will. Schon bisher wurde bei Aufgaben, Übersetzungen oder Aufsätzen viel abgeschrieben, ob von Mitschülern, bei Google oder Wikipedia. Doch seit Ende November vergangenen Jahres steht im Internet eine Künstliche Intelligenz (KI) zur Verfügung, die auch längere komplexe Texte wie Aufsätze, Referate, Zusammenfassungen von Büchern oder Theaterstücken, Überblick über ein Stoffkapitel und dergleichen verfassen kann. Immer mehr Schüler nutzen sie, auch im Landkreis Erding, egal ob in Mathe, Englisch oder Physik. Lehrerverbände diskutieren, wie man damit umgehen soll.

Die KI namens Chat GPT ist kostenlos, mehrsprachig und ihre Texte lassen sich von menschlichen kaum unterscheiden. Schüler und Studierende greifen begeistert darauf zurück, auch im Landkreis Erding ist das Chatprogramm bereits ein Begriff, wie Nachfragen bei Schülern gezeigt haben. Einen Aufsatz über den Dreißigjährigen Krieg auf dem Niveau einer 14-Jährigen schreiben? Ein Gedicht über Erding im Stil von Schiller? Chat GPT kann das und noch viel mehr - innerhalb von Sekunden. Eine durchaus berechtigte Sorge ist, dass es zusehends schwieriger werden könnte, das Vortäuschen eigenständiger Leistungen zum Beispiel in Hausaufgaben zu erkennen. Sich Texte strukturieren, komplexe Sachverhalte in einfachen Punkten erklären oder komplexe Mathematikaufgaben aufdröseln zu lassen, kann durchaus sinnvoll sein. Ein Bot kann aber niemals die menschliche Denkleistung ersetzen.

Ein Indikator sind Fehler, die die KI noch macht

Ein Verbot solcher Programme für Schulzwecke ist problematisch, denn das verwehrt die Möglichkeit, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Außerdem müsste dazu der Nachweis erbracht werden, dass Schüler für ihre Hausaufgaben eine KI benutzt haben. Und das ist schwierig: Denn wenn man die gleiche Aufgabe in einem anderen Zeitfenster eingibt, erscheint nur ein inhaltlich ähnlicher Text, jedoch anders formuliert. Ein Indikator sind jedoch Fehler, die die KI noch macht und auf die die Entwickler auch explizit hinweisen: So bezeichnet sie beispielsweise Dorfen als Kreisstadt des Landkreises Erding, die bekannt sei für ihre historischen Gebäude wie das Schloss. Aber sie lernt und das Potenzial ist gigantisch.

Auch Michael Oberhofer, Kreisvorsitzender des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV) und Schulleiter der Grund- und Mittelschule Isen, ist skeptisch, was ein Verbot für Schulzwecke betrifft. "Für Sanktionsmöglichkeiten müsste man erst einmal beweisen, dass ein Schüler die KI genutzt hat." Zudem gebe es auch viele positive Möglichkeiten, wie man sie gezielt im Unterricht einsetzen könne. Problematisch sei nur, wenn man die Künstliche Intelligenz als eigene Leistung ausgebe: "Und eigentlich muss ich dabei gar nichts wissen."

"Wir werden uns externe Experten holen müssen"

Ob Lehrer rasch Schulungen benötigen, um zu lernen, welche Möglichkeiten die KI eröffnet, hält er nicht für zielführend: "Ich bin mir sicher, dass wir uns dafür externe Experten ins Haus holen müssen." Die Bandbreite sei riesig, die Digitalisierung erfordere einen permanenten Lernprozess. "Wir müssen uns als Lehrer und Eltern digital immer weiter damit auseinandersetzen, um auch an der Lebenswirklichkeit der Kinder dranzubleiben."

Es stellt sich auch die Frage, ob dadurch der Stellenwert von Hausaufgaben oder zuhause erstellten Referaten entwertet wird: "Bei Referaten daheim konnte es früher schon der Fall sein, dass Papa oder Mama mitgeholfen hat", sagt Oberhofer. "Wir sind deshalb schon lange dazu übergegangen, Referate in der Schule erarbeiten zu lassen. Dabei ist auch der Prozess ein Teil der Bewertung." Ziel sei daher, möglichst viele Leistungsnachweise in der Schule zu erbringen. "Da haben wir ein Auge drauf."

Ob freiwillig oder unfreiwillig, die KI werde das Lernen verändern: "Da bieten sich auch Chancen, aber man benötigt eine Gebrauchsanweisung und Spielregeln, dann kann das eine spannende Sache sein", sagt Oberhofer. "Wir werden in der Lernwelt Veränderungen erleben."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5739220
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/psc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.