Bildung:Auf der Suche nach Orientierung

Bildung: Seit 2014 ist Dirk Berberich katholischer Leiter der Hochschulgemeinde (HSG) in Freising. Davor war er Religionslehrer und Seelsorger im Krankenhaus. Im Sommer geht er in Ruhestand und ist sicher, "da muss noch was kommen".

Seit 2014 ist Dirk Berberich katholischer Leiter der Hochschulgemeinde (HSG) in Freising. Davor war er Religionslehrer und Seelsorger im Krankenhaus. Im Sommer geht er in Ruhestand und ist sicher, "da muss noch was kommen".

(Foto: Marco Einfeldt)

Dirk Berberich, katholischer Leiter der Freisinger Hochschulgemeinde, geht im Sommer in Ruhestand. Er glaubt, dass bei den Diskussionsabenden selbst kirchenferne junge Leute spirituelle Ankerpunkte in ihrem Leben finden können

Interview Von Petra Schnirch

Dirk Berberich hat mit jungen Leuten gearbeitet und mit sehr kranken. Er war Pastoralreferent, Religionslehrer und Krankenhausseelsorger. Seit 2014 ist er katholischer Leiter der Hochschulgemeinde (HSG) in Freising. Im Sommer geht er in Ruhestand. Die Freisinger SZ hat mit ihm über seine verschiedenen Stationen, Brüche in seinem Leben und die Herausforderungen für die Kirche gesprochen.

SZ: Ihr letztes Semester als Hochschulseelsorger hat begonnen. Was haben Sie sich dafür vorgenommen?

Berberich: Ich komme mir vor wie ein Politiker, der noch schaut, dass er etwas hinterlässt (lacht). Ich kümmere mich gerade darum, dass der Beamer endlich an die Decke kommt. Inhaltlich hänge ich mich noch mal voll rein, es ist mein Wunsch, dass es gut weiter geht. Das ist ein ganz wunderbares Arbeiten hier.

Ist eine ökumenische Hochschulgemeinde in Zeiten, in denen die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren, noch zeitgemäß?

Absolut. Die wenigsten Leute, die hierher kommen, verbinden Hochschulgemeinde mit Kirche. Viele wenden sich zwar von Kirchenräumen, von Gottesdiensten ab, aber sie suchen nach spirituellen Ankerpunkten, und das finden die jungen Leute hier.

Welcher Personenkreis kommt denn in die Hochschulgemeinde?

Es ist ein Querschnitt von Studierenden, sowohl von der TU wie auch von der Hochschule. Wir haben unsere Gebetszeiten, bei den Diskussionsabenden aber geht es um Bionik oder Pflanzenschutz im Wald. Auch Friedensreferent Clemens Ronnefeldt kommt zu uns. Das sind alles keine kirchlichen Themen, aber es geht um Ethik - um die Frage, was erlaubt, was verantwortbar ist. Im Zusammenspiel mit dem Campus werden wir in dieser Fragestellung immer wichtiger.

Kann man junge Leute noch für die christlichen Religionen begeistern?

Wegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gibt es gerade eine große Abwehrhaltung. Aber das Wissen, dass die christlichen Kirchen für die Werte unserer Gesellschaft bürgen, ist da. Es ist wichtig, dass wir uns zeigen, dass wir ein Gesicht haben. Wir sind nicht frömmlerisch, aber wir haben Standpunkte. Junge Leute suchen Orientierung. Da sind wir gefordert.

Haben Sie Angst, dass das Interesse an den Kirchen weiter schwindet?

Es geht nicht mehr um Volksfrömmigkeit, aber in Notsituationen gilt es für die Kirchen, ganz wachsam zu werden. Viele ehrenamtliche Flüchtlingshelfer kommen aus den Kirchen - da haben Leute gemerkt, dass wir christlich handeln müssen. Wir können nicht mehr warten, dass die Leute kommen, wir müssen zu ihnen hingehen. Das ist Urkirche. Das ist der Ruf der Stunde, dass Kirche sich bewegt - weg aus den angestammten Gotteshäusern hin zu überraschenden anderen Formen.

Sie waren 14 Jahre lang Religionslehrer. Wären Sie das ohne den Amoklauf 2002 immer noch?

Nein. Meine vier Kinder waren damals alle mit der Schule fertig. Durch sie kannte ich die Themen der Schüler, das fiel dann weg. Deswegen war mir klar: Mit 50 will ich aufhören. Es war dann ein Jahr früher, mit 49, aufgrund des Attentats. Eigentlich wollte ich damals bereits zur Hochschulgemeinde. Doch sechs Wochen, nachdem ich als Seelsorger im Krankenhaus gefangen hatte, ist es mir dann wie Schuppen von den Augen gefallen: Das ist jetzt genau das Richtige. Es war eine sehr intensive Zeit.

Sie sind bei dem Amoklauf verletzt worden, denken Sie noch oft daran?

Ja, aber es belastet mich kaum noch. Mit guter Begleitung konnte ich relativ schnell wieder normal leben. Der Bruch bleibt.

Glauben Sie, dass Sie durch diesen Bruch in Ihrem Leben empathischer im Umgang mit zum Teil schwerkranken Patienten im Krankenhaus waren?

Ganz sicher. Ich glaube, dass da innerlich eine Brücke zu jedem war, der da liegt. Krankenhaus ist immer ein Bruch. Die Erfahrung habe ich auch gemacht, das bringt Nähe.

Hat Ihnen der Glaube geholfen?

Anfangs nicht so sehr. Ein Nachbar hat mir aber bald geschrieben: Du bist verschont worden, Gott hat noch etwas anderes mit dir vor. Das hat sich bei mir festgesetzt. Womit ich Probleme hatte: Ich hatte überlebt, drei andere nicht. Da habe ich lange gehadert, auch mit Gott. Da war das Leiden der Familien - anfangs konnte ich mich gar nicht freuen, dass ich überlebt habe.

Empfinden Sie Wut oder Hass auf den Attentäter?

Nein. Die Frage ist vielmehr, was ist zu tun, dass so etwas nicht mehr passiert? Nach dem Amoklauf in Erfurt sechs Wochen später sagte Bundespräsident Johannes Rau in seiner Ansprache: Das einzige, wie wir so was verhindern können, ist, aufeinander zu achten und einander zu achten. Menschen, die am Rad drehen, brauchen etwas anderes, als immer niedergemacht zu werden. Der Schütze hätte auch Begleitung gebraucht.

Wie kann das gelingen? Sind Schulen damit nicht überfordert?

Ich habe kein Patentrezept. Die Lehrer gerade an den Mittelschulen sind am Anschlag. Die Klassen müssten deutlich kleiner werden, es müsste viel mehr Lehrer oder pädagogisches Personal geben. Es geht um Herzensbildung, das ist eine ganz große Herausforderung.

Die Aufgabe als Hochschulseelsorger ist Ihre letzte berufliche Station, was schätzen Sie daran besonders?

Es ist ein freies Arbeiten. Ich habe durchschnittlich eine 55-, 60-Stunden-Woche, aber ich habe keinen Stress, auch wenn natürlich Studenten mit Problemen zu uns kommen. Es ist eine tolle Arbeit, weil sie so vielfältig ist.

Haben Sie den Eindruck, dass der Druck auf die Studenten größer geworden ist?

Ja, der ist riesengroß. Zum einen durch Bachelor und Master. Zum anderen studiert mittlerweile fast jeder, darunter ist eine ganze Reihe junger Leute, denen das sehr schwer fällt. Die müssen lernen, lernen, lernen. Ich finde, es ist eine eigenartige Entwicklung, dass man nur mit Studium jemand ist.

Was haben Sie sich für das "Leben danach" vorgenommen?

Im Juli werde ich erst mal drei Wochen radeln. Im Oktober gehe ich zehn Tage in die Wüste, auf eine geführte Pilgerreise in Tunesien. Und dann habe ich mir vorgenommen, ein Jahr lang nichts zu machen. Dann, das ist schon klar, muss irgendwas kommen. Ich könnte mir vorstellen, schwierige Beerdigungen zu gestalten, wenn junge Leute gestorben sind, oder freie Trauungen - die schießen wie Pilze auf dem Boden. Ich habe Kompetenzen im Begleiten, im Moderieren von schwierigen Situationen, kann Menschen dazu ermuntern, etwas zu erzählen. Das würde ich gern einbringen.

Wie geht es an der HSG weiter?

Sie wird sich wandeln, natürlich. Ich gehe davon aus, dass die Stelle wieder besetzt wird, wenn auch vielleicht nicht zu hundert Prozent. Man wird aber auch hier neue Formate finden müssen, um zu den Leuten zu kommen.

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