Briefmarkensammler in Erding:Die Blütezeit ist schon lang vorbei

Briefmarkensammler in Erding: Herbert Andraschko ist Vorsitzender des Briefmarken- und Münzensammlervereins Erding. Mit 57 Jahren ist er dort der Jüngste.

Herbert Andraschko ist Vorsitzender des Briefmarken- und Münzensammlervereins Erding. Mit 57 Jahren ist er dort der Jüngste.

(Foto: Renate Schmidt)

Briefmarkensammeln ist bei der Generation E-Mail und Messenger völlig "out". Im Gegensatz zu den 1960er- und 70er-Jahren. Der Fund einer Britisch-Guiana-1-Cent-Marke kann sich aber lohnen. 2021 wurde sie für knapp sieben Millionen Euro versteigert.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wer heute Briefmarken sammelt, galt auch schon früher eher als "Sonderling" und der Dating-Spruch "Soll ich Dir meine Briefmarkensammlung zeigen" löst bei vielen Jüngeren in Zeiten von E-Mail und Messenger eher Unverständnis aus. Die Zahl der Briefmarkensammler wird deshalb immer weniger. Im Landkreis gibt es noch einen richtigen Verein dafür, den Briefmarken- und Münzensammlerverein Erding. Er wurde am 16. Februar 1959 gegründet. 50 Personen waren bei seiner Gründung anwesend. Sogar eine Jugendgruppe gab es. Bis 1993 wuchs die Mitgliederzahl auf 195 an. Und heute? Immerhin noch 53, die Zahl der Jugendlichen unter 30 Jahren sei aber überschaubar, sagt der Vorsitzende des Vereins, Herbert Andraschko. Er ist mit 57 der Jüngste.

Ein Kilo "Deutschland, Euro Dauerserien bis 2023" kostet bei Ebay 35,50 Euro

Die Blütezeit des Briefmarkensammelns ist schon lang vorbei. Sie begann im 19. Jahrhundert als Freizeitbeschäftigung großbürgerlicher Honoratioren und in den 1960er und 70er Jahren war das Sammeln in breiten Bevölkerungsschichten sozusagen "in". Damals hatten Sammler oft ein Abonnement bei der Post. Jedes Vierteljahr bekamen sie neue Marken zugeschickt, genauso wie vier Millionen andere Sammler damals. Und dazu konnte man kilogrammweise Briefmarken auf gut Glück, was den Inhalt betrifft, kaufen. Das ist auch heute noch möglich. Zum Beispiel kostet "Deutschland, Euro Dauerserien bis 2023" das Kilo bei Ebay 35,50 Euro. Die Hoffnung der Käufer oder auch der Erben von alten Briefmarkensammlungen, es könnte sich eine Rarität in ihnen verstecken, erfüllt sich in den allermeisten Fällen nicht. Eine wertvolle Marke zu finden, sei "wie ein Sechser im Lotto", sagt der Vereinsvorsitzende.

Briefmarkensammler in Erding: Briefmarken können auch heute noch kiloweise gekauft werden. Sehr wertvolle Stücke sind aber fast nie dabei.

Briefmarken können auch heute noch kiloweise gekauft werden. Sehr wertvolle Stücke sind aber fast nie dabei.

(Foto: Renate Schmidt)

"Bei Briefmarken und Münzen kann man wenig und viel Geld ausgeben", sagt Andraschko. Der Sechser könnte zum Beispiel die Britisch-Guiana-1-Cent-Marke aus dem Jahre 1856 sein. Von ihr ist laut Andraschko nur ein einziges Stück bekannt. Die kleine Briefmarke wechselte im Lauf ihrer Geschichte mehrmals den Besitzer. Am 8. Juni 2021 kam sie bei Sotheby's in New York wieder unter den Hammer und erzielte knapp sieben Millionen Euro. Die teuerste Briefmarke in Deutschland ist laut dem Vorsitzenden ein Brief mit dem Nummernstempel 41 (Ettenheim). Im Jahre 2019 ist sie für 1,26 Millionen Euro verkauft worden. Heute sammle man mehr Motivbriefmarken, zum Beispiel zum Thema Fußball, Walt Disney, Tiere oder Persönlichkeiten, sagt der Erdinger Vereinschef. "Man kann hier individuelle Blätter gestalten und diese dann ausstellen." Ziel ist, einen vollständigen Satz aller erschienenen Briefmarken zu einem Motiv zu haben. Briefmarken gebe es entgegen weitläufiger Meinung schon noch viele, nicht nur die gedruckten aus dem Automaten, sagt Andraschko.

Für Historiker sind Postkarten, Briefmarken und -stempel auch kulturhistorische Dokumente

Inzwischen hat sich beim Erdinger Verein die Spanne erweitert, parallel wie sich auch die Technik verändert hat. Heute sind auch Telefon-, Postkarten und Kleinantiquitäten, wie zum Beispiel alte Uhren und Krüge, Sammelobjekte. Das Sammeln von Telefonkarten sei jetzt interessant, weil das Sammelgebiet abgeschlossen sei, es kommen nur noch wenige deutsche Telefonkarten auf den Markt, wie der Vorsitzende sagt. Für Historiker seien Postkarten, Briefmarken und -stempel auch kulturhistorische Dokumente. Man kann auf ihnen beispielsweise sehen, wie Erding im 19. Jahrhundert ausgesehen hat.

Briefmarkensammler in Erding: Postkarte von 1896. Zu sehen ist Erding mit seinen schwarz-qualmenden Brauereischloten.

Postkarte von 1896. Zu sehen ist Erding mit seinen schwarz-qualmenden Brauereischloten.

(Foto: Bildarchiv Museum Erding (oh))

Ähnlich schwer wie Frauen sind auch junge Leute für Briefmarken zu begeistern. Unter Philatelisten gelten die 40- bis 50-Jährigen noch als Nachwuchs. Briefe werden, wenn überhaupt, nur per E-Mail verschickt. Beim Erdinger Briefmarkenverein liegt der Altersdurchschnitt um die 70 Jahre und es sei nur noch eine Frau im Verein geblieben. "Ich bin mit 57 der Jüngste, das ist leider so", sagt Andraschko. Sein Grund für das Sammeln von Briefmarken - wie bei vielen der Mitglieder: "Als Kinder haben wir nicht viel gehabt, deshalb haben wir uns eine Beschäftigung gesucht. Ganz am Anfang haben wir die Marken von den Briefen abgelöst. So hat es angefangen." In Erding habe man inzwischen von den Aktivitäten alles heruntergefahren. Früher habe man im Korbinian-Aigner-Gymnasium jedes Jahr eine Tauschbörse gehabt, aber nach Corona habe man sie eingestellt. "Ich habe einfach die Leute nicht mehr zur Organisation und Durchführung."

Briefmarkensammler in Erding: Statt bunter Briefmarke mit gezacktem Rand werden viele "Postwertzeichen" heute frisch gedruckt.

Statt bunter Briefmarke mit gezacktem Rand werden viele "Postwertzeichen" heute frisch gedruckt.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
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