Biografische Recherche:Gebildet, elegant und Nazi

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Ein Foto aus dem Jahr 1944 zeigt Ludwig Weißauer in Galauniform. Nach seiner Geheimagententätigkeit war er bei der Heeresgruppe Nord eingesetzt. (Foto: oh)

Die Dorfener Geschichts­werkstatt hat einen weiteren NS-Akteur entdeckt: Hitlers Agent Ludwig Weißauer

Von Florian Tempel, Dorfen

Der Geschichtswerkstatt Dorfen sind schon viele bemerkenswerte biografische Recherchen gelungen. Manch einer fragt sich da schon, ob es ein Zufall ist, dass so viele NS-Akteure aus einer so harmlosen Kleinstadt stammen oder mit ihr verbunden waren: Der von den Nazis gefeierte Schriftsteller Josef Martin Bauer, der ehemalige Priester und hochrangige SS-Mann Albert Hartl, der Geistliche in Konzentrationslager stecken ließ, oder die Goldschmiede-Brüder Franz und Hermann Wandinger, die in Dorfen im Auftrag von Adolf Hitler massenweise "Ehrengeschenke" für Nazigrößen und internationale Faschisten produzierten. Nun hat Hans Elas von der Geschichtswerkstatt wieder einen Entdeckung gemacht. Er hat zum Leben von Ludwig Weißauer geforscht, der familiäre Beziehung nach Dorfen und einen schier unglaublichen Lebensweg hatte. Weißauer war überzeugter Nazi und als Agent in geheimer Mission für Adolf Hitler unterwegs. Nach 1945 gelang es ihm, völlig unbeschadet ein komplett neues Leben zu beginnen. Er arbeitete für die Bühnengewerkschaft und wurde sogar Mitglied des bayerischen Senats, der ehemals zweiten Kammer neben dem bayerischen Landtag.

Hans Elas ist überzeugte Gewerkschafter. In den 1980er-Jahren war er stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Natürlich hat er die Jubliäumsbroschüre "75 Jahre DGB München" gelesen. Und er hat darin einen schmerzlich falschen Satz gefunden: "Uns ist aber kein Fall bekannt, in der ein*e Nationalsozialist oder eine Nationalsozialistin eine führende Position bei den Gewerkschaften in München erhalten hat." In Person von Ludwig Weißauer hat Elas einen Gegenbeweis gefunden.

Durch einen Zufall wurde er auf ihn aufmerksam. Elas war in Leonberg bei Stuttgart zu Besuch bei einer Veranstaltung des Projekts "Täter, Helfer, Trittbrettfahrer", bei dem zu Biografien von NS-Akteuren in Baden-Württemberg geforscht wird. Die Geschichtswerkstatt Dorfen wird zu einem analogen Projekt in Bayern biografische Beiträge liefern. Über die Veranstaltung in Leonberg kam Elas in Kontakt mit Eva Schütz-Schrallhamer, die dort in einer KZ-Gedenkstätte mitarbeitet. Eva Schütz-Schrallhamer stammt aus Dorfen und war im Besitz eines sehr interessanten Albums ihres Vaters mit Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg, das neben Aufnahmen von deutschen Soldaten auch solche von Gräueltaten in Ostpolen und der Ukraine enthält. In Dorfen forschte Elas gemeinsam mit Doris Minet zunächst nach den familiären Beziehungen von Eva Schütz-Schrallhamer. Und kam so, über ein paar Ecken, auf Ludwig Weißauer.

Dessen Biografie ist eine verwinkelte Geschichte. Als erster Sohn eines Volksschullehrers gleichen Namens kam er am 2. November 1900 in Prien am Chiemsee zur Welt. Seine Mutter Ottilie, geborene Schrallhamer stammte aus der Nähe von Oberdorfen, wo sie seinen Vater kennen gelernt hatte, als er dort an der Volksschule unterrichtete. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1905 zog die Witwe mit Ludwig und seinem Bruder Adolf zuerst nach Freising und dann zu ihrem Bruder, der Pfarrer in München war. Nach dem Abitur 1920 studierte Ludwig Weißauer Jura und Volkswirtschaft. Seine erste Anstellung fand er 1927 beim Internationalen Arbeitsamt in Genf, damals eine Unterorganisation des Völkerbundes.

Elas hatte während seiner Recherche Kontakt mit einem Neffen von Ludwig Weißauer, der ihn so beschrieb: "Ludwig war hochgewachsen, schlank, besaß blaue Augen und rötlich-blondes Haar. Mit diesem Aussehen entsprach er dem Mustertypus eines arischen Menschen, wie ihn sich die Rassenideologie des NS-Regimes vorstellte. Stolz war er, wenn man ihn auf seine Ähnlichkeit mit dem damals berühmten Filmschauspieler Hans Albers ansprach."

Zurück aus Genf trat Ludwig Weißauer 1929 der NSDAP bei, studierte noch einige Zeit in England und ließ sich anschließend in München als Rechtsanwalt nieder. Als er von der Partei das Angebot bekam, die Verlagsleitung des SA-Kampfblattes "Der Angriff" zu übernehmen, ging er nach Berlin. Das wurde für ihn zum Problem, als die SA bei führenden Nazis in Misskredit geriet und intern bekämpft wurde. Im April 1931 wurde Weißauer von Joseph Goebbels, dem damaligen Berliner Gauleiter der NSDAP, aus der Partei ausgeschlossen.

Elas ist sich allerdings sicher, dass Weißauer weiterhin von purer nationalsozialistischer Gesinnung war. Nach seinem Rauswurf aus der Partei betonte Weißauer das im Vorwort seines 1932 erschienenen Buches "Schicksal des deutschen Nationalismus" selbst und schrieb über sich explizit: "Der Verfasser ist Nationalsozialist." Und viel wichtiger: Weißauer legte nach seinem Parteirauswurf von 1933 bis 1945 eine beachtliche Karriere hin.

Weißauer wurde zum Auslandsagent des von Heinrich Himmler gegründeten Reichssicherheitshauptamtes, der Terrorzentrale des Dritten Reichs. Er war in vielen Ländern auf geheimer Mission, in Spanien, Brasilien und China und nach Kriegsbeginn in Finnland und in England. Im Oktober 1941 wurde Weißauer zum Regierungsrat ernannt, ein Jahr darauf zur Heeresgruppe Nord abgeordnet und 1944 zum Oberfeldintendanten befördert.

Nach Kriegsende verließ er Berlin und ging er zurück nach München. Eine Entnazifizierung gab es in seinem Fall nicht. Er war ja seit 1931 kein NSDAP-Mitglied mehr gewesen. Als Rechtsanwalt kam er in Kontakt in dem gewerkschaftlichen Bereich und wurde 1950 Syndikus der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger in der Gewerkschaft Kunst. Von 1957 bis 1961 war er Mitglied des bayerischen Senats, wo elf der 60 Plätze mit Gewerkschaftern besetzt wurden. Gewerkschaftsfunktionäre, die damals mit Weißauer zusammenarbeiteten, äußerten sich positiv über ihn. Einer beschrieb ihn als "sehr beliebt, leutselig, er machte den Eindruck eines bedeutenden Menschen, in politischen Problembereichen äußerst zurückhaltend und keinesfalls provozierend." Ein anderer so: "Weißauer war ein sehr angenehmer Kollege im Senat, er besaß hohes Ansehen, war sehr gebildet, wirkte elegant, war sehr zurückhaltend, ein sehr leiser Kollege." Diskretion in eigener Sache beherrschte der ehemalige Geheimagent sicher perfekt.

1973 starb Weißauer an Leberkrebs. Bis zuletzt konnte er seine Nazivergangenheit geheim halten. Hans Elas ist sich sicher: "Er hatte vermutlich bis zuletzt kein Problem damit."

© SZ vom 10.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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