Bundestagswahl im Wahlkreis Erding-Ebersberg:Zahlenspiele am Stammtisch

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Am Abend feiern CSU, SPD, Grüne und FDP den Abschluss eines kräfteraubenden Wahlkampfs. Doch mit dem Ende der Stimmabgabe beginnt bei vielen das große Zittern. Ein Überblick aus der Region

Von Alexandra Leuthner, Barbara Mooser, Andreas Junkmann und Karin Pill

Traditionell unterschiedlich sind die Eindrücke von den Partys, die an einem Wahlabend zusammen getragen werden. Dass die SPD feiern darf, hat es aber in Bayern lange nicht gegeben. Während man also bei der SPD in Ebersberg und auch der FDP in Zorneding schon das Glas hebt, obwohl weder Magdalena Wagner aus Egmating noch Marc Saleh aus Poing erwartungsgemäß eine Chance gegen den siegreichen Andi Lenz (CSU) aus Frauenneuharting hatten, sind bei der CSU in Pliening lange nur lange Gesichter zu sehen. Auch bei den Grünen ist die Stimmung verhalten.

SPD, Ebersberg

Der Abend ist noch jung, da greift Dirk Schött, Vorsitzender des Ebersberger Ortsvereins, schon zum prachtvollen Blumenstrauß aus knallroten Gerbera, Dahlien, Astern und Rosen. Völlig unklar ist da noch, wie Magdalena Wagner im Landkreis abgeschnitten hat, aber klar ist schon eins: Sie hat einen anstrengenden Wahlkampf hinter sich und verdient schon deshalb Blumen - und eine Flasche Wein, selbstverständlich ebenfalls rot. "Aufpassen!", ruft Schött: "Der ist nicht holzig, sondern scholzig." Wagner lacht.

Die Stimmung im Gewölbesaal des Akropolis in der Kreisstadt schwankt zu diesem Zeitpunkt zwischen Angespanntheit und gelassener Erschöpfung. "Ich bin einfach nur so...uff", sagt die 30-jährige Kandidatin kurz nach 18 Uhr. Ihr Vater Bernhard Wagner, neben dem sie auch im Egmatinger Gemeinderat sitzt, verzieht sich mit Hund Nilay nach draußen, um eine zu rauchen. Er rechne erst spät mit belastbaren Ergebnissen, sagt er, und auch damit, dass der Balken der SPD noch mal wächst. Später am Abend zeigt sich: Die SPD hat auch im Landkreis zugelegt. "Ich bin soweit zufrieden", sagt Wagner. "Es war die erste Kandidatur, zuvor war ich im Wahlkreis relativ unbekannt." Glücklich ist sie über den Erfolg auf Bundesebene, "niemand hätte noch im Juli mit so etwas gerechnet", sagt sie. So sieht es auch Albert Hingerl, der frühere Poinger Bürgermeister und Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion: "Ich hätte jede Wette verloren", sagt er und strahlt. Es zeige sich, dass die Partei wieder die Themen anspreche, die die Menschen bewege, und die Führungskräfte habe, die die Bürgerinnen und Bürger sich wünschten. "Die Partei ist im Aufwind - das freut mich."

Christoph Lochmüller scherzt in der Kugler-Alm mit Angelika Obermayr. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Grüne, Ebersberg

"Oh" und "Wow" sind die beiden Ausrufe, die den Wahlabend der Kreis-Grünen in der Ebersberger Kugler-Alm prägen. Ersterer war um kurz nach 18 Uhr zu vernehmen, als die Prognosen der Ökopartei auf Bundesebene bekannt geworden sind - die bekanntermaßen eher ernüchternd ausfielen. Das "Wow" folgte rund eine Stunde später mit den ersten lokalen Auszählungen im Landkreis, die Direktkandidat Christoph Lochmüller nahe an der 20-Prozent-Marke verorteten. Gemischte Gefühle sollte man meinen, doch die rund 20 Mitglieder ließen sich die Laune nicht verderben. Im Gegenteil: "Wir werden die drittstärkste Kraft im Bundestag - und das ist einfach großartig", sagte Kandidat Lochmüller aus Hohenlinden, der sich mehr über die Zugewinne seiner Partei freute als über die verpasste Chance auf die erste Grüne Kanzlerschaft.

Ohnehin sei die Arbeit mit der Wahl noch lange nicht vorbei, so Lochmüller. "An uns führt kein Weg vorbei. Unser Kampf für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wird weitergehen." Der 50-Jährige kündigte noch vor den ersten Hochrechnungen an, der Politik auf jeden Fall treu bleiben zu wollen - unabhängig von den Ergebnissen. Der Wahlkampf sei eine sehr positive Erfahrung gewesen, sagte Lochmüller, der immer noch ein Neuling in der politischen Landschaft ist. Erst seit zwei Jahren ist der Hohenlindener Unternehmer überhaupt erst Parteimitglied, die Kandidatur war für ihn deshalb gewissermaßen ein Kaltstart.

Dass dieser aber durchaus gelungen ist, dieser Meinung ist nicht zuletzt die Ebersberger Grünen-Kreisvorsitzende und stellvertretende Landrätin Waltraud Gruber. Mit dem Wahlkampf sei sie sehr zufrieden gewesen, sagte sie am Wahlabend - und auch das Ergebnis ihrer Partei auf Bundesebene bewertete sie nach den ersten Prognosen durchaus positiv: "Ich hoffe, dass wir Grüne über eine Koalition an der Regierung mit wirken können", so Gruber. "Dann haben wir die Chance, unsere Ziele trotzdem mit einzubringen." Damit das sicher gelingen kann, wäre aber ein starkes Ergebnis der SPD vonnöten, weshalb die Kreis-Grünen in der Kugler-Alm auch immer einen Blick auf die Werte der Sozialdemokraten hatten. Die eigenen Hausaufgaben hatte man mit deutlichen Zugewinnen im Vergleich zur vergangenen Wahl - vor allem in der Region - schließlich erledigt.

CSU, Pliening

Der Abend würde lang werden, nichts anderes hatten die Mitglieder der CSU aus Erding und Ebersberg erwartet, die sich frühzeitig im Plieninger Gasthof Forchhammer zur Wahlparty eingefunden hatten. Und er zog sich, je länger das zunächst kleine Häuflein aus etwa zehn CSU-Anhängern zu warten hatte - auf ein klares Ergebnis, das über den riesengroßen Bildschirm flimmern würde, von ein paar fleißigen Mitgliedern der Jungen Union rechtzeitig zur ersten Prognose an die Wand gehängt; aber auch auf Andi Lenz, den CSU-Kandidaten für den gemeinsamen Wahlkreis. Es sollte kurz nach halb neun werden, bis der schließlich als Sieger feststehende Frauenneuhartinger endlich eintraf - und von seinen Parteifreunden, aber auch von seinen Eltern, die schon vor einer Weile an einem der Tische Platz genommen hatten, mit riesiger Erleichterung und begeistertem Klatschen empfangen wurde. Endlich hatte man etwas, worüber man an diesem Abend bei der in Bayern sonst so siegesgewohnten CSU einfach nur glücklich sein durfte, die Zahlen der Union waren es schließlich nicht. Der kleine Balken für die Linke, irgendwann im Laufe des Abends auf dem Bildschirm zu sehen, war lange Zeit der einzige Grund zur Freude gewesen. "Da wäre ein schwarzer Bildschirm fast besser gewesen," war sogar zu hören. Und es war nicht ganz klar geworden, ob der Satz nicht tatsächlich ernst gemeint war. Als er dann erschien, der siegreiche Kandidat, war auch die Bude voll, Landrat Robert Niedergesäß und Landtagsabgeordneter Thomas Huber schneiten fast zeitgleich in den Gasthof herein. Und Lenz, der sich sichtbar gerührt für Applaus und Unterstützung seiner Parteifreunde bedankte, fand im Hinblick auf die Prognosen für die Union und das dann doch sehr knappe Ergebnis des Wahlabends die richtige Fußballmetapher für die etwas gequälte schwarze Seele: "Wenn man lange zurückgelegen hat und dann den Ausgleich schießt, dann fühlt sich das mehr wie ein Sieg als eine Niederlage an."

FDP, Zorneding

Die Stimmung im Gasthof Neuwirt in Zorneding ist ausgelassen, die Stube, in der die Wahlparty stattfindet, ist zum Brechen voll. Schon früh am Abend witzeln die Parteimitglieder des FDP-Kreisverbandes, sie könnten gerne den kleineren Raum mit den CSU-Anhängern, die nebenan den Ergebnissen entgegenfiebern, tauschen. "Die sind eh auf dem absteigenden Ast." Sowohl der Ebersberger Kreisvorsitzende Alexander Müller als auch sein Erdinger Kollege Arndt Scheffler sind mit den bisherigen Ergebnissen auf Bundesebene zufrieden. "So darf es bleiben", sagt Müller. Nervös sei er vor der heutigen Wahl nicht gewesen, denn es habe sich ohnehin abgezeichnet, dass die FDP ein zweistelliges Ergebnis erzielen werde. Auch Scheffler freut sich, dass die FDP das gute Ergebnis von 2017 halten kann. "Es sieht aus, als werden wir gebraucht. Nach acht Jahren Abstinenz wollen wir Regierungsverantwortung", so Scheffler. Nicht zuletzt freuen sich die beiden Kreisvorsitzenden über die vielen Mitglieder, die am Wahlabend in Zorneding zusammengekommen sind.

Nur einer lässt an diesem Abend länger auf sich warten. Erst gegen 20.15 Uhr trifft Marc Salih, der FDP-Direktkandidat für den Wahlkreis Erding-Ebersberg, ein. Mit einem Glas Sekt in der Hand bedankt er sich zuerst bei den Wahlhelfern. Auch er ist überzeugt, dass ohne die FDP keine Regierung zustande kommen werde. Was die Ergebnisse im Wahlkreis angeht, ist Salih ebenfalls zufrieden. "Wir liegen über dem Bayerntrend." Doch obwohl die Erdinger und Ebersberger FDP an diesem Abend viel zu feiern hat, so geht Salih dennoch leer aus, was das Direktmandat betrifft. Der 46-jährige Poinger bleibt trotzdem optimistisch, spekuliert auf den Einzug durch Überhangmandate. "Ob das Wunder noch möglich ist, werden wir sehen."

© SZ vom 27.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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